"Der dankbare Samariter" (Lukas 17, 10 - 19)

kommentiert von Prof. Dr. Franz Gruber

Wie eine Ellipse so hat diese Heilungsgeschichte zwei Brennpunkte. Der eine ist die Heilung der zehn Aussätzigen, der andere Brennpunkt die Rettung des einen Ausländers durch seine im Tiefsten berührte Seele. Besteht ein Unterschied zwischen Heilung und Rettung? Folgen wir nochmals der Erzählung von Lukas.

Jesus ist unterwegs im Grenzgebiet von Galiläa und Samaria. Die Samariter galten als eine vom wahren Glauben abgefallene Volksgruppe. Da kommen von außerhalb eines Dorfes Aussätzige auf Jesus zu, Menschen, deren Dasein sich jenseits der Lebenden abspielte. Solche Menschen waren nicht nur oft tödlich erkrankt, sondern hatten auch keinen Anteil mehr an der normalen menschlichen Gemeinschaft.

Voll Vertrauen auf Heilung rufen sie Jesus um Erbarmen an. Jesus erblickt sie, er sieht ihr Leid, geht nicht an ihnen vorüber. Er fordert sie auf, sich den Priestern zu zeigen; die Kranken gehorchen, machen sich auf den Weg und während sie unterwegs sind, werden sie geheilt. Eigentlich könnte die Wundererzählung hier schließen: Jesus ist das Heil, wer sich glaubend ihm anvertraut, wird gesund. Aber der Evangelist gibt der Geschichte eine überraschende Wendung.

Einer kommt zurück. Er ist zuinnerst ergriffen von diesem Ereignis, erfüllt von Freude preist er Gott für das Wunder und dankt Jesus in höchster Achtung. Das Verhalten dieses einen stellt die übrigen neun Geheilten plötzlich in ein anderes Licht. Der eine erkennt in seinem Gesundwerden eine tiefere Dimension: nämlich das ganzheitliche Heilwerden, das nicht nur den Leib, sondern auch die Seele umfasst. Darum führt seine Heilung zur Umkehr. Dieser Mensch spürte, dass Leben und Gesundsein ein Geschenk Gottes sind. Was er erkannte, geht über das Glück der Gesundheit und die Rückkehr in die menschliche Gemeinschaft hinaus. In seiner Heilung erfuhr der Aussätzige Gottes Ja zu ihm, das im Widerspruch steht zum Nein der Menschen, die sich vor ihm schützen mussten und ihm seinem Los überließen.

Aber nochmals gibt der Evangelist dieser Szene einen überraschenden Akzent. Der Geheilte ist ein Ausländer, ein Andersgläubiger. Seine Reaktion entblößt das Vorurteil jener, die glauben, sie allein besitzen das Heil und hätten die Wahrheit. Das Heil, das Jesus schenkt, richtet sich an alle, nicht nur an seine eigenen Volksleute. Mehr noch: Bei den Ausländern selbst gibt es genauso authentische Gottesverehrung und die Anerkennung Jesu aus tiefstem Herzen. Rettung ist dort, wo sich die Seele öffnet für den Gott des Lebens. Es kommt auf den Glauben an, nicht auf die äußere Zugehörigkeit zu einer Gruppe.

Berührend ist hier die Art und Weise, wie Jesus sich nochmals dem Samariter zuwendet: Jesus seinerseits anerkennt die dem Fremden eigene Kraft zum Heilwerden. Er würdigt den Glauben dieses Menschen so sehr, dass er meint, dieser Glaube allein habe ihn gerettet. Jesus zieht sich nicht auf seine Macht des Heilens zurück. Vielmehr bringt er dem Ausländer höchste Wertschätzung entgegen: Du selbst hast in deinem Glauben die Kraft erfahren, wie deine Seele heil wird.

So wird diese Wunderzählung zu einer Kurzfassung der christlichen Botschaft: Im Leiden vertrauen sich Menschen Jesus an, die er ins Leben zurückführt. Aber auf der Folie von Krankheit und Heilung spiegelt sich eine zweite Ebene: die Begegnung des Menschen mit dem göttlichen Grund des Lebens. Diese Begegnung kennt keine ethnischen, religiösen oder sonstigen Grenzen. Es ist eine Begegnung, die in der Tiefe des Menschen stattfindet. Dort vollzieht sich der Übergang von der leiblichen Gesundheit zum Heilwerden der ganzen Person. Aber in der Intimität des Heilwerdens liegt immer auch eine politische Dimension: In Zeiten wie diesen müssen wir uns fragen, wieweit unser Verhältnis zu Andersgläubigen, besonders zum Islam von Vorurteilen bestimmt ist. Die Wundererzählung könnte uns den Blick auf den Andersgläubigen öffnen.

 

 

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Letztes Update dieser Seite am  12.10.2001 um 16:30