Schwester Kunigunde Fürst

Gedanken für den Tag
Montag bis Samstag, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1

 

"Einfach sein - einfach leben"
von Schwester Kunigunde Fürst

 

Montag, 19.3.2001

Die Faszination, die für mich von den paar Worten - "einfach 
sein, einfach leben" -
ausgeht, ist allmählich geworden. War 
es zunächst eine hilflose Ratlosigkeit, so ist es
jetzt eine Art 
von Herausforderung und auch Ermutigung. Dieses Motto - 
einfach sein,
einfach leben - steht auf dem Folder unserer 
Gemeinschaft, der Franziskanerinnen von
Vöcklabruck. An 
der "Entstehungsgeschichte" möchte ich sie in aller Kürze
 
teilnehmen lassen und erzählen, wie es zu diesem unruhig 
machenden Motto
gekommen ist. Das Leben in unserer 
Ordensgemeinschaft, einer Gruppe von
Franziskanerinnen, 
sollte auf einem Faltblatt übersichtlich und ansprechend 
gestaltet
werden. Unser Ziel war es, Menschen zu sagen: 
Es gibt uns und das sind wir. So setzte sich ein 
Medienfachmann einen Nachmittag mit uns zusammen 
und hörte
einfach zu, was wir so über uns zu berichten 
wussten: Wir sprachen über unsere
Anfänge vor 150 
Jahren, über die Schwierigkeiten, Probleme dieser 
Pionierzeit, über
das Wachsen und das zähe, vom 
Glauben getragene Durchhalten der Schwestern 
durch
die Jahrzehnte, über den intensiven Einsatz 
unserer Mitschwestern bei Kindern und
jungen 
Menschen, bei alten, armen und kranken Menschen. 
Wir erzählten von den
Phasen der Not und 
Entbehrung, in denen sich die Schwestern wie 
Ausgestoßene der
Gesellschaft vorkamen, aber 
auch von der Anerkennung, die ihnen entgegengebracht
 
wurde, immer wieder kamen wir dabei an einen Punkt, 
der für das Leben und das
Wirken der Schwestern wichtig 
war. Wie ein roter Faden zog es sich durch die Jahre:
wir 
haben den Auftrag, den gewöhnlichen Leuten und mit ihnen 
zu leben. Die
Überraschung bestand nun darin, dass in all 
dem unser Zuhörer eine Spur entdeckte,
die er zusammen 
fasste in den Worten: einfach sein - einfach leben. Das ist 
nun 6 Jahre
her. Sich dieses Wort als Markenzeichen bzw. 
als Erkennungszeichen sagen zu
lassen, war bei mir 
zunächst mit erstaunter Hilflosigkeit verbunden. Stimmt 
das
wirklich für uns? Wir nahmen uns Bedenkzeit, bis wir 
schließlich einwilligten und
darin einen Anspruch aus 
unserer Gründungs- und Ordensgeschichte für die Zukunft
 
erblickten. Ja, es ist herausfordernd, wenn da jemand über 
dich ein Wort spricht, das
dich charakterisieren soll. Und 
wenn es nur heißt, bist du ein praktischer Typ, oder du
hast 
ein gutes Gespür, oder: du bist super - es bewegt sich 
etwas in unserem Herzen.
Bei mir war es das Wort "einfach 
sein - einfach leben".

Dienstag, 20.3.2001
Ich habe das Bild eines Menschen vor mir, einer Frau, die 
das Leben
durchgerüttelt hat. Sie wusste, was Entbehrung ist, 
Heimatlosigkeit,
Schwachsein, Kranksein und schließlich 
Erblinden. Sie musste als Mutter mit
drei kleinen Kindern 
flüchten, der Mann war im Krieg. Nichts Spektakuläres
oder 
Außergewöhnliches gibt es aus ihrem Leben zu berichten. Ein 
einfaches
Leben, ein bescheidenes Leben! Wenn sie aus ihrem 
Leben erzählte, dann spürte man etwas durch, das ich mit
 
Klarheit und innerem Einklang in Verbindung bringen möchte. 
Ihre Lebenstage,
viele davon Tage des Leidens, manche auch 
Tage der Freude und der
Dankbarkeit, wie sie jeder Mensch 
kennt, hat sie angenommen, wie sie
gekommen sind. Mitunter 
hat sie schon auch gehadert mit ihrem Schicksal. Sie
hat 
darunter gelitten, dass viele Träume nicht wahr geworden sind. 
Sie hat
manchmal auch geklagt über das, was sie alles aushalten 
musste. Sie hätte sich
manches anders gewünscht! Aber in ihrer 
schlichten, einfachen Haltung dem
Leben - und wohl auch ihrem 
Gott gegenüber - hat sie ihr tägliches JA
gesprochen.
Man könnte schlichtweg meinen, das wäre naiv und geht am 
wirklichen Leben
vorbei; der Horizont reichte nicht weiter als 
bis zur eigenen Haustür; ihre
Bedürfnisse und Sehnsüchte 
wurden abgeschnitten und durften nicht zu Wort
kommen. Das 
stimmt nicht.
Sie hatte ein Lebenswissen, um das ich sie beneide. 
Sie kannte sich gut genug,
und konnte so stark und schwach 
zugleich sein. Sie hat sich auch nichts
vorgemacht, sondern 
gespürt und ernst genommen, was jeder Augenblick für sie
bereit 
hielt - an Schwerem und an Schönem.
Sie ist nicht die Einzige, 
der ich begegnet bin und von der ich sagen kann, dass
sie mit 
vielen bitteren Erfahrungen des Lebens gütig umgehen konnte, 
dass sie
keine Schuldzuweisungen brauchte, um mit den 
Durchkreuzungen des Lebens
fertig zu werden. Es gab bei 
ihnen ein unausgesprochenes und sicheres
Einverständnis mit 
dem Schicksal, ein unbefragtes vertrauensvolles Festhalten
an 
Gott, wie es in den Psalmen steht: Du bist meine Burg, mein Fels, 
auf dich
vertraue ich.
Erst vor einigen Tagen hieß es beim Abschiednehmen von 
einer solchen Frau:
Sie war einfach, eine von uns, aber menschlich groß und gut.

Mittwoch, 21.3.2001
Den Lebensalltag empfinden viele Menschen als sehr 
komplex, ja streckenweise
kompliziert, ruhelos und stressig. 
Hat man früher gewusst, woher alles kam und
wie es dazu 
kam, so sind es heute die vernetztesten Wege, bis ein Stück 
Brot auf
dem Tisch liegt. Die einfachsten Maschinen brauchen 
eine genaue Anweisung, wie sie zu
handhaben sind, damit 
passiert, was man erreichen möchte. Für die, die sich
auskennen 
und so zurechtfinden im Gewirr der Stimmen und in der Menge 
der
Angebote, ist vieles einfach zum Handhaben. "Ist nichts dabei", 
sagen sie.
Ein Stadtplan ist günstig, wenn man weiß, wo man steht 
und weiß, wohin man
will. Wie schwierig kann es dennoch sein, 
wenn der Orientierungssinn fehlt! Ich
kenne das von einer 
Wanderung durch den Kobernaußerwald. Es war traumhaft
schön in 
dieser schier endlosen Waldregion. Aber man braucht Zeit und ein
 
Gespür für die Richtung - oder jemanden, der sich auskennt, um ans 
Ziel zu
kommen. Zum Glück gab es diese Hilfe. Sich im Leben 
zurechtzufinden, stellt an uns Menschen - ob jung oder alt - enorme 
Anforderungen. Da ist eine Berufsentscheidung zu treffen, dort ist 
eine mögliche Ausbildung, aber es fehlt das Geld dazu; da ist auf die 
Familie Rücksicht zu nehmen, dort wird überhaupt nicht danach gefragt. 
Da braucht
einer Hilfe, aber wohin gehen, ohne das Gesicht zu 
verlieren. Dort möchte
jemand arbeiten, aber es gibt keinen Platz. Es 
wird viel vom Menschen verlangt,
wenn er sich auf dem globalen 
Markt, in den gesellschaftlichen Situationen und
den politischen 
Verhältnissen behaupten will und auch soll. In den seltensten
Fällen 
gibt es das passende Rezept oder die Handlungsanweisung, die mir 
die
100%ige Gewissheit gibt, dass der gesetzte Schritt auch 
tatsächlich zielführend
ist. Es scheint kompliziert zu sein, sich im 
Leben zurechtzufinden. Und es gibt auch
welche, die sagen, das 
Leben sei lebensgefährlich.
Nur bringt das Einigeln nichts, um dem 
Gefahrvollen auszukommen. Genauso
wenig wie die Meinung, sich 
in die Gefahr hineinzubegeben in der Hoffnung,
irgendwie wird es 
schon gehen. Es mag Lebenskünstler geben, ich gehöre nicht
dazu. 
Mir ist es lieber, wenn ich dem, was kommt, was sich ankündigt,
 
entgegenschauen kann, wenn ich abwägen kann und nicht zuletzt 
mir auch
helfen lasse. Und wenn mir die Probleme zu kompliziert 
werden, dann brauche
ich einen Ort der Ruhe, wo alles langsamer 
ist und wo ich wach bin für das, was
hinter der komplexen Gestalt ist. 
Es ist für mich einfach das Gebet.
Für mich hat das zu tun mit einer 
Portion Kühnheit, durch die ich Komplexes
und Kompliziertes einfach 
sein lassen kann. Ich will dem Wort Jesu vertrauen:
Bleibt in meiner 
Liebe, dann könnt ihr Frucht bringen.

Donnerstag, 22.3.2001
Das Wissen hat sich vermehrt in einem solchen Übermaß und in einer
 
Schnelligkeit, dass unser kleines Hirn bis auf einige Ausnahmen dies 
nicht mehr
so ganz begreift. Deshalb sucht man nach Ersatzhirnen, die 
mehr
Speicherkapazität haben! Dazu kommt, dass für manche 
Menschen alles in Zeitungen gedruckte oder
illustrierte, alles in Bild und 
Ton ansprechend verpackte eine quasi religiöse
Funktion hat: was auch 
nur den Anschein von Wissenschaftlichkeit erhebt, ist glaubhaft und
ist 
lebensfördernd. Lebenshilfen, die noch dazu statistisch untermauert sind, 
sind
im Trend der Heilsbringer. Psychotests garantieren Erfolg, Gurus in 
Weiß
versprechen die Leichtigkeit des Seins, per Mausklick kann man 
das Glück auf
Raten und ähnliches mehr haben. Sie sind zwar teuer, aber 
vielleicht gerade
deshalb erstrebenswert. Wer hier nicht mittut, nicht kann 
oder will, den stellt die allgemeine Meinung ins Eck der Biederkeit oder 
er wird gar zum Außenseiter, zum Lebensuntüchtigen und Glücklosen.
Eine andere Seite der ins Wissen verliebten Gesellschaft ist die: wer 
alles zu
wissen vorgibt, alles im Griff zu haben scheint oder tut, als wäre 
er Herr über
alles, dem stehen die Tore des Erfolgs und des Glücks offen. 
Selbst wenn wir
oftmals schmerzhaft erfahren, wie zerbrechlich 
menschliches Mühen und Planen
ist, im Hinterkopf ist der Gedanke da, 
wenn ich nur...!!!
Im Blick auf Franz von Assisi wird das Denken in Mustern der 
Besonderheit,
der Gescheitheit, des Glücks im Alles-Haben und 
Alles-Genießen umgekehrt. Er
hat durch Jahre in der Vorstellung gelebt, 
etwas sein, berühmt sein, jemand sein,
viel haben und wissen, das wäre 
Lebensglück. Es hat auch Jahre gedauert, bis er
seinen Weg des 
einfachen Glaubens und einfachen Lebens gefunden hat. Er gilt
als der 
Mensch, der mit allen seinen Sinnen die Verletzlichkeit, die
Gebrochenheit 
und die Schönheit der ihn umgebenden Welt gespürt hat. Sein
zärtlicher 
Umgang mit allen und allem ist sprichwörtlich.
Von ihm her kommt uns das 
Erbe zu, in bewusster Einfachheit den Kern der
Dinge wahrzunehmen, ihre 
Botschaft zu hören und uns darüber zu freuen. Von
ihm her kommt das 
Schauen und Aufmerken auf die Bewegungen des Lebens,
im Augenblick 
das schöpferische Tun Gottes zu erahnen. Selig, die arm sind vor
Gott; 
das gilt für Franz von Assisi; es gilt für den, der sich in seine Nähe 
begibt.
Und es heißt - selig, wer einfach lebt und mit seinen Sinnen 
das Leben
wahrzunehmen vermag!
Im einfachen Hinhören auf den Rhythmus des Lebendigen, auf das 
Schlagen
des Herzens, auf die Stille, sofern sie noch auffindbar ist, wird 
tiefere
Lebenshilfe vermittelt.

Freitag, 23.3.2001
Ich stamme aus einfachen Verhältnissen. So sage ich öfters, wenn ich 
gefragt
werde, woher ich denn sei. Und was verbinde ich damit? Es 
hat zunächst zu tun mit der gesellschaftlichen Gruppe, zu der ich durch 
meine
Geburt auf einem kleinen Bauernhof gehöre. Und es hat zu tun mit 
der Art, wie
bei uns Familie gelebt wurde. Unser Umgang miteinander war 
unkompliziert,
die Eltern hatten natürlich das Sagen. Die Art unseres 
Essens und Wohnens war
schlicht, aber es fehlte uns Kindern nichts. 
Wir fühlten uns wohl in unserem
Zuhause und auch in den Traditionen, 
den bäuerlichen und religiösen. Sie
wurden wie selbstverständlich gelebt. 
Ich bin stolz auf meine Herkunft aus
diesen einfachen Verhältnissen.
Zugleich weiß ich, dass ich aus einer privilegierten Schicht der 
Gesellschaft
komme und aus einer Familie besonderer Art: Wir hatten 
ein eigenes Bett, das
konnten die Kinder vom Nachbarn nicht ihr eigen 
nennen; wir hatten eine Stube
zum Spielen und Spielzeug; wir hatten 
einen Platz, die Aufgabe zu machen, und
Bücher zum Lesen. Wir hatten 
Eltern, die um uns sorgten, die mit uns beteten
und uns zur Mitarbeit 
heranzogen. Wir hatten früh schon eine Waschmaschine,
eine 
Melkmaschine, einen Traktor, ein Auto, Dinge, die die Arbeit in Haus
 
und Hof erleichtern sollte, wie Vater immer wieder sagte.
Einfache Verhältnisse, der Name sagt es schon, sind immer im 
Verhältnis auf
andere hin zu sehen und zu beurteilen. Was dem einen 
einfach erscheint, ist für
den andern schon ein Luxus; was für den einen 
einen Wert darstellt, kann für
einen andern selbstverständlich sein.
Einfache Verhältnisse - sie sind meine Lebensform geblieben und ist 
die
Lebensform vieler, die in franziskanischer Weise leben wollen. 
Franziskus trägt
seinen ersten Gefährten auf, sie sollen mit ihren 
Händen arbeiten, sie sollen
unterwegs keine Streitgespräche führen, 
sie sollen keine Chefposten
übernehmen, sie sollen sich füreinander 
verantwortlich wissen und auch, ihr
habt keinen Ort, kein Kloster - die 
ganze Welt ist euer Kloster!
So ideal das klingt, für uns als 
Franziskanerinnen ist es ein Stachel im Fleisch
unseres oft recht 
bürgerlichen und sesshaften Lebens.

Samstag, 24.3.2001
In der Zeitung las ich kürzlich eine Kurzreportage über den Kongo; 
aktuell
durch den Bürgerkrieg und den Tod des Präsidenten Kabila. 
Im Untertitel bzw.
in der Kurzfassung des Artikels stand: Dort leben 
einfache Menschen.
Es interessierte mich, was denn damit gemeint 
ist, einfache Menschen. Ich las
und stieß auf die Begegnung des 
Reporters mit Frauen, von denen er sagte, sie
seien "einfache 
Menschen". Und so beschreibt er sie: Sie bemühen sich mit
allen 
ihnen zur Verfügung stehenden Kräften und Mitteln, ihrem Leben eine
 
neue Richtung zu geben. Sie wollen lesen, rechnen, schreiben lernen. 
Sie wollen
am gesellschaftlichen Leben mitwirken und nicht mehr zum 
Stummsein
verurteilt sein. Die Zeit, Kinder zu bekommen, ist vorbei, 
nun ist ein Aufbruch
aus der Lethargie des Alltäglichen angesagt, 
doch die politische Situation ist ein
großes Hindernis in diesem 
Kampf um mehr Lebensrechte.
Einfache Menschen, nennt sie der 
Reporter. Ja, es sind einfache Menschen,
weil sie keine Macht haben, 
sich gegen Korruption und politische Misswirtschaft
zur Wehr zu setzen. 
Sie sind einfach, weil ihnen die Beziehungen fehlen, die
man braucht, 
um etwas zu erreichen. Sie haben keine Lobby, die für sie eintritt.
Sie sind auch deshalb einfach, weil sie spüren, wo sie der Schuh 
drückt.
Deshalb würde ich sagen, es sind einfach mutige Menschen, 
weil sie aus ihrer
Zurückhaltung erwachen und ihrem Leben einen neuen 
Inhalt geben wollen.
Viele von uns können es sich aussuchen, alternativ 
zu leben, d.h. anders als die
meisten. Wir können bewusst einfach leben! 
Es wird uns nicht aufgezwungen aus
irgendwelchen äußeren 
Bedingungen. Wir können uns entscheiden, so oder so.
Es gibt aber 
auch die Menschen, die es sich nicht aussuchen können, sie sind in
 
die Situation hineingezwängt - ob in Afrika, Asien oder auch bei uns. 
Und da frage ich mich, ob ich Solidarität mit einfachen Menschen kenne 
und
lebe und ob es sie unter uns auch gibt? Finden sie durch uns eine 
Lobby, die für
ihre Interessen und ihrem Wunsch nach einem Mehr an 
Lebensqualität eintritt?
Können sie von uns erwarten, dass wir ihnen Mut 
machen und Hilfe geben,
allem, was sie erniedrigt, zu entkommen? Die 
Solidarität beginnt meines
Erachtens damit, dass mir in Herz und Hirn 
klar wird, dass auch der einfache
Mensch von Gott geliebt und mit Würde 
begabt ist.

 

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