Das Evangelische Wort
Sonntag 3. 6. 2001, 6.55 Uhr - 7.00
Uhr, Radio Österreich 1
von Mag. Arno Preis
"Nach diesem großen Tag blieb die Gemeinde
der Christen weiterbin eng verbunden. Die
Verantwortung, die einer für den anderen empfand
und das gemeinsame Gebet waren die
verbindenden Kräfte. Wenn sie so gemeinsam
aßen, taten sie es in ihrer einfachen Freude an Gott.
Sie priesen ihn - und das ganze Volk freute sich mit
ihnen."
Ein menschlicher Gott ermöglicht uns Menschen,
zu uns selbst zu kommen. Wir finden uns selbst, zu
unsrer inneren Mitte, zu einem tiefen Sinn. Wir fühlen
uns bejaht und getragen. Ich bin akzeptiert, so wie ich
bin. Ich bin: am richtigen Ort, da wo ich bin. Ich bin
geliebt. Mir wird vergeben. Ich bin nie allein. Das sind
die wichtigsten Erfahrungen des Menschen. Wenn ich
mich selbst gefunden habe, kann ich mich auf den
Weg machen, andere zu finden. So ermöglicht mir ein
menschlicher Gott, zu den Menschen zu gehen. Er ist
Bewegung auf die Menschen hin und er nimmt mich mit.
Es gilt weder das Kriterium der Schönheit, noch das
Kriterium der Nützlichkeit, das Kriterium der Stärke oder
irgendein anderes. Das bedeutet dann aber auch, dass
auch Gescheitertes, dass auch Verfehltes, dass auch
Schwaches und Unscheinbares, dass Unschönes, dass
Behindertes und altes Leben eine unzerstörbare und
unantastbare Würde hat, die in der
Gottesebenbildlichkeit wurzelt. Für Christen kann es
nie und nimmer lebensunwertes Leben geben.
Christen sind also Menschen, die zu den Menschen
gehen. Aber klingt das nicht nach Stress und Zwang
und Überforderung? Es kann sein. dass gewisse
Christen diesen Eindruck erwecken. Bis zur
Selbstaufgabe erschöpfen sie sich im Dienst am
Nächsten. Was ihnen fehlt ist die Leichtigkeit des
Seins, die Freude, das Lockere, das Natürliche. Der
Gang zum Mitmenschen ist keine Zwangshandlung und
keine Zwangsbeglückung. Es kann nur in Freiheit und
Freude und ohne Überforderung geschehen.
Auf dem Weg zu den Menschen können wir uns freuen
über Sinn, Glück und Erfüllung. Wir können
menschliche Erfolge und Leistungen anerkennen. Aber
auf diesem Weg zu den Menschen werden wir auch
die andere Seite kennen lernen, den Schatten, Unrecht
und Unfrieden, die Dunkelheit, durch die viele
Menschen gehen müssen. Wir werden gerade dort
hingehen, wo Lebensqualität und Lebenswürde in
Frage gestellt sind, wo Menschen noch nicht im Licht
der Liebe Gottes leben. Das Offensein für diese
Menschen meint Diakonie: Nachfolge in der
Entsprechung zu den menschlichen, zu dem
diakonischen Gott.
Zunächst soll eine innere Haltung genannt werden, die
auf den ersten Blick leicht übersehen werden könnte. Ich
meine das Vertrauen auf Gottes Vergebung. Damit fängt
es an. Wenn ich um Vergebung bitte, drücke ich damit
aus, dass ich trotz aller Bemühungen immer wieder
scheitere, Fehler mache und schuldig werde. Ich sehe ein,
dass ich eigene Grenzen habe. Diakonie beginnt beim
Bekenntnis meiner Schuld. Sie geschieht, gibt Vertrauen
auf die Vergebung Gottes. Ich bin von der Last des nicht
Gelungenen und Verpassten befreit. Ich bin bereit, mich für
die Gegenwart und Zukunft einzusetzen. Diakonische
Gemeinde beginnt mit erlebter Vergebung. Dies führt zu
einer inneren Wandlung. Ich bin nicht mehr wie vorher. Ich
habe erlebt, was es heißt, bedürftig zu sein. Ich verstehe,
dass ich selbst zu den Gefährdeten und Gescheiterten
gehöre und selbst Defizite aufweise. Mir wurde geholfen.
Ich kann weiter leben.
Diese Einsicht verändert meine Sicht nach außen. Ich
bekomme Sinn für die Bedürftigkeit anderer, ich brauche
mich darüber nicht zu ärgern, zu empören, ich brauche sie
nicht zu verdrängen oder zu verurteilen. Ich brauche sie
auch nicht als Bedrohung, vor der ich mich schützen
müsste, verstehen. Ich fühle mich mit der Bedürftigkeit
anderer Menschen solidarisch und bringe diese
Solidarität auch tatkräftig zum Ausdruck. So ist die
Grundlage der Annahme der Hilfsbedürftigkeit anderer
Menschen, das Eingeständnis der eigenen Hilfsbedürftigkeit.
Das ist im Kern solidarische Diakonie, die weiß, dass wir
alle auf Hilfe angewiesen sind. Und von den vermeintlich
Hilfsbedürftigen, von den anderen, können wir noch etwas
lernen. In gewisser Weise brauchen wir alle auch die
Geringen und Schwachen. Wir erhalten von ihnen vielfältige
Botschaften. Der Kranke zeigt mir meine Gebrechlichkeit,
der Sterbende erinnert mich an meinen Tod, der
Gewalttätige bringt mich auf die Spur meiner eigenen
Gewalt. Der Süchtige fahrt mich an zu den ungestillten
Sehnsüchten in meinem eigenen Leben. Der Gescheiterte
erinnert mich an die Gefährdungen meines eigenen
Lebens. So entsteht eine große innere Solidarität als
Grundlage diakonischer Arbeit. Wir erkennen, wie nahe
uns der schwache Mensch ist und wie eng der Glaube uns
mit ihm verbindet. In der Verantwortung füreinander zeigt
sich die Glaubwürdigkeit unseres Glaubens. Gott zeigt sich
nicht nur den Nächsten, sondern zeigt sich im Nächsten.
Letztes Update dieser Seite am 05.06.2001 um 16:41