Das Evangelische Wort
Sonntag 22. 4. 2001, 6.55 Uhr - 7.00
Uhr, Radio Österreich 1
Pfarrer Wolfgang Olschbaur aus Bregenz
Jesus fragte seine Jünger: Was sagen die Leute, wer ich sei?
Wer ist dieser Jesus, der die Menschen seit jeher fasziniert,
auch irritiert hat?
Ein König, dessen Reich nicht von dieser Welt ist? Wahrer
Gott? Oder doch mehr wahrer Mensch? Eine wandelnde
Ikone? Vegetarier, Proletarier, Feminist, Pazifist,
Anarchist, Revolutionär?
Ist er das wirklich? Alles zusammen oder nur etwas davon?
Nicht einmal seine Jünger waren sich darüber einig.
Wie hat er ausgesehen? Im visuellen Zeitalter ist die Frage
nach dem Erscheinungsbild eines Menschen berechtigt.
Nicht, was einer sagt oder meint oder tut, sondern wie einer
ankommt mit seinem Outfit, das ist wichtig. Hätte Jesus
auch fragen können:
"Was sagen die Leute, wie ich aussehe?"
Ein möglichst echtes Jesusbild wollte man für die
englische Dokumentation "Sohn Gottes" rekonstruieren.
Man ging von der Annahme aus, dass Jesus ein
Durchschnittsmensch gewesen sei in seinem Äußeren,
und rekonstruierte mit Hilfe eines ausgeklügelten
Computerprogramms und anhand eines Totenschädels,
den Archäologen in einem Grab in der Nähe von
Jerusalem gefunden haben, den Prototyp. So soll Jesus
ausgesehen haben: Grobes Gesicht, vorspringende
Nase, dicke Lippen, buschige Augenbrauen, struppiger
Bart, dunkler Typ - jedenfalls Ausländer, von uns aus
betrachtet.
Es gab Proteste gegen dieses "Fahndungsfoto". Man hielt
es für reine Spielerei. Die meisten aber waren der
Meinung, so könnte er tatsächlich ausgesehen haben.
Aber wer weiß das wirklich? Überzeugt von ihrem Jesus-
Bild waren die Menschen früher auch schon. Leonardo z.B.,
er malt Jesus als einen ritterlichen Schönling beim
Abendmahl, in einer vornehmen Loggia, die sich eher in
einem toskanischen Schloss befindet als im
"Oberstübchen" eines palästinensischen Hauses. Oder
Dürer.
Er hat sich gleich selbst als Jesus gemalt mit lockigem
Haar. Und zwischendurch der Hünenhafte, breitschultrig,
germanisch. Jesus muss herhalten für eine Helden-
Saga! Nicht auszudenken: Ein Jude!
Das Grabtuch von Turin. Ist da nicht ein authentischer
Gesichtsabdruck des Gekreuzigten überliefert? Aber
es ist wohl ein Unbekannter gewesen, wahrscheinlich
aus dem 13.Jahrhundert.
Man hat ihn vermutlich gezwungen, die Passion Christi
bis zu ihrem schauderhaften Ende nachzuspielen.
Selbst wenn es echt wäre, das Grabtuch, was nützt es
dem Glauben?
Heißt es nicht: "Der, den ihr sucht ist nicht hier, er ist
auferstanden!" (vgl.Lukas 24,5-6) Und wenn ihr ihn
fassen wolltet, bekommt ihr dann nicht bestenfalls ein
Leichentuch in den Griff? Denn er selbst ist nicht hier!
Er ist auferstanden! Genügt euch nicht, was er in euch
hinterlassen hat?
Heißt es nicht auch: "Du sollst dir kein Bildnis machen!"
(2.Mose 20,4). Du sollst weder Gott noch Menschen
fest machen an deinen fixen Vorstellungen von ihnen,
dass sie frei bleiben und du noch mit Überraschungen
rechnen kannst!
"Was aber sagt ihr, wer ich sei?", fragt Jesus seine
Jünger. (Lukas 9,20). Diese schweigen, denn sie sind
sich nicht sicher. Nur Petrus - wiedereinmal - bekennt
lauthals: "Du bist der Christus Gottes!" (Lukas 9,20b).
Und Jesus darauf geheimnisvoll: "Ihr sollt das niemandem
sagen!" (vgl.Lukas 9,21). Warum dieses Schweigegebot?
Etwa um die Fantasie seiner Nachfolger - damals wie
heute - zu beflügeln?
Jesus fragte seine Jünger: Was sagen die Leute,
wer ich sei?
Lukas 9,18
Letztes Update dieser Seite am 26.04.2001 um 10:37