Das Evangelische Wort
Sonntag 22. 7. 2001, 6.55 Uhr - 7.00
Uhr, Radio Österreich 1
von Mag.Gisela Ebmer
"Zachäus, steig eilends herab! Denn heute muss
ich in deinem Hause bleiben. Und er stieg eilends
herab und nahm Jesus mit Freuden auf."
Unwillkürlich ist mir letzte Woche der biblische
Zachäus eingefallen, als das Internationale
Olympische Komitee Peking als Austragungsort für
die Sommerspiele 2008 ernannt hat. "Und als sie
es sahen" – so heißt es im Lukasevangelium weiter,
"murrten sie alle und sagten: Bei einem sündigen
Mann ist er eingekehrt um Herberge zu nehmen."
Zachäus war ein Zolleinnehmer. Ein Jude, der für die
römische Besatzungsmacht Steuern und Zölle
einnahm. Alleine dafür schon verhasst. Ein Verräter
des jüdischen Volkes, ein Kollaborateur mit den
Feinden. Zachäus musste noch dazu mehr Geld
einnehmen als die Römer verlangten, denn er brauchte
ja selbst was zum Leben. Und wenn man sowieso schon
ganz unten steht in der Gunst des eigenen Volkes, dann
ist es auch schon egal, wenn man den Leuten noch ein
bisschen mehr Geld abknöpft. Wenn ihn keiner mag,
dann mag er auch niemanden. Das war die Devise des
Zachäus.
Die Sünden von Peking heute sind viel schlimmer. China
ist das Land mit den meisten Hinrichtungen pro Jahr.
1800 , das sind so viele wie in der ganzen restlichen Welt
zusammen genommen. Mit den Organen der
Hingerichteten wird Handel getrieben. Die Massaker auf
dem sogenannten Platz des Himmlischen Friedens sind
uns noch in guter Erinnerung. Und die Besetzung Tibets,
die Zerstörung einer jahrtausendealten Kultur und Religion
empören die ganze Welt.
Und trotz alledem wurde China auserwählt, Sportler aus
aller Welt zu beherbergen. Vielleicht könnte diese
Entscheidung ein bisschen im Sinne Jesu verstanden
werden: Jesus ist nicht zu Zachäus gegangen und hat
gesagt: Du Zachäus, wenn du umkehrst und bereust, wenn
du die Hälfte deines Besitzes den Armen gibst und
Erpresstes vierfach zurückgibst, dann will ich gerne dein
Gast sein. Sonst aber nicht. Wenn du dich nicht änderst, will
ich nichts mit dir zu tun haben. – Seien wir uns ehrlich, das
wäre die ganz normale menschliche Reaktion gewesen. Und
manchmal denke ich mir, so hätte man auch mit China
verfahren sollen.
Aber Jesus tat genau das Gegenteil: Zachäus, ich komm zu
dir. Ohne Wenn und Aber. Stellen wir uns vor, wie es diesem
kleinen Mann da gegangen sein muss. Eine riesige Menge
von Menschen ist da, um Jesus zu sehen. Zachäus sitzt auf
einem Baum, um auch einen Blick zu erhaschen. Und plötzlich
ist er im Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Die Augen aller sind auf
ihn gerichtet. Jetzt wollen alle sehen, wer er ist, wie er lebt, wie
er lügt und betrügt. Ist es Angst vor diesem Scheinwerferlicht,
das ihn zur Umkehr bewegt oder ist es schlechtes Gewissen?
Wenn dir jemand was Gutes tut, musst du ihm auch was Gutes
tun. Das verlangt der Anstand.
Vielleicht ist es aber ganz einfach nur das, was in der Bibel
steht: Freude. Die Freude eines Mannes, der jahrelang isoliert
war, verachtet, das allerletzte in den Augen vieler. Und der jetzt
plötzlich ganz normal behandelt wird. Da kommt jemand
Berühmter und will Herberge bei ihm. So wie wenn er sein
Leben lang nichts anderes getan hätte als gastfreundlich zu
sein und Menschen aufzunehmen. Und vielleicht ermöglicht ihm
dieses normal Behandelt werden, selber normal zu werden.
Irgendwie kennen wir diesen Mechanismus ja auch von uns
selber: An Tagen, wo wir gut drauf sind, wo wir uns geschätzt
und geliebt fühlen, da sind wir auch liebevoll zu anderen, tolerant
und gelassen. Da kann uns nichts so leicht aus der Ruhe bringen.
Aber wenn‘s uns nicht gut geht, wenn wir uns nicht geliebt fühlen,
nicht ernstgenommen oder isoliert sind, da sind wir grantig,
misstrauisch, werden leicht zornig, sind unfreundlich und
streitsüchtig. Jesus ist dem Zachäus freundlich begegnet und hat
ihm damit die Chance gegeben, selber freundlich zu sein. Und er
hat diese Chance wahrgenommen.
Und ich denke, es kann auch für China eine Chance sein, durch
die Öffnung der Welt selber offener zu werden für die Menschen
im eigenen Land. Zum einen, weil es plötzlich im Blickpunkt der
Öffentlichkeit steht und die Medien das ihre dazu tun werden, um
möglichst alles aufzudecken. Vielleicht sehen auch Regimekritiker
eine Chance auf Solidarität in der weiten Welt und melden sich
mehr zu Wort. Zunächst aber ist da wohl ganz einfach die Freude
mit dabei zu sein und ernst genommen zu werden. Und daraus
entsteht vielleicht das Bedürfnis auch in Bezug auf die eigene
Politik dazu zu gehören zu einer Welt, in der so fair gespielt
werden soll wie bei den Olympischen Spielen.
Letztes Update dieser Seite am 20.07.2001 um 09:00