"Die Gleichnisse vom verlorenen Schaf, der verlorenen Drachme und vom verlorenen Sohn" 

Lukas 15, 1 – 32
kommentiert von Michael Landau

"Im Himmel herrscht mehr Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über 99 Gerechte, die es nicht nötig haben, umzukehren." Es ist für die Pharisäer und Schriftgelehrten, für die scheinbar Frommen zur Zeit Jesu, ein Ärgernis. 

Und doch unterstreicht die Bibel genau diesen Punkt: Christus ist um der Sünder willen gekommen, um der Beladenen willen, um der Mühseligen, der Armen, der Einsamen und Verlassenen willen. Er kennt uns und versteht uns bis in die letzte Tiefe und Niedrigkeit hinein. Er ist Mensch geworden, um die Last von unseren Schultern zu nehmen. 

Auch die Last menschlicher Schuld. Wo wir uns verlaufen haben, geht er uns nach. Nichts ist ihm fremd. Und er führt uns nach Hause. Wie auch immer unser Weg war. Eins ist gewiss: Es ist nicht nötig, dass wir uns fürchten.

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn, oder wie es wohl besser heißt, vom barmherzigen Vater, ruft uns diese Wahrheit ins Gedächtnis: Gott geht uns entgegen. Er erwartet uns mit offenen Armen. Er lädt uns ein, zu kommen, zu bleiben, zu feiern, uns zu versöhnen – mit uns selbst, mit ihm und untereinander.

Dabei ist uns die Erzählung der Bibel vertraut: Der jüngere Sohn, der zum Vater sagt: gib mir mein Erbteil; der es in der Fremde durchbringt und zum Schweinehüter wird; der innehält, heimkehrt und der dort vom Vater erwartet wird – nicht mit Tadel, sondern mit großer Freude und wo es dann heißt: "sie begannen, ein fröhliches Fest zu feiern".

Und es lohnt sich, diesen Text aus der Nähe zu betrachten. Denn es scheint, dass in diesem Gleichnis drei Schritte entdeckt werden können, die wichtig sind, damit Versöhnung gelingt:

Erstens: Der jüngere Sohn nimmt in der Fremde die ganze Wirklichkeit seines Lebens wahr. Er hört auf, sich etwas vorzuspielen. Er geht in sich, so heißt es im Text und er erkennt: Die Richtung stimmt nicht. Stand beim Aufbruch vielleicht noch die Sehnsucht vor Augen, das eigene Leben zu führen und zu gestalten, so ist jetzt von der einstigen Freiheit keine Spur mehr geblieben. Das Bild ist drastisch: Gerne hätte er seinen Hunger mit den Futterschoten der Schweine gestillt. Doch niemand gab ihm davon. Er hat Hunger und er erinnert sich, wie es war, damals, am Anfang, zu Hause.

Zweitens: Der Sohn kehrt um; er ändert die Richtung. Auch die Richtung seines Lebens. Er weiß jetzt, wo er hingehört und hinmöchte. Nach Hause. Er nimmt diese Sehnsucht in sich wahr und ernst. Und er handelt danach. Das heißt, er bleibt nicht in Sentimentalitäten stecken, sondern er spürt: jetzt liegt es an ihm. 

Er muss hier nicht bleiben, er kann heim, mit seiner Geschichte, mit seinem Leben, mit seiner Wirklichkeit. Er ist, der er ist. Niemand kann seine Geschichte ablegen. Hier aber schwingt viel Vertrauen mit. Er weiß: Er braucht sich nicht zu fürchten; er kann kommen und wird willkommen sein.

Und drittens: Er erzählt dem Vater und hält vor ihn, was ihn belastet. Er verschweigt nichts. Nichts wird verleugnet. Und der Vater versteht ihn. Er versteht ihn ganz. Und alles wird von ihm, vom Vater im Verstehen verziehen. Mit offenen Armen hat der Vater ihn erwartet. Und wenn sie danach ein Fest feiern werden, dann heißt das wohl auch: Ihre Beziehung ist nun tiefer und reicher, als sie es zuvor war. 

Was gewesen ist, bleibt. Doch es ist von innen heraus ganz neu und verwandelt und heil, das heißt lebendig geworden. Die Bruchstellen im Leben des Sohnes sind sozusagen zu Einbruchstellen des Guten geworden. Gott ist ja kein Flickschuster, wo das, was in der Begegnung geheilt wird, eben doch auch ein wenig kaputt bleibt und nur mehr beinahe so schön wird, wie es zuvor einmal war. 

Der Glaube bezeugt: wo Gott einen Menschen durch seine Geschichte berührt, durch die Geschichte, zu der auch Schuld gehört, dort entsteht wirklich Neues und zwar nicht irgendwie, sondern in staunenswerter, in unerhörter Weise.

Was nachdenklich stimmt, ist der Blick auf den älteren Sohn. Wahrscheinlich ist es manchmal gar nicht leicht, damit umzugehen, dass Gott barmherzig ist. Und zwar auch zu anderen. Und es scheint, dass Barmherzigkeit jenen leichter fällt, die selbst darum wissen, dass sie Vergebung brauchen, von Gott und wohl immer auch von anderen Menschen. Vielleicht ist heute der richtige Tag, um Verzeihung zu erbitten und Versöhnung zu suchen. Schließlich ist heute, und im Grunde jeder Tag, ein guter Tag für ein Fest.





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Letztes Update dieser Seite am  16.09.2002 um 14:39