"Über die Gastfreundschaft" - zwei  chassidische Geschichten


Reb Leib Mimeles, ein reicher Holzhändler in Lemberg, zählte zu den erlesensten Chassidim des »Sehers« (Rabbi Jakob Jizchak, der »Seher« von Lublin) und er heiratete, als er verwitwet ward, dessen Schwester. Er pflegte das Werk der Gastfreundschaft mit besonderer Hingebung zu erfüllen. Wer in sein Haus kam, ob reich oder arm, ob Jude oder Christ, ob Mann oder Frau, wurde betreut und erhielt Speise, Trank und Schlafstätte; von Bezahlung war keine Rede. Reb Leib hatte auch die Gewohnheit, die Schlaflager für seine Gäste selbst herzurichten.

Einmal wollte einer der Gäste es nicht zulassen, dass Reb Leib diese Arbeit selbst tue. »Reb Leib«, sagte er, »warum sollt Ihr Euch selbst mit dem Bettmachen für die Gäste bemühen?«

»Glaubst Du«, sagte Reb Leib lächelnd, »dass ich mich für meine Gäste bemühe? Oh nein, ich tue es für mich, denn sieh, ich finde im Wohltun das größte Vergnügen und glaube, indem ich den Gästen das Bett mache, mir ein Lager in der Ewigkeit herzurichten.«

Nun pflegte in seinem Hause auch ein armer Schlucker zu verkehren. Tag für Tag kam er und bekam einen Trunk Branntwein. Einmal fand ihn Mimeles trunken in einer Gosse liegen. Da gab er in seinem Hause Befehl, dem Trunkenbold keinen Branntwein mehr zu geben. Von diesem Tage an schwand der Segen, der seit jeher in seinem Hause gewaltet hatte, auch seine Geschäfte verschlechterten sich von Tag zu Tag. Er reiste nach Lublin und führte Klage. Da sprach der Seher: »Gott richtet nicht ohne Anlass! Besinne Dich, vielleicht hast Du einmal jemand die Gastfreundschaft versagt?« Mimeles sann eine Weile nach und erinnerte sich an den Trunkenbold. Da sprach der »Seher«: »Bitte den Mann um Verzeihung, und reiche ihm seinen Trunk wie ehedem, dann wird der Segen wieder in Deinem Hause sein!« Mimeles fuhr nach Haus und bat den Trunkenbold um Verzeihung.

 

Und Rabbi Mosche Leib von Sassow ging an einem Freitag vor Sabbatempfang bei grimmiger Kälte in die Mikwa und sah von ferne einen Juden an einen Wagen gelehnt stehen. Er ging auf ihn zu, hörte sein schweres Seufzen und las vor seinem Antlitz Traurigkeit und Verzweiflung ab. Des Wagen des Juden war mit allerlei Hausgerät beladen und ein blutarmes Weib mit kleinen Kindern lag im Inneren des Wagens.

Rabbi Mosche Leib befragte den Mann, woher er sei und warum er in der grimmigen Kälte draußen stehe. Jener wollte zuerst keine Antwort geben; denn er kannte den Rabbi nicht. Rabbi Mosche Leib drang in ihn, ihn sein Leid zu erzählen, und versprach, ihm zu helfen; das Antlitz des Mannes erheiterte sich. Die Bauern, klagte er, hätten ihn aus dem Dorf vertrieben und er sei daher in die Stadt gefahren. Hier aber wolle ihm kein Mensch, da er ganz ohne Geld sei, Unterkunft geben.

In tiefer Rührung sprach der Rabbi: »Dann fahre den Wagen zu Rabbi Mosche Leib und fordere, dass er Dich und Deine Familie in sein Haus nehme! Er wird auch für Deinen Unterhalt sorgen müssen.«

Indessen eilte er nach Hause, hüllte sich rasch in seine Festgewänder und stellte sich ans Fenster. Als er den Juden vor seinem Hofe halten sah, lief er freudig hinaus, öffnete das Tor, stellte sich, als wüsste er von nichts und fragte den Mann nach seinem Verlangen.

Der Jude erkannte den Rabbi nicht - man weiß, dass er in den Sabbatkleidern eine höhere Gestalt hatte und verändert aussah - und trug seine Geschichte vor: Ein Jude, der sich seiner erbarmte, hätte ihm den Rat erteilt, sich zum Rabbi zu begeben und ihn um Einlass in sein Haus zu bitten.

Voll Freude rief Rabbi Mosche Leib: »Gesegnet sei Deine Ankunft«, lief ins Haus und rief: »Welch vornehme Gäste der Schöpfer uns für den Sabbat beschert hat!« Er trug seiner Frau auf, für die unglückliche Familie Platz zu machen. Diese aber wandte ein: »Wohin mit ihnen und ihren Sachen? Ist doch unsere Wohnung selbst für uns zu eng!«

»Fürwahr«, sagte er, »unsere Wohnung ist eng und wo sollen wir hin? Wir werden für uns eine andere Wohnung mieten müssen; denn sieh, uns wird wohl jeder mit Freude ins Haus nehmen, wer aber hat sich dieser Armen erbarmt?« Er lief wieder in den Hof, half die Sachen abladen und brachte die Leute in ein behagliches Zimmer, wo der Ofen glühte und eine erquickende Wärme verbreitete.

Die Freude des unglücklichen Mannes war groß. Noch größer aber war die Freude des Rabbi Leib.

Aus Chajim Bloch, Chassidische Geschichten. Fourier Verlag, Wiesbaden 1996

 

 

 

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Letztes Update dieser Seite am  18.04.2003 um 11:39