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Gedanken für den Tag
Montag bis Samstag, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1

Prof. Dr. Esther Fritsch, Präsidentin der 
Israelitischen Kultusgemeinde für 
Tirol und Vorarlberg

Montag, 9.4.2001
Überlieferung und Identität
Am vergangenen Samstag abend zelebrierten wir 
Juden den Beginn unseres
Pessachfestes. Pessach 
ist eines unserer höchsten Feste: in ihm gedenken wir 
des
Auszugs der Kinder Israel aus der Gefangenschaft 
in Ägypten, der uns aus
Sklaven in der Fremde zu einem 
eigenen und freien Volk gemacht hat.
Pessach wird durch 
8 Tage gefeiert, aber sein Höhepunkt ist der erste Abend,
der Sederabend. Diese Feier findet nach Besuch der 
Synagoge zu Hause statt, im
Kreise der Familie, mit 
Freunden und Gästen.
Seder bedeutet auf Hebräisch Ordnung. Der Sederabend 
heißt so, weil er nach
einer traditionellen, uralten 
Festordnung abläuft. Diese beginnt schon in den.
Tagen zuvor mit der Vorbereitung und Reinigung des 
Hauses und besteht
aus Erzählungen der 
Pessachgeschichte, Gebeten, Wechselreden, 
Gesängen und natürlich dem Mahl.
All dies wendet sich an die Kinder, sie stehen im
Mittelpunkt und nehmen aktiv
an diesem Fest der Freude 
teil.
Der Sederabend ist nicht nur fröhliche Geselligkeit, 
sondern auch die Erfüllung
eines göttlichen Gebots. Denn 
in der Thora, dem Pentateuch, wird den Juden
aufgetragen -und zwar an erster Stelle der religiösen 
Vorschriften -, ihren
Kindern die Geschichte des Auszugs 
aus Ägypten zu erzählen und den Sinn der
Pessachbräuche 
zu erklären. Die einzigartigen Formen des Seders sollen zur
alljährlich wiederholten Frage führen: " Wieso ist der heutige 
Abend so anders als
alle anderen Abende?"
Fragen zu stellen nach dem Warum, nach dem Ursprung 
und der Bedeutung
dieser Feier, dem Sinn dieser Bräuche und der religiösen 
Vorschriften, letztlich nach dem Glauben selbst, ist am 
Sederabend nicht nur willkommen, sondern ist
ein wesentlicher Teil dieser Feier. Die Bewahrung 
der Erinnerung an die
gemeinsame Geschichte ist für uns 
Juden ein wichtiger Teil unserer Identität.
Unsere Vergangenheit ist für uns kein toter Ast sondern 
ein Objekt lebendiger
und lebhafter Auseinandersetzung, 
aus der wir Kraft und Orientierung für die
Gegenwart und 
Zukunft schöpfen.

Dienstag, 10.4.2001
Freiheit und Armut
"Ich bin dein Gott, der dich aus Ägypten herausgeführt 
hat, aus dem
Sklavenhaus. Dieser Satz ist das erste der 
zehn Gebote, wie sie im zweiten?
Buch Moses 
verzeichnet sind.
Mit der Befreiung der Kinder Israel aus 
der Knechtschaft in Ägypten
begann die Entstehung des 
jüdischen Volkes. Deshalb feiern wir Juden
dieser Tage
wieder, wie schon seit über 3000 Jahren, 8 Tage lang das
Pessachfest in Erinnerung an dieses Ereignis.
Pessach trägt zwei wesentliche Botschaften an uns heran: 
Die Freude an
der Freiheit, aber auch die Erinnerung an 
Armut und Knechtschaft.
Aus Freude über die errungene 
Freiheit wird am sogenannten Sederabend,
mit dem das 
Fest eingeleitet wird, eine festliche liturgische Mahlzeit mit
symbolischen Speisen und vielen Gesängen abgehalten.
Zu Beginn des Seders wird eine Schale mit dem 
ungesäuerten Brot, den
Matzot, erhoben und ein 
Segensspruch in aramäisch gesagt:..Halachma
Anya..
"Dies ist das Brot des Elends, das unsere Vorfahren im 
Lande Mizraim
gegessen haben. Wer hungrig ist, der 
komme und esse mit uns. Wer
bedürftig ist, der komme und 
feiere das Pessachfest mit uns. Dieses Jahr
hier, das nächste 
Jahr im gelobten Land. Dieses Jahr Knechte, das nächste
Jahr in Freiheit."
Dieser Spruch ist nicht der Triumph im Sieg 
über die Feinde, sondern die
Freude darüber, als freier Mensch
zu leben, aber auch gleichzeitig die
Mahnung, unser Glück zu 
teilen, da wir selbst einmal unfrei und rechtlos,
und in einem 
fremden Land der Willkür ausgeliefert waren.
Aus der 
Erfahrung der eigenen Knechtschaft, des eigenen Unglücks, 
ist eine
jüdische soziale Ethik und Moral erwachsen.
So findet sich im dritten Buch Moses, Leviticus 19, Vers 33, 
das Gebot zur
Toleranz gegenüber dem Fremden: "Der 
Fremde, der sich bei euch aufhält,
soll euch wie ein 
Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich
selbst. 
Denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen."

Mittwoch, 11.4.2001
Die Prophetin Miriam
Heute ist der vierte des Pessachfestes. Bei diesem 
Fest erinnern wir uns
an die Befreiung der Kinder Israel 
aus der Knechtschaft in Ägypten, die
uns aus Sklaven zu 
einem freien Volk gemacht hat.
Am Sederabend wird die 
Pessachgeschichte verlesen, die sogenannte
Haggada, 
eine uralte Sammlung von Texten und Gesängen. Diese 
Haggada
spielt uns allerdings eine reine Männerwelt vor: 
Moses, Aaron, der Pharao,
und so weiter, alle handelnden 
Personen sind Männer. Eine Person wird
nicht erwähnt, 
obwohl sie eine wichtige Rolle gespielt hat und eine der
großen Frauengestalten der Bibel ist: Miriam, die ältere 
Schwester Moses.
Auch im Pentateuch wird sie nur kurz erwähnt, während 
sie in den
rabbinischen Schriften als Prophetin anerkannt 
ist.
Warum gilt sie als Prophetin? Rabbi Jehuda Bar Savina 
sprach ihr
seherische Gaben zu: sie sah voraus, daß ihr 
Bruder Moses der Befreier
ihres Volkes sein würde. Aber 
sie war mehr als das, wie alle Propheten des
Alten 
Testaments: Mahnerin, Vordenkerin, Trösterin und Lehrerin.
Darüber hinaus setzte sie auch eine entscheidende 
Handlung, die allen Mut
und Geschick erfoderte: sie 
erreichte, daß Moses vom Befehl des Pharao
verschont 
blieb, alle männlichen Neugeborenen Israels zu töten.
Wir alle kennen die Legende: als Pharaos Tochter beim 
Bad im Nil das
Weidenkörbchen mit dem ausgesetzten 
Säugling Moses vorfand, war
Miriam zur Stelle und schlug 
vor, ihn doch einer Hebräerin als Amme zu
übergeben. 
Die Prinzessin fand das in Ordnung, und so ging Mirjam 
einen
Schritt weiter und schlug die leibliche Mutter Moses 
vor. Die Prinzessin
stimmte dem zu, und so blieb Moses 
bis zur Knabenzeit bei seiner Mutter.
Dann nahm die 
Tochter Pharaos den Knaben zu sich und nahm ihn als
Sohn an. Sie nannte ihn "Moshee", was bedeutet "ich zog 
ihn aus dem
Wasser".
Miriam war eine Frau ohne Macht und ohne einflußreiches 
Amt, und doch
konnte sie durch ihre Klugheit ihrem Volk 
einen großen Dienst erweisen.
Miriam ist die erste einer 
langen Reihe von Frauengestalten im historischen
wie im 
gegenwärtigen Judentum, die zwar nicht immer im 
Rampenlicht
stehen, aber dennoch großen Anteil am Lauf 
der Geschichte haben.
 

 

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Letztes Update dieser Seite am  06.04.2001 um 16:24