Das Evangelische Wort Das Evangelische Wort Das Evangelische Wort Das Evangelische Wort

Das Evangelische Wort
Sonntag, 29. Juli 2001, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1 

von Josef Prinz

Wie ich an der Grenze nach Tarvis aufgehalten werde, 
fällt mir ein, dass ja gerade der Gipfel ist, in Genua. 
Zuerst schaut der Grenzbeamte lange meinen Reisepass
 an, dann mich. Dann fragt er mich, wohin ich fahre und 
warum. Ich sage nur etwas verwirrt: Urlaub. Ich kann 
aber noch immer nicht weiterfahren. Denn zuerst fragt 
der jüngere den älteren Grenzbeamten: "andare via?",
 "kann er weiterfahren?" Erst dann gibt er mir das 
Zeichen zur Weiterfahrt.

An dieser Stelle meiner Urlaubsfahrt ist mir Thomas 
eingefallen, Thomas, den sie an der Grenze vielleicht 
nicht so ohne weiteres durchgelassen hätten; ja, 
wenn Thomas noch leben würde.

Thomas wäre wahrscheinlich mit dem Zug nach 
Genua gefahren. Vielleicht wäre er lieber nach 
Bonn gefahren. Zur Klimakonferenz. Ich kann ihn 
leider nicht mehr fragen. Thomas hätte vielleicht 
sein Rad dabei gehabt. Radfahren ist gesünder 
für Leib und Seele und auch für den ganzen Globus. 
Thomas hätte sich über Genua und über Bonn nicht 
nur von Fernsehkommentatoren informieren lassen.

Das wichtigste Medium für Thomas waren immer 
die Menschen vor Ort, mit denen er seine persönlichen 
Gespräche führte.

Thomas war sehr eigenwillig. Er war aber keiner, 
der gesagt hat: Ich weiß, wo es lang geht. Er hat 
gesagt: Lasst es mich herausfinden. Lasst bitte 
mich die neuen Wege ausprobieren: Lasst mich 
vorausgehen, lasst mich auskundschaften, wie 
das ist, wenn man nicht nach dem Motto lebt: Vor
 mir die Sintflut, und hinter mir der Müllhaufen der 
Geschichte.

Leider ist Thomas all zu früh an einer rätselhaften
 Krankheit verstorben, und ich bin der Pfarrer, der 
ihn zu beerdigen hatte. Thomas ist mir von seinen 
Freunden als Kundschafter des neuen Himmels 
und der neuen Erde geschildert worden. Freilich 
nicht mit diesen großen Worten. Im wirklichen Leben 
sind es immer die kleineren, unscheinbaren Sachen, 
auf die es ankommt:

Jesus hat von einem kleinen Weizenkorn gesprochen.
 Er hat gesagt: Wenn das Weizenkorn nicht in die 
Erde fällt und stirbt, bleibt es für sich allein. Wenn 
es aber in die Erde fällt und stirbt, bringt es viel Frucht.

 

Musik

Ich bin im Urlaub auch viel mit dem Fahrrad unterwegs. 
An einer Stelle überholt mich ein dickes Auto. Heraus 
steigt eine elegant gekleidete Frau. Sie legt einen mit 
Müll überfüllten Plastiksack einfach so auf den 
Straßenrand. Wie sie den Sack hinlegt rollt eine 
gebrauchte Windel heraus. Ich beginne schneller 
zu strampeln, aus Neugier , damit ich auch die
 Insassen des Wagens genauer besehen kann.
 Ein herziges Kind und der dazugehörige fesche 
Vater. Nachdem ich sie überholt habe, startet der 
Wagen und sie fahren, um einen unappetitlichen 
Müllsack erleichtert, weiter. In Richtung nördliche 
Heimat wie ich vermute.

Was hätte Thomas an meiner Stelle gemacht? 
Wäre er - wie ich mit innerer moralischer Empörung - 
vorbeigeradelt? Hatte er die beiden in ein freundliches 
Gespräch verwickelt?

Es sind die kleinen Weichenstellungen, an denen die
 großen Zukunftsentscheidungen fallen. Menschen 
wie Thomas haben mehr mit der Zukunft unseres 
Globus zu tun als so mancher Wirtschaftsgipfel. 
Menschen wie Thomas sind die Weizenkörner, 
von denen unser aller Globus einmal leben wird.

 

 

 

 

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Letztes Update dieser Seite am  13.09.2001 um 14:34