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Das Evangelische Wort
Sonntag 28. 1. 2001, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1

 

Pfarrer Peter Pröglhöf, Salzburg

In Psalm 138, Vers 3 lesen wir: "Wenn ich dich anrufe, so erhörst 
du mich und gibst meiner Seele große Kraft."

Neulich im morgendlichen Berufsverkehr in Salzburg, eine fast 
typische Szene: Bei einem O-Bus hat sich ein Stromabnehmer 
ausgehängt, das Ungetüm steht mitten auf einer Kreuzung, kann 
weder vor noch zurück, weil es die Verbindung zu seiner 
Energiequelle verloren hat. Es bildet sich gerade ein scheinbar 
unentwirrbarer Verkehrsstau, die Autos kommen an dem 
liegengebliebenen Bus nicht vorbei. Der arme, von vielen 
wütenden oder auch manchen mitleidigen Blicken beobachtete 
Fahrer ist ausgestiegen und versucht mühsam, mit einer langen 
Stange den Stromabnehmer wieder einzuhängen.

Mir scheint, manchmal haben nicht nur O-Busse die Verbindung 
zu ihrer Energiequelle verloren. Auch wir Menschen können so 
liegen bleiben. Ich denke an Menschen, die ausgebrannt und 
erschöpft von den Anforderungen des Alltags sind, von Problemen 
im Beruf oder Sorgen in der Familie. Wenn man Umfragen glauben 
darf, dann wünschen sich die meisten Menschen aber gerade die 
Familie als Kraftquelle, als Ort der Geborgenheit, wo sie auftanken 
können. Was passiert dann, wenn das Familienleben auch belastet 
und gar nicht harmonisch ist? Ist die Energiequelle dann weg, 
sozusagen der Stromabnehmer ausgehängt?

Das ist die Gefahr von allen Kraftquellen, die Menschen sich auf 
dieser Welt suchen: Sie sind vergänglich. Ob es die Familie ist, 
die zerbrechen kann; ob es der Sport ist, den ich nicht mehr 
ausüben kann, wenn mich meine Gesundheit verlässt; ob es 
das besondere Meditationsprogramm ist, das mich doch wieder 
auf mich selbst zurückwirft: Das alles ist vergänglich. Um nicht 
missverstanden zu werden: Das heißt nicht, dass diese 
Kraftquellen schlecht sind, ich meine nur, dass sie manchmal 
überfordert werden; um im Bild zu bleiben: dass der Strom 
zusammenbricht, weil zu viele Erwartungen daran gehängt werden.

Die einzige Kraftquelle, die immer genug Energie hat, ist nach der 
Erfahrung von Menschen, die an Gott glauben, Gott selbst. Freilich, 
auch beim Glauben an Gott gibt es die Erfahrung von Krisen, gibt 
es das Gefühl, von dieser Energiequelle abgehängt zu sein. 
Neben den gar so optimistisch klingenden Psalmvers "Wenn ich 
dich anrufe, so erhörst du mich" muss man sicher auch jene 
biblischen Erfahrungen stellen, in denen davon die Rede ist, dass 
Gott schweigt und ferne scheint. Aber diese Krisen gehören - wie 
in jeder Liebesbeziehung - auch zur Beziehung mit Gott dazu. Vor 
allem die Dichter der Psalmen geben die Erfahrung weiter, dass 
durch solche Krisen hindurch die "Kraftquelle Gott" nicht versiegt.

Ich wünsche Ihnen, dass schon der heutige Sonntag eine 
Möglichkeit bietet, sozusagen Ihren Stromabnehmer wieder 
einzuhängen, wenn Sie vielleicht das Gefühl haben, dass er sich 
schon eine ganze Weile ausgehängt hat. Allerdings, an dieser 
Stelle müssen wir das Bild verlassen: Es ist nicht wie beim 
Busfahrer, der sich abmüht, den Stromabnehmer wieder 
einzuhängen. Es ist nicht unsere eigene Mühe und Anstrengung, 
die Verbindung zu Gott wiederherzustellen, sondern es ist ein 
Geschenk. Ein Geschenk aber, das angenommen werden will.

Vielleicht gibt Ihnen der heutige Sonntag Gelegenheit dazu, damit 
wir gemeinsam einstimmen können in das Gebet des Psalmisten:

"Wenn ich dich anrufe, so erhörst du mich und gibst meiner Seele 
große Kraft."

 

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Letztes Update dieser Seite am  29.01.2001 um 11:10