Das Evangelische Wort
Sonntag 17. 6. 2001, 6.55 Uhr - 7.00
Uhr, Radio Österreich 1
von Superintendent Paul Weiland
Du treibst mich heute vom Acker, und ich muss
mich vor deinem Angesicht verbergen und muss
unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir’s
gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet.
(1. Mose 4, 14)
Gedanken eines Mörders, aufgezeichnet in der
Bibel.
Gefasst und kooperativ sei er gewesen, die Augen
offen bis zur letzten Sekunde seines Lebens. So
haben Zeugen die Hinrichtung am vergangenen
Montag erlebt.
Wie lange wird es noch dauern, bis Hinrichtungen
wie die des Attentäters von Oklahoma City live im
Fernsehen, dem bestbietenden selbstverständlich,
übertragen werden? Das Schlimme daran: Millionen
werden zusehen.
Noch ist es fast unvorstellbar, schon schien die Zeit
öffentlich zur Schau gestellter Hinrichtungen vorbei,
aber jetzt ist es wieder in den Bereich gedanklicher
Möglichkeit gerückt.
Wozu eigentlich, werden manche von Ihnen fragen.
Ich frage mich das auch.
Als Timothy Mc.Veigh am Montag um 14.14 Uhr
mitteleuropäischer Zeit seine Todesspritze erhalten
hat, waren Überlebende des Attentats und Angehörige
der Opfer des Bombenanschlags dabei. 168
Menschen sind damals ermordet worden. Zehn
Angehörige haben die Hinrichtung im Gefängnis
miterlebt, 300 weitere konnten sie live über einen
internen Video-Kanal beobachten, auch einige
ausgewählte Journalisten. Wegen technischer Probleme
hat sich die Hinrichtung um einige Minuten verzögert.
Und draußen vor dem Gefängnis haben Menschen
heruntergezählt 10, 9, 8...
Natürlich gehören auch mein Mitleid und meine
Sympathie den Opfern und den Angehörigen. Aber
welchen Sinn für die Opfer und für die Angehörigen
soll dieses Schauspiel haben, außer Genugtuung und
Befriedigung von Rachegefühlen?
Der Vollzug des ersten Todesurteils in den USA auf
Bundesebene seit dem Jahr 1963 hat weltweit wieder
die Todesstrafe in Diskussion gebracht. Dazu hat es
übrigens vor wenigen Tagen auch eine
Volksabstimmung in Irland gegeben. Jedenfalls hat
Irland als eines der letzten Länder Europas am 7. Juni
auch über die endgültige Abschaffung der Todesstrafe
abgestimmt. Und der Abschaffung mit mehr als 62
Prozent zugestimmt.
Auch in Amerika häufen sich die Gegner der
Todesstrafe, vor allem wegen des Risikos von
Fehlurteilen. Seit 1973 gibt es mehr als 90 Fälle, wo es
zu Unrecht zu Verurteilungen kam. In zwei von drei Fällen,
in denen gegen die Todesstrafe berufen worden ist, gab
es mildere Strafen, in sieben Prozent der Fälle einen
Freispruch.
Aber für mich ist nicht nur die Gefahr von nicht mehr
wiedergutzumachenden Fehlurteilen Grund gegen die
Todesstrafe zu sein. Meine Begründung liegt in meinem
Glauben, in dem die Erhaltung des Lebens in jeder
Situation oberste Priorität zukommt. Das wird natürlich
deutlich durch das fünfte Gebot "Du sollst nicht töten".
Hier gibt es kein "Wenn und Aber", auch keine
Ausnahmeregelung. Das wird aber auch spürbar und
erkennbar im gesamten Verhalten Gottes zu uns
Menschen. Nicht einmal der Brudermörder Kain erhält
seine nach unseren Maßstäben "gerechte" Strafe. Er
darf weiterleben, sogar beschützt, und er wird
Städtebauer, das heißt er schafft Lebensraum und
Zukunft.
Vergebung ist das Prinzip, mit dem Gott an uns
Menschen handelt. Das er zum Grundmotiv für unser
Überleben gemacht hat.
Ich bin jedenfalls überzeugt, dass kein Mensch und
kein Lebensbereich davon ausgenommen werden darf.
Du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich
vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und
flüchtig sein auf Erden. So wird mir’s gehen, dass mich
totschlägt, wer mich findet. Aber der Herr sprach zu ihm:
Nein...Und der Herr machte ein Zeichen an Kain, dass
ihn niemand erschlüge, der ihn fände...Und Kain baute
eine Stadt, die nannte er nach seines Sohnes Namen
Henoch. (1. Mose 4, 14.15.17b)
Letztes Update dieser Seite am 18.06.2001 um 12:07