Das Evangelische Wort
Sonntag 12. August 2001, 6.55 Uhr - 7.00
Uhr, Radio Österreich 1
von Pfarrer Gerold Lehner
Und Gott sprach zu Abraham:
Verlaß dein Vaterland, deine Verwandtschaft und deines
Vaters haus und geh in ein Land daß ich dir zeigen werde!
Und Abraham sprach daraufhin zu Gott: Warum? Wir leben
hier seit Generationen, wir sind verwurzelt in der Stadt, wir
haben Beziehungen, wir kennen die Leute, sie kennen uns.
Warum soll ich da weggehen? Weißt du eigentlich, daß Leute
in anderen Ländern andere Sprachen sprechen? Was soll ich
dort, wo ich niemanden verstehe? Was kann dort geschehen,
was nicht auch hier geschehen könnte? Und überhaupt, das
ist so radikal!
Und Gott sprach zu Mose: Geh hin und befreie mein Volk aus
der Knechtschaft Ägyptens!
Da sprach Mose zu Gott: Na ja, das ist sicher gut gemeint, aber
weißt du, eigentlich ist das alles halb so wild: Wir haben hier
unser geregeltes Einkommen, natürlich könnte es besser sein,
wir wissen woran wir sind, was wir zu erwarten haben,- auch wenn
das nicht immer so angenehm ist, zugegeben. Ich weiß nicht recht,
irgendwie geht es uns doch gar nicht so schlecht, also warum
weggehen aus Ägypten?
Und Abraham blieb in seiner Heimatstadt Ur, und die Kinder Israels
in Ägypten. Abraham wurde alt, war ein angesehener Mann und
wurde vergessen wie Millionen vor ihm, Mose blieb ein ewiger
Kronprinz in Ägypten und das Volk Israel wurde assimiliert und
ging in Ägypten auf.
Das Himmelreich gleicht einem Schatz,
verborgen im Acker
den ein Mensch fand und verbarg.
Und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles was er hat
und kaufte den Acker.
Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann der gute Perlen suchte
und als er eine kostbare Perle fand
ging er hin und verkaufte alles, was er hatte
und kaufte sie.
Matthäus 13, 44-46
Da geht es immer wieder ums Ganze. Der Mensch, der den
Schatz im Acker findet, der Kaufmann der die Perle aufspürt:
sie gehen aufs Ganze, sie lassen sich darauf ein und geben
als Einsatz alles. Sie sind überwältigt von dem einen.
Und das ist immer wieder so gewesen.
Menschen haben sich ganz darauf eingelassen. Abraham ist
gegangen und hat sich aufgemacht ins Ungewisse, hat vertrauen
gelernt, ohne zu wissen wo das alles hinaussollte. Aber, wo wäre
die Gottesgeschichte ohne ihn? Und hat er es bereut? Er stirbt alt
und lebenssatt. Wie klein auch immer hat er den Anfang einer
neuen Geschichte erlebt die weiterreicht bis in unsere Gegenwart.
Und wie war das bei Martin Luther King? Hat es da nicht auch eine
Stimme gegeben in ihm die gesagt hat: He, Martin, glaubst du denn
du bist dazu berufen etwas zu ändern? Das müssen die Politiker
tun! Du kannst da gar nichts machen. Du bist ein Prediger in einer
schwarzen Gemeinde und wenn du die Leute trösten kannst, dann
ist das schon viel.
Und dann hat er einen Leserbrief geschrieben, der nie abgedruckt
wurde, und geändert hat sich nichts.
Nein, Gott sei es gedankt, so war es nicht. Er hat sich ganz darauf
eingelassen, alles auf diese Karte gesetzt.
Und,- was hat es ihm gebracht? Er ist erschossen worden!
Ja, das stimmt. Und das war schwer zu ertragen für seine Familie.
Aber er hätte nicht getauscht, er hätte es nicht rückgängig machen
wollen. Seine Wahl hat dazu geführt, daß er die Kraft gesehen hat,
die von der Bergpredigt Jesu ausging, von der Feindesliebe. Er
hat etwas erlebt, von dem er sich vorher kaum hätte träumen lassen
daß es möglich wäre,- daß nämlich die Schwachheit die Kraft
überwindet, die Liebe den Haß.
Das Evangelium, das Reich der Himmel, ist eine Sache die ich nur
mit beiden Händen ergreifen kann. Und das kann ich nur, wenn
ich zuerst alles andere loslasse. Vielleicht ist unser abendländisch-
europäisches Christentum oft so kraftlos, weil wir das Evangelium
nicht mehr richtig ergreifen können oder wollen. Unsere Hände
sind zu voll. Und wer läßt schon gerne los?
Aber dort, wo Menschen sich ganz auf das eingelassen haben,
dort Himmel auf Erden geschehen.
Letztes Update dieser Seite am 20.09.2001 um 16:31