Gedanken für den Tag
Montag bis Samstag, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1
Landessuperintendent Peter
Karner
über Johann Nestroy
Montag, 26.3.2001
Vor 200 Jahren ist er geboren worden der Herr von Nestroy
aber was ihn ein Pfarrer zu diesem Jubiläum fragen will, hat
Nestroy längst beantwortet.
War das Theater auch für Sie eine "moralische Anstalt"?
NESTROY: "Das Volk muss physisch beim Gnack gepackt -
und moralisch mit der Nasen drauf gstoßen werden."
Haben Sie auf einen Literaturpreis gehofft ?
NESTROY:
"Bis zum Lorbeer versteigt ich mich nicht, Gefallen sollen
meine Sachen;
Dienstag, 27.3.2001
"Es gibt nichts Neues unter der Sonne" – das ist der
Refrain in einem
So eine Krida wäre wahrscheinlich auch noch anno
Domini 2001 "etwas Neues". Aber
resignative
Couplets gefallen den Leuten noch immer besser als
die Nestroy-Couplets im Geist Jesu Christi.
Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter
und strebt zurück an ihren Ort,
wo sie wiederum aufgeht.
Was gewesen ist. wird wieder sein.
und was geschehen ist. wird wieder geschehen.
Mittwoch, 28. 3. 2001
Netroy hat sich bestimmt nicht für einen Prediger gehalten,
aber er war auf jeden Fall ein großer Bibelkenner. Und er hat
ein großes Geschick, biblische Geschichten auf seine Art
weiter zu erzählen und sie zeitgemäß zu kommentieren:
Das Alte Testament erzählt vom Propheten Jona:
Das Wort des Herrn erging an Jona,
mach dich auf den Weg, und geh nach Ninive,
in die große Stadt, und droh ihr das Strafgericht an!
Jona machte sich auf den Weg; doch er
wollte nach Tarschisch fliehen, weit weg
vom Herrn. Er ging also nach Jafo hinab
und fand dort ein Schiff. das nach Tarschisch fuhr.
Aber der Herr ließ auf dem Meer einen
Heftigen Wind losbrechen; es entstand ein
Gewaltiger Seesturm, und das Schiff drohte
auseinanderzubrechen.
Da sagten sie zueinander:
Kommt. wir wollen das Los werfen, um zu
erfahren, wer an unserem Unheil
schuld ist. Sie warfen das Los, und es fiel
auf Jona.
Da nahmen sie Jona und warfen ihn
ins Meer.
Und Nestroy erzählt weiter :
Wie der Jonas ins Meer hinein'plumpst is, was
geschieht?
Kommt ein Walfisch und schlickt ihn vor lauter
Appetit ;
Doch er muß ihm nicht g'schmeckt hab'n, 's war
ein heikliges Viech.
Nach drei Tag'n gibt er'n ganzen Propheten von
sich.
Das hab'n d'Leut unerhört
Für ein Wunder erklärt.
Wir hab'n Politiker jetzt voll prophetische Gab'n,
Die bei all'n, was g'schieht, sag'n, daß sie's voraus
gewußt hab'n;
Ohne daß sie wer schlickt, lieg'n s' allen Leuten im
Magen,
Was kein Walfisch verdaut, müssen oft Menschen
ertragen.
Und man nennt das kein Wunder jetzt mehr heut-
zutag'
Man find't 's ganz natürlich und kein Hahn kräht
danach!
Goethe sagt im Faust: " Ich hab es öfter rühmen hören, ein
Komödiant könnt einen Pfarrer lehren." Und die Pfarrer haben
längst bei Nestroy gelernt.
Donnerstag, 29. 3. 2001
Leben oder vegetieren - Fast jeder Mensch
steht irgendeinmal vor dieser Frage. Natürlich will jeder
leben; und eines Tages kommt er drauf, daß er ja doch nur
vegetiert.
In der Bibel ist das sogar einem König aufgefallen:
"Als ich mein Tagewerk ansah, und alles, was ich mit Mühe und
Arbeit gemacht hatte, schau, da war das alles nichts und ein
Haschen nach Wind. Was hat denn der Mensch von all seinem
Mühen und Streben. Sein Leben bringt ihm nur Leiden und
Verdruß, und selbst bei Nacht kommt sein Herz nicht zur Ruh."
NESTROY beschreibt das Dahinvegetieren plakativ und selbstkri-
tisch:
"Wer in der Früh aufsteht, in die Kanzlei- geht, nachher essen
geht, nachher präferanzeln geht und nachher schlafen geht,
der vegetiert.
Wer in der Früh ins Gwölb geht, und nachher auf die Maut geht
und nachher essen geht und nachher wieder ins Gwölb geht, der
vegetiert.
Wer in der Früh aufsteht, nachher a Roll‘n durchgeht, nachher
in die Prob‘ geht, nachher essen geht, nachher ins Kaffehaus
geht, nachher Komödie spielen geht; und wenn das alle Tag‘ so
fortgeht, der vegetiert.
Zum Leben gehört sich, billig berechnet, eine Million; und
das ist nicht genug: auch ein geistiger Aufschwung g‘hört
dazu. Und das find‘t man höchst selten beisammen.
Wenigstens, was ich von die Millionär weiß,
so führen fast alle aus millionärrischer Gewinnvermehrungs-
passion ein so fades, trockenes Geschäftsleben,
was kaum den Namen "Vegetation" verdient.
Für einen satirischen Gewerkschaftler ist die Diagnose klar:
auch heutzutag‘ woll‘n die Leut leben. Aber in Wirklichkeit
tuns ja doch nur vegetieren.
Freitag, 30. 3. 2001
Bis heute ist Nestroy der Trost für alle, die unter dem Joch
der Ehe seufzen. Da kann ein Pfarrer nur vor Neid erblassen.
Ein Leben lang hat der "Pseudo -Zölibateur" Nestroy die Ehe
satirisch kommentiert:
"Ich bin immer gern bei Hochzeiten, schon das Bewußtsein, daß
es nicht die meinige ist, macht, daß sich die Brust froh und
frei erhebt."
Liebe "ja", Ehe "nein" -oder bestenfalls
"vielleicht" ist Nestroys
Motto gewesen. Und seine Stücke waren oft wie unbeabsichtigte
Eheseminare, Warnungen an heiratslüsterne junge Leute:
Bei der Lieb' is das Schöne, man kann aufhören zu lieben,
wenn‘s ein‘m nicht mehr g'freut, aber bei der Ehe!
Das Bewußtsein: du mußt jetzt all'weil verheirat't
sein, schon das bringt einen um. Ich weiß, wie das
Ganze entstanden is: die Schöpfung hat sich einmal
im Dramatischen versucht und hat eine Komödie ver-
faßt, " Die Liebe", und das Stück is halt so gut aus-
9 fallen, allgemeiner Beifall und Andrang -da hat
dann die succes-verblendete Schöpfung einen zwei-
ten Teil draufg'macht; "Die Ehe", und wie's schon
geht bei die zweiten Teil', es is nicht mehr das Interesse.
Da haben natürlich meine Kollegen im 19.Jahrhundert gleich
ihre Bibel gezückt und das "Hohelied der Liebe" aus 1.Korinther
vorgelesen: um Herrn von Nestroy zu korrigieren und festzu-
halten, wie es wirklich ist mit der Liebe -mit der ehelichen
selbstverständlich:
Die Liebe ist langmütig, sie ist gütig; die Liebe eifert nicht,
die Liebe prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf, sie
tut nichts
Unschickliches, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt
sich nicht
erbittern, sie rechnet das Böse nicht an ; sie freut
sich nicht
über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber mit der Wahrheit;
sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles.
Die Liebe vergeht niemals.
Aber der satirische Seelsorger Nestroy hat nicht aufgeben,
denn: denn Eheleute können gar nicht früh genug erfahren, wie
rasch die Ehe zum Friedhof ihrer Liebe werden kann
Samstag, 31. 3. 2001
Nestroy hat als Autor und Schauspieler viele Jahre mit der
vormärzlichen Zensur zu kämpfen gehabt. Mehrmals wurde er
dafür mit kurzfristigern Arrest bestraft. Aber, er war originell
genug, um dann auf der Bühne die schwachsinnige Zensur dem
Gelächter des Publikums preiszugeben.
In seinem Revolutionsstück "Freiheit in Krähwinkel" , 1848,
definiert er dann erbarmungslos:
"Ein Zensor ist ein menschgewordener Bleistift
oder ein bleistiftgewordener Mensch,
ein fleischgewordener Strich über Erzeugnisse des Geistes;
ein Krokodil, das an den Ufern des Ideenstromes lagert
und den darin schwimmenden Literaten die Köpf‘ abbeißt....
Die Zensur ist die Jüngere von zwei schändlichen Schwestern,
die ältere heißt Inquisition.
Die Zensur ist das lebendige Geständnis der Großen,
daß sie nur verdummte Sklaven treten,
aber keine freien Völker regieren können. Ein Aufklärungsstrahl
hat der Zensur in neuerster Zeit das Brandmal der. Verachtung
aufgedrückt."
Und heute heißt es im Gesetz: "Eine Zensur findet nicht
statt."
Also könnte Nestroy heutzutage unbehelligt von jeglicher
Zensur auf der Bühne agieren? Oder würde jetzt Herr Ultra dem
Bürgermeister von Krähwinkel erzählen, daß Inquisition und
Zensur noch eine dritte Schwester bekommen haben, die so
diskret am Werk ist, daß man sie nur unter ihrem Spitznamen
"Selbstzensur" kennt. Nestroy war nicht nur so ein großer
Sprachmeister wie Karl Kraus: er hat seinem Publikum auch die
Wahrheit zugemutet.
Letztes Update dieser Seite am 05.04.2001 um 11:58