Friederike Mayröcker; APA/Artinger Guenter


Erfüllte Zeit
Sonntag 15. 7. 2001 
7.05 Uhr - 8.00 Uhr
,  Radio Österreich 1

 

"Das Beispiel vom barmherzigen Samariter"
(Lukas 10, 25 - 37) 
Das Sonntagsevangelium kommentiert 
Prof. Gerhard Bodendorfer

 

Hl. Vinzenz v. Paul

 

"Was glauben Sie?" - 
Die Dichterin Friederike Mayröcker

Die 1924 in Wien als Tochter eines Schuldirektors und einer Modistin geborene Dichterin Friederike Mayröcker gilt als eine der bedeutensten österreichischen Schriftstellerinnen der Gegenwart. Von Gedichten, über experimentelle Prosa, von Romanen, Hörspielen, Bühnentexten bis zu poetologischen Aufsätzen reicht ihr reichhaltiges literarisches Werk.

Ihre berufliche Laufbahn begann Mayröcker als Fremdsprachenlehrerin an einer Wiener Hauptschule. Bereits 1946 erschienen erste Gedichte in der Wiener Avantgarde-Zeitschrift "Plan". 1956 ließ sie sich vom Schuldienst beurlauben, um sich ganz dem Schreiben widmen zu können. Von ihrem ersten Buch mit Prosaskizzen und Miniaturen unter dem Titel "Larifari" (1956) bis zu ihrem 2001 erschienen "Requiem für Ernst Jandl" ist Friederike Mayröcker eine Sprachsucherin zwischen Traum und Wirklichkeit geblieben. Zahlreiche Literaturpreise hat die in Wien lebende Mayröcker für ihr Werk erhalten. Bis zu dessen Tod war sie mit dem Dichter Ernst Jandl in einer Lebensgemeinschaft verbunden.

"Und alle Lebens- und Todesangst ist nicht mehr zu trennen von der Schreibangst, die immer gleichzeitig eine Angst vor dem Schreiben und eine Angst um das Schreiben ist". (F. Mayröcker)

Mit Friederike Mayröcker spricht Johannes Kaup in der Reihe "Was glauben sie?"

 

Prof. Gerhard Bodendorfer 

Das heutige Evangelium wird landläufig als Geschichte vom barmherzigen Samariter, besser Samaritaner, bezeichnet und nicht selten wurde sie als Beispielerzählung für die Hartherzigkeit der Juden missbraucht. Tatsächlich ist diese Geschichte gerade das Gegenteil. Sie steht im Rahmen einer Anfrage durch einen gesetzeskundigen Juden, wahrscheinlich einen Pharisäer, über den Zugang zum ewigen Leben. Die Diskussion darüber, wer Anteil an der kommenden Welt, also am ewigen Leben hat, wird in jüdischen Kreisen ausgiebig geführt. Dass Lukas die Anfrage als Erprobung Jesu verdächtigt, sollte der Ernsthaftigkeit der Frage keinen Abbruch tun. Der Fragende erscheint an keiner Stelle des Evangeliums als hinterlistig oder bösartig, nein, im Gegenteil, er fragt und antwortet klug und verständig und erweist sich gerade als guter Zuhörer. Von ihm kommt die Antwort, dass mit dem Doppelgebot der Liebe die Quintessenz des mosaischen Gesetzes ausgesagt sei. Der verständige jüdische Gesetzeskundige formuliert also eine Kombination zweier Aussagen, der von der Gottes- und der von der Nächstenliebe. Beide stehen sie im Alten, im Ersten Testament, obwohl man so oft irrtümlicherweise glaubt, das Gebot der Nächstenliebe sei eine Erfindung des Neuen Testaments. Die Kombination der beiden Gebote und ihre Befolgung jedenfalls garantiert ewiges Leben. Das Gleichnis vom barmherzigen Samaritaner illustriert dann gerade nicht die Frage nach dem ewigen Leben, sie orientiert vielmehr, wer denn überhaupt der Nächste sei, den ich lieben soll. Tatsächlich ist diese Frage nicht einfach und wurde kontrovers diskutiert. Bis wie weit kann die Nächstenliebe gehen? Muss ich jedes Verhalten aus Liebe dulden oder darf ich meinem Gefühl gegenüber einem Menschen, der mich bedroht und befeindet, Ausdruck verleihen? Was kann die Liebe ertragen und wo muss ich mich klar abgrenzen oder gar wehren? Das Beispiel vom barmherzigen Samaritaner erläutert die Sicht Jesu, obwohl es auch nur ein Beispiel bleibt, das nicht alle Fragen lösen wird. Jedenfalls schildert man hier einen Priester und einen Leviten, die einem fast tödlich Verletzten nicht helfen wollen, vielleicht, weil sie ihn für tot hielten und sich nicht an einem Leichnam verunreinigen wollten. Priester und Levit kennzeichnen zwei priesterliche Gruppen, die in vielen Aufzählungen meist noch durch den sog. Israeliten, der kein priesterliches Amt einnimmt, ergänzt wird. Priester, Levit und Israelit bilden also üblicherweise eine Dreieinheit, die das Volk Israel umschreibt. Die Stelle des Israeliten bleibt hier frei. Schon allein deshalb kann man den Text nicht als antijüdisch bezeichnen, da er nicht Juden als Juden, sondern nur die Vertreter des Priestertums als Negativbeispiel bringt. Zusätzlich aber tritt der Samaritaner auf, der den Schwerstverletzten versorgt und sich auch um seine Rekonvaleszenz umfassend kümmert. Ein positives Beispiel von Nächstenliebe liegt uns hier vor, und so und nicht anders sieht es auch der jüdische Gesetzeslehrer. Er gibt Jesus spontan recht, dass die Nächstenliebe darin besteht, im konkreten Tun sein Mitgefühl auszudrücken. Wer so handelt, dem ist das ewige Leben gewiss. Jesus macht keine Anstalten, den Gesetzeslehrer irgendwie zum Jünger machen zu wollen, er verurteilt ihn nicht und nimmt seine Anfragen auf, um sie gewissenhaft zu beantworten. Er handelt wie ein weiser Rabbi, ein Lehrer, der die Fragen seiner Schüler oder die anderer Rabbiner zu beantworten sucht. Der Gesetzeslehrer ist jedenfalls auf dem richtigen Weg. Nimmt man ihn als Vertreter der sog. Pharisäer, so zeigt sich hier ein interessantes Beispiel eines friedlichen und positiven Dialogs zwischen Jesus und dem pharisäischen Judentum, der auch die Gesprächsform des rabbinischen Lehrgesprächs übernimmt.

 

Hl. Vinzenz v. Paul

Man kann zwei Formen der Liebe unterscheiden, die affektive und die effektive Liebe, d.h. die Liebe des Gefühls und die Liebe der Tat.

Die affektive Liebe entspringt dem Herzen. Der gottliebende Mensch, erfüllt von Freude und Zärtlichkeit, lebt beständig im Gefühl der Gegenwärtigkeit Gottes, er findet sein Glück im Gedanken an Gott, und unmerklich gleiten seine Tage In solcher Beschauung dahin. Dank solcher Liebe erträgt er mühelos und mit Freuden die schwersten Prüfungen. Ja, man darf sagen, er "schwimmt" in diesem Gnadenstrom der Gottesliebe, und nichts anderes vermag ihn zu fesseln.

Die Liebe der Tat hingegen arbeitet für Gott, ohne indessen die Erquickung der Liebe zu verkosten. Der Mensch bemerkt und fühlt diese Liebe nicht, obwohl er darin sein Werk tut. Der selige Bischof von Genf erklärt uns diesen Unterschied am Beispiel eines Vaters, der zwei Kinder hat. Das eine ist noch klein: Der Vater herzt es, spielt mit ihm, findet Freude an seinem Geplapper, weilt immer in Gedanken bei ihm, wenn er es nicht sieht, und nimmt innigsten Anteil an seinen kleinen Leiden. Geht er hinaus, so folgt ihm die Erinnerung an dieses Kind; kehrt er zurück, ist sein erster Gang zu ihm.

Der andere Sohn ist ein Mann von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren. Herr seines Wollens, geht er, wohin es ihm gefällt, und kommt zurück, wie es ihm passt. Er setzt sich aber ganz für das Wohl des Vaterhauses ein. Es scheint, als habe der Vater kein Herz für ihn und liebe ihn nicht. Alles Unangenehme und Schwere wird ihm aufgebürdet. Ist der Vater ein Bauer, so fällt dem Sohn die Sorge für die Feldbestellung zu, und er legt Hand ans Werk. Handelt es sich um einen Kaufmann, so steckt er den Sohn als Gehilfen in seinen Laden. Ist der Vater ein Rechtsgelehrter, so führt der Sohn die Praxis. Liebe indes scheint der Vater nicht für seinen Sohn zu hegen. Handelt es sich aber darum, ihm sein Erbe zu sichern, dann beweist der Vater, dass er den älteren mehr liebt als den kleinen, den er hätschelt. Er vermacht ihm alsdann den Hauptteil seines Vermögens und räumt ihm große Vorteile ein. So wird deutlich, dass dieser Vater eine viel wirksamere Liebe für seinen Erstgeborenen bekundet, obgleich seine gefühlvollere und zärtlichere Liebe dem kleinen Sohn gehört. So erklärt der selige Bischof von Genf die beiden Arten der Liebe.

Es gibt auch bei euch Menschen, die Gottes Nähe nicht fühlen. Sie haben sie niemals empfunden und kennen die fühlbaren Erquickungen des Gebetes nicht. Sie glauben, nicht fromm genug zu sein, lassen aber trotzdem nicht nach, ihre Betrachtung zu halten, nach der Beobachtung der Regeln und der Übung der Tugend zu streben, obwohl sie Abneigung dagegen empfinden. Lieben sie Gott nicht? O doch, denn sie tun alles, was die andern auch tun. Ihre Liebe ist um so stärker, je weniger sie sie fühlen. Das ist effektive Liebe oder Liebe der Tat, die unablässig wirkt, ohne wahrgenommen zu werden.

Manchmal klagen mir die Schwestern ihr Leid: "Ich tue nichts Gutes und merke nicht, dass ich innerlich weiterkomme. Meine Mitschwestern sind immer so fromm und gesammelt beim Gebet, und ich bin immer zerstreut. Sie hören gern geistliche Lesung, ich dagegen langweile mich. Mir scheint, das ich ein Fingerzeig Gottes, dass ich hier nicht hingehöre." O, meine lieben Schwestern, das ist eine Täuschung. Wenn ihr eure Berufspflichten treu erfüllt, dürft ihr sicher sein, dass Gott euch liebt. Ohne Zweifel ist eure Liebe sogar noch weit vollkommener als die mancher anderer Schwestern, die bei all ihrer fühlbaren Andacht nicht das schaffen, was ihr vollbringt.

Aus: Quellen geistlichen Lebens, Band 3, Matthias Grünewald Verlag

 

Letztes Update dieser Seite am  29.07.2002 um 13:02 

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