"Mahnung zur Bescheidenheit"

Lukas 14, 1.7 - 17 
kommentiert von Michael Landau


"Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden". Es ist beinahe ein geflügeltes Wort, das uns das Evangelium hier überliefert. Und auch der zweite Brennpunkt des heutigen Textes ist uns vertraut: "Wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Krüppel und Blinde ein. Du wirst selig sein, denn sie können es dir nicht vergelten; es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten".

Dabei ist es wichtig, beide Aussagen unverkürzt zu verstehen. Denn es wäre wohl ein gefährlicher Trugschluss, würden wir meinen, wer nur anständig schlecht von sich selbst denkt, der ist schon unterwegs, ein guter Mensch zu werden. Ein Gottesbild, bei dem die Größe Gottes darauf beruht, dass er die Menschen klein macht, das ist mit dem biblischen Gottes- und Menschenbild unvereinbar. 

Gott will uns nicht klein und geknickt, sondern er will uns aufrecht und gerade. Er hat uns ja nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen und er ist ein Gott der Freiheit und Befreiung, nicht der Knechtschaft. Und auch das Mahl mit den Armen kann ein falsches Zeichen werden. Dann nämlich, wenn über Almosen die Armut nicht als solche – und das heißt als Unrecht – in den Blick genommen wird. 

Das Zweite Vatikanische Konzil ist in diesem Punkt ganz klar: Wir dürfen nicht als Liebesgabe anbieten, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet ist. Eine Wunde gehört nicht geschminkt, sondern geheilt. Und die gesellschaftliche Wunde der Ausgrenzung von Menschen ist heilbar, man muss das nur wollen. Erbarmen heißt auch: der Armut ein Ende zu machen. Und noch gibt es Armut – gibt es zuviel Armut – auch in unserem Land.

Im Wort von der Erhöhung der Niedrigen klingt zugleich ein zentrales Motiv aus einem der berührendsten und dichtesten Texte des Lukasevangeliums an, aus dem großen Loblied der Maria, aus dem Magnifikat. Dort heißt es: "Gott stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen."

Um Macht und Ohnmacht geht es hier – und im Glauben betrachtet werden diese Begriffe relativiert. Maria lehrt uns, sich vor den Mächtigen nicht zu fürchten. Denn ihre Macht ist begrenzt und vergänglich zugleich. Gott aber steht auf der Seite der Schwachen, der Armen und Ausgegrenzten – zu allen Zeiten und an allen Orten.

Weil Gott einer ist, der sich der Armen erbarmt, muss auch der Platz der Kirche dort, an der Seite der Armen sein. Nicht dass das ständig bequem ist, denn es kann dazu führen, dass Christen sich mit den Mächtigen ihrer Zeit anlegen müssen. Doch ich denke hier auch an ein Wort von Caritaspräsident Prälat Leopold Ungar, dem langjährigen Leiter der Wiener Caritas, der einmal gesagt hat: Christus hat die Kirche nicht zum Ja-Sagen gestiftet, sondern als Zeichen des Widerspruchs. 

Zu diesem Mut zum Widerspruch gehört auch, an Werte zu erinnern. Nicht zuletzt an die Pflicht zur Mitmenschlichkeit und zur Solidarität mit den sozial Schwächsten. Und die Kirchen arbeiten ja im Bereich von Caritas und Diakonie oder auch in engagierten Pfarren Tag für Tag etwa mit obdachlosen Menschen, mit Flüchtlingen, mit Frauen und Männern, die alt und pflegebedürftig geworden sind oder auch mit Menschen mit Behinderungen.

Dabei präzisiert das Evangelium diesen Gedanken des Einsatzes für andere Menschen: Christus sagt von sich selbst, er ist nicht gekommen, um zu herrschen, sondern um zu dienen. Das wird dort konkret, wo wir anderen Gutes tun, ohne darauf zu achten, ob diese uns das Gute nun mit gleicher Münze zurückzahlen können oder nicht. Liebe, die aus Berechnung handelt, hört auf, Liebe zu sein. Sie mag äußerlich noch so aussehen. Aber innerlich ist sie zerstört. Es ist die Haltung der Absichtslosigkeit, die Liebe erst zur Liebe macht. "Wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Krüppel und Blinde ein. Du wirst selig sein, denn sie können es dir nicht vergelten."

Ich glaube zugleich, dass Christus uns im heutigen Evangelium auch etwas wichtiges über die Haltung innerer Freiheit lehrt: Wer sich zuviel um einen ehrenden Platz kümmert, kann dabei gründlich ins Abseits geraten. Vielleicht dürfen wir das, weiter gefasst, so verstehen: Manchmal erhalten wir als Menschen einen ehrenden Platz und man spricht gut über uns, ohne dass wir das wirklich verdienen. Und manchmal passiert es umgekehrt, dass wir einen wenig ehrenden Platz zugewiesen erhalten, und andere schlecht von uns sprechen und dass wir auch das in Wahrheit nicht verdient haben. 

Könnte uns das Evangelium nicht Mut machen, dass eine wie das andere – Ehre wie Unehre – nicht allzu ernst zu nehmen? Christus hat sich um seinen Platz nicht geängstigt, sondern er hat den letzten Platz eingenommen. Warum sollen wir uns ängstigen und sorgen? Heute noch lässt er sich dort, an diesem letzten Platz finden. Und gewiss auch an jedem anderen Platz, an den er uns stellt.

 

 

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Letztes Update dieser Seite am  23.09.2002 um 10:14