"Das Beispiel vom reichen Mann und vom armen Lazarus"

Lukas 16, 19 - 31
kommentiert von Michael Landau

Armut, die ein zum Himmel schreiendes Unrecht darstellt, und Reichtum, der blind macht und scheinbare Sicherheit schenkt, die sich doch am Ende als trügerisch erweist. Immer wieder greift Lukas dieses Thema auf. Und der Einsatz für die Armen ist in der Tat im Licht der Bibel so etwas wie ein Echtheitstest für den Glauben. Unser Christsein entscheidet sich nicht am Sonntag – so wichtig und schön die gemeinsame Feier des Gottesdienstes in einer lebendigen Gemeinde auch ist – sondern unter der Woche, dort, wo wir uns entscheiden, für oder gegen die Armen, für oder gegen die Menschen, für oder gegen Christus in den vielen kleinen Entscheidungen unseres eigenen Alltags.

So überliefert uns das Evangelium vom heutigen Sonntag ein Gleichnis, das Menschen durch die Jahrhunderte immer wieder berührt hat und berührt: Lazarus, der vor der Tür des reichen Prassers liegt und der seinen Hunger gerne mit den Resten gestillt hätte, die vom Tisch des Reichen hinunterfielen. Statt dessen die Hunde, die kommen und die an seinen Geschwüren lecken.

Wir hören dieses Gleichnis heute und hier. Wo es uns gut geht. Und wo wir doch nur einige Stunden mit dem Auto zurücklegen müssen, um etwa in der Ukraine auf Straßenkinder zu stoßen, im Kosovo auf Kinder, die nach dem Krieg verwaist sind oder in Albanien auf alte und kranke Menschen, die ohne die Hilfe anderer wahrscheinlich alleine in ihren Wohnungen verhungern würden. Nicht, dass Europa das nicht wüsste, nur will es niemand sehen, niemand wahrhaben, dass da Menschen liegen, vor unserer Türe und vor den Toren dessen, was sich heute als Europa bezeichnet. Ich sage das in der Überzeugung, dass uns das Zusammenwachsen Europas gut tut. Aber wir dürfen dabei die Armen nicht draußen lassen. Um ihretwillen nicht, doch auch um unserer selber willen nicht. Denn eines ist klar: Inseln des Reichtums in einem Meer der Armut haben auf Dauer keinen Bestand.

Wie aber sieht es bei uns in Österreich aus? Hier genügt es, einen Tag lang mit dem Louisebus, einem medizinischen Betreuungsbus der Caritas für Menschen ohne Krankenschein, auf den Straßen unterwegs zu sein, um zu wissen: auch bei uns gibt es obdachlose Menschen, die mit offenen Beinen und Geschwüren auf der Straße leben, die ausgegrenzt sind und denen der Zugang zur Mitte der Gesellschaft verweigert wird. Zugleich ist Obdachlosigkeit nur die Spitze eines Eisbergs. Armut ist vielfach verborgen und unsichtbar, ein verdrängter, verschwiegener Teil gesellschaftlicher Wirklichkeit. Die Armen laufen Gefahr, auf der Strecke zu bleiben. Sie werden überhört und übersehen. Sie bleiben vor der Türe. Damals wie heute. Und damals wie heute – ohne die Fortschritte zu verkennen – benennt das Evangelium Armut als das, was sie ist: als Unrecht und Ungerechtigkeit und auch als etwas, zu dem Christen nicht schweigen, mit dem sie sich nicht abfinden dürfen.

Dabei fallen im Blick auf das Evangelium drei Punkte besonders ins Auge:

Erstens: Das Evangelium spricht nicht schlecht von Reichtum und Wohlstand als solchem. Im Text redet Abraham den Reichen weiterhin als "mein Kind" an und er fügt hinzu "du hast schon zu Lebzeiten deinen Anteil am Guten erhalten". Die eigenen Sachen zusammenzuhalten, ein Leben zu führen, bei dem man sich wohlfühlen kann, das Schöne zu genießen, das da ist – all das ist mit dem Glauben offensichtlich vereinbar.

Was das Evangelium dem Reichen aber vorhält, und das ist der zweite Punkt, ist, dass er auf den Armen vergisst, der vor seiner Türe liegt, dass er sich mit der Armut abfindet. Eigentum und soziale Verantwortung gehören untrennbar zusammen. Die Gerechtigkeit in einer Gesellschaft nimmt daran Maß, wie in dieser Gesellschaft mit den sozial Schwächsten umgegangen wird. Und hier kommt es einfach auf jeden und jede an, besonders aber auf die, die stärker und das heißt vielfach wohlhabender sind.

Und drittens: Wir wissen nicht, wie die Sache für den Reichen letztlich ausgeht, das heißt, wir können dem Richter nicht in die Karten schauen. Christus sagt an anderer Stelle: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt. Zugleich aber fügt er auf die Frage "Wer kann dann noch gerettet werden" hinzu: Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott, denn für Gott ist alles möglich.

Was bleibt, ist der Ernst der Warnung. Was bleibt, ist das Gleichnis vom Lazarus, der vor der Tür des reichen Prassers liegt. Es ist Zeit, aufzustehen, vor die Tür zu treten und die Wunden dessen zu verbinden, der dort liegt. Es ist Zeit für Gerechtigkeit, höchste Zeit. Denn am Ende werden nicht die schönen Worte zählen, sondern nur unser konkretes Tun.

 

Pfeil zum Seitenanfang Seitenanfang  Pfeil zum Seitenanfang weitere News

 

Letztes Update dieser Seite am  24.09.2002 um 11:32