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Gedanken für den Tag
Montag bis Samstag, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1

von Pater Berthold Mayr

Montag, 2. April 2001
"Die letzten Worte Jesu: Vater vergib ihnen, denn sie
wissen nicht, was sie tun"
Die Großen dieser Welt müssen - bis hinein in den Tod -
mit ihren Worten Rücksicht nehmen. Rücksicht, auf das,
was sich gehört; was der gängigen Politik dient; was der
Partei dient. Wer kann schon frei auf dem Sterbebett
sprechen.
Da haben es die Armen schon leichter. Sie brauchen keine
Rücksicht nehmen. Jüdische Märtyrer zur Zeit Jesu spotteten
über ihre Verfolger. Vom Galgen herab schrieen sie um
Rache.
Und da ist einer, der in seinen letzten Stunden keine
Rücksicht nehmen muss auf das, was sich gehört. Er ist
nicht böse auf die Welt und die Menschen. Den Hass kennt
er nicht. Er trägt auf seinen Schultern die Verfolger zum
Vater. "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was
sie tun".
Was wäre, wenn dieser Jesus aus Galiläa, diese Worte
nicht gesprochen hätte. Wenn er stumm, verbittert aus
dieser Welt geschieden wäre. Sein Name würde vergessen
sein. Einer von vielen, die auf dem Kreuz geendet haben.
Hass verweht, Versöhnung bleibt. Hass zerfetzt das
menschliche Angesicht. Vergebung deckt es auf. Vater vergib.
In diesen Worten leuchtet das Gesicht eines Sohnes
Gottes auf.

Dienstag, 3. April 2001
Die letzten Worte Jesu: "Frau, siehe, dein Sohn".
Man sagt, es ist eine Männerwelt. Die Männer sind
die Starken. Sie gestalten die Welt, natürlich auch
die kirchlichen Gemeinschaften. Eine Priesterin, eine
Hohepriesterin - undenkbar.
Wo sind sie, die Starken, die So gern zum Schwert greifen
wollen, wenn es zum Kreuz geht? Wo sind sie, wenn
die Träume vom Reich ausgeträumt sind? Wo sind sie, wenn
die Meinung des Volkes umschlägt? Wo sind sie, wenn sie
Farbe bekennen sollen? Wo sind sie, wenn nichts mehr
übrigbleibt, als ein Rock, der zu teilen ist?
Nein, man soll sie nicht ausspielen, die Männer gegen
die Frauen. Aber die Männer sind nicht mehr da, als
die Exekution auf GoIgotha begann. Außer denen natürlich,
die von Amts wegen da sein mussten. Die Männer haben
auch nicht von weitem zugeschaut. Während ihr Rabbi
stirbt, gehen sie auf ihre Arbeitsplätze zurück. Der
Traum ist aus. Die Starken haben aufgegeben. Und die
Schwachen bleiben. Sie bleiben bis zum Schluss. Nicht nur
die Mutter, viele andere Frauen sind da. Sie können
nichts tun. Sie leiden mit. Sie sterben mit.
GoIgotha ist ohne die Anwesenheit der Frauen nicht
zu ertragen.

Mittwoch, 4. April 2001
Die letzten Worte Jesu: "Mich dürstet".
Zen-Buddhisten sterben lächelnd. Jesus stirbt nicht
lächelnd. Mich dürstet, sagt er.
Es gehört sich nicht seine Schwäche zu zeigen. Wenn
nötig, dann ein bisschen Schminke, ein Lächeln. Es
gehört sich ja auch nicht zu weinen. In stolzer Trauer,
das ist Haltung.
Denn man muss auf sein Gesicht schauen, man muss selbst
noch in solchen Stunden, respektiert und geachtet werden.
Man würde viel verlieren, würde man in Schwäche aufgefunden
werden. Die Anderen würden enttäuscht sein.
Sie würden es auch nicht verstehen, nicht erwarten.
Einer konnte es sich leisten, öffentlich schwach zu sein.
Warum konnte er es sich leisten?
Er konnte es sich leisten, weil er nichts in den Händen
hielt. Kein Stück Land, keine Stellung, keine Macht.
Er hatte es nicht nötig auf sein Image zu schauen, weil
er sich den Sinn des Lebens nicht selbst aufbaute.
Er hat seinem Vater geglaubt – und das war Sinn genug.
Welche Erlösung wäre es, wenn wir einander auch unsere
Schwächen zeigen könnten. Wenn wir uns auch in der
Schwäche achten würden.
Welche Befreiung wäre es, wenn wir einander zugestehen
würden, schwach sein zu dürfen.

Donnerstag, 5. April 2001
Die letzten Worte Jesu: "Mein Gott, warum hast du mich verlassen".
Dem Menschen ist zu allen Zeiten eine allzu große Menge
an Leid und Schmerz zugemessen worden. Millionenmal
stellt er die Frage: Mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Warum lässt du soviel Leid zu. Und der Mensch
lehnt sich auf, wie Hiob es getan Itat. Oder er lehnt sich
nicht mehr auf, weil er gar nicht mehr weiß, wohin er sich
mit seinen Fragen wenden soll.
Manchmal denke ich: mein Gott, wie kannst du diese Welt
verantworten. Ich weiß schon, dass wir Menschen auch
Schuld tragen. Aber es kann gar nicht soviel Schuld
geben, als uns Leid trifft.
Da hat es einen von uns, den besten Menschen, den diese Welt
erlebte, auch getroffen. Ein unsinniges Schicksal. In
jungen Jahren zu sterben – und nur, weil er gut war.
Mein Gott, ich kann das unsinnige Leiden dieser Welt nur
ertragen, wenn ich auf den schaue, der da am Kreuz hängt.
Er hat uns nicht belehrt. Er hat mit uns, auf unserer
Seite gelebt. Und er geht mit uns in die Nacht der Verlassenheit.
Ein Gott, der mit dem gequälten Menschen leidet.
In dem Geschick Jesu von Nazareth hat Gott sich selbst
ausgelegt: Siehe, so bin ich. Ich habe mich selbst aufs
Spiel gesetzt, ich habe mich mit dem Schicksal der Menschen
bis in den Tod hinein gleichgesetzt. Meine Antwort auf
eure Fragen ist dieser Jesus aus Galiläa.

Freitag, 6. April 2001
Die letzten Worte Jesu: "Es ist vollbracht".
Es ist vollbracht. Was ist vollbracht? Ein Werk, das
erst begonnen wurde, droht es nicht zu scheitern?
Einer der Freunde wurde zum Verräter; fast alle anderen
Weggefährten haben sich zurückgezogen – resigniert 
zurückgezogen.
Wo ist das Volk, das noch neulich ihn in
Jerusalem begeistert empfangen hat?
Was ist vollbracht ? Natürlich wurden einige von ihren
Krankheiten geheilt. Und einigen wurde ein neuer Mut
zum Leben gegeben. Aber im Großen und Ganzen? Was hat
hat sich verändert in Israel? Die Pharisäer bleiben
Pharisäer; die Schriftgelehrten lassen sich aus ihrem
Lehrgehäuse nicht herauslocken und die Priester wissen
weiterhin genau Bescheid, wie der Weg zu Gott aussieht.
Es ist vollbracht. Was ist vollbracht? Ein verhältnismäßig
junges Lebens geht schändlich zu Ende. Konnte
dieser Jesus aus Galiläa überhaupt, in diesen wenigen
Jahren, sein Werk tun?
Es ist begreiflich, dass ein Mensch sich danach sehnt,
es möge alles vollbracht sein. Meinte Jesus damit das
zurückliegende Leben? Oder meinte er sein Werk, das
auf Zukunft, auf das Reich Gottes angelegt war?
Jesus starb nicht mit der Sehnsucht nach dem Verlöschen.
Er starb mit dem Willen für die Menschen, und gerade für
die Ärmsten unter den Verzagten, eine Zukunft freizulegen,
in der sie erwachen wie an einem neuen Schöpfungsmorgen.
Es ist vollbracht. Der Ostermorgen ist schon angebrochen.

Samstag, 7. April 2001
Die letzten Worte Jesu: "Vater, in deine Hände befehle ich
meinen Geist".
Vater in deine Hände befehle ich meinen Geist, sagt der
sterbende Jesus in das Dunkel, in das Schweigen hinein.
Mitten im Entweichen aller Standorte nimmt er seinen
Ort beim Vater ein. Er lässt sich nackt und wehrlos in die
Mitte der Angst hinein ausliefern, verlassen, ohne Erklärung
und Theorie, vollkommen seiner Gnade und seinem Erbarmen
ausgeliefert.
Sein Vater. Wie oft hat er davon gesprochen. In wie vielen
Bildern hat ex den Vater gezeichnet. Der Vater, der am
Fenster steht und auf den verlorenen Sohn wartet. Der Vater,
der seinem Sohn das Hochzeitsmahl bereitet. In diese Hände
befiehlt Jesu seinen Geist.
Wem wendet sich ein Mensch heute im Sterben zu? Unendlich
viele Menschen suchen im Leben die Hand Gottes und finden
sie weder im Leben noch im Tod. So bleibt nichts als der
tiefe Wunsch, im Tode ganz einfach verlöschen zu
dürfen. Spurlos ins Nichts hinein erlöst zu werden, in
einen Schlaf ohne Erwachen.
Jesus wollte nicht verlöschen. Jesus wollte in die liebenden
Hände seines Vaters genommen werden. Und er wusste, dass
diese Hände Leben, Zukunft und Erfüllung sind.
Vater in deine Hände befehle ich meinen Geist. Wenn mir
die Gnade widerfährt, dieses Wort am Ende sprechen zu
können, dann ist es genug.

 

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Letztes Update dieser Seite am  06.04.2001 um 15:56