Gedanken für den Tag
Montag bis Samstag, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1
Dr. Gerhard Bodendorfer, Prof. für
Altes Testament und Leiter
des Instituts für Jüdisch-Christliche
Forschung an der Universität Luzern
Gründonnerstag, 12.4.2001
Die Erzählung von Jesus auf dem
Ölberg, an die uns jeder Gründonnerstag erinnert, beschreibt
nicht nur das urmenschliche Verhältnis Jesu zum Leid, sein
Seufzen und Klagen vor Gott, seine Einsamkeit, sie schildert
auch seine ihn umgebenden Menschen in Verhaltensweisen
angesichts einer Krise. Da sind die wieder einmal
versagenden Jünger, die schlafen, anstatt zu wachen und
Jesus damit im Leid zu stärken. Da ist Petrus, der Jesus
alles verspricht und ihn schließlich verleugnen wird. Und da
ist Judas, der Jesus an die Obrigkeit verrät. Petrus, den
Jesus einmal sogar als Satan bezeichnet hatte, reagiert
auch noch in der Gewaltbereitschaft falsch, als er einem
Römer das Ohr abschlägt. Trotzdem hat ihm die christliche
Tradition als ersten Papst und Vorbild der Christenheit einen
Ehrenplatz verliehen.
Judas hingegen wurde zum Inbegriff des geldgierigen
Verräters und prägte das Klischee des Juden schlechthin.
Und dieses provozierte Pogrome und Ausschreitungen
gegen Juden vor allem in der Karwoche. Noch im 19. und
20. Jahrhundert wurden in vielen Gegenden Deutschlands
Strohpuppen am Osterfeuer verbrannt, die den
verräterischen Judas darstellen sollten. Sie wurden aber
auch als "ewiger Jude" bezeichnet, um auf die Vertreibung
der Juden und ihre ewige Wanderschaft auf Erden als Folge
des ihnen zugeschriebenen Gottesmordes zu erinnern. Noch
in meiner Jugend nannte man einen schlechten geldgierigen
Menschen schlicht und einfach "Judas".
Das Klischeebild des Juden als Verräter, der mit
unsauberen Machenschaften sein Geld verdient, bleibt bis
heute bestehen und beflügelt noch so manche Büttenrede.
Der Gründonnerstag sollte uns daher auch dazu bewegen,
unsere Bilder und Vorurteile und unsere Sprache zu
hinterfragen. Und wir Christen sollten nicht vergessen, uns
selbst auch in den schlafenden Jüngern wieder zu finden
und unser Versagen und unsere Sorglosigkeit angesichts
des Leids anderer überdenken.
Karfreitag, 13.4.2001
Am Karfreitag gedenken die Kirchen des Leidens und
Sterbens Jesu. Die Theologie lehrte
beständig, dass
er
in diesem Sterben die Verfehlungen der ganzen
Menschheit auf sich nahm, und jeder einzelne Christ sollte
den Tod Jesu mit seinem eigenen Fehlverhalten in
Beziehung setzen. Trotz dieses Verständnisses hat gerade
der Karfreitag und seine liturgische Feier im Laufe der
Geschichte vor allem antijüdische Emotionen und
Schuldzuweisungen freigesetzt und über die Jahrhunderte
nährte sich in der Christenheit der Vorwurf, dass Jesus von
den Juden ermordet worden wäre, ein Vorwurf, der vielen
Juden Leid brachte und oft das Leben kostete. Es
dauerte
bis zum zweiten vatikanischen Konzil, ehe der
Gottesmordvorwurf in der kath. Kirche ausgeräumt
wurde.
Seither beten wir auch nicht mehr für die " verblendeten und
treulosen" Juden. Johannes XXIII. schuf dieses Gebet ab.
In
den letzten Jahren mehrten sich die Versuche, nicht zuletzt
angeregt durch Organisationen wie den
Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische
Zusammenarbeit, in den Bereich des Gottesdienstes auch
ein Bekenntnis zum Verschulden einzufügen, das durch
Christen Juden angetan wurde.
Johannes dem XXIII. wurde ein Gebet zugeschrieben, aus
dem ich zum Abschluss einen kleinen Teil zitiere:
Wir verstehen, dass uns ein Kainsmal auf die
Stirn
geschrieben steht. Im Lauf der Jahrhunderte hat
unser
Bruder Abel in dem Blut gelegen, das wir vergossen,
oder er hat Tränen geweint, die wir verursacht haben,
weil wir deine Liebe vergaßen.
Vergib uns den Fluch, den wir zu unrecht an
ihren
Namen Jude hefteten. Vergib uns, dass
wir dich in ihrem
Fleisch zum zweiten Mal ans Kreuz schlugen. Denn
wir
wussten nicht, was wir taten.
Karsamstag, 14.4.2001
Vor vielen Jahren hörte ich ein Interview mit Leonard
Bernstein, in dem dieser behauptete,
Gustav Mahler
sei
in seiner 2. Symphonie, der Auferstehungssymphonie,
ganz vom Christentum beeinflusst gewesen, denn
im
Judentum kenne man keine Auferstehung. Ich habe mich
damals sehr über den Juden Bernstein gewundert, da er
sich offensichtlich nicht in der jüdischen Glaubenswelt
auskannte. Denn schon vor Jesus war es für einen großen
Teil des Judentums selbstverständlich, an eine Auferstehung
der Toten am Ende der Tage zu glauben.
Und das 18-Bitten-Gebet, das wichtigste Gebete der
jüdischen Alltagsliturgie, enthält heute folgende Sätze: "Du
bist mächtig in Ewigkeit, Herr, belebst die Toten, du bist stark
zum Helfen. Der den Tau herablässt. Du ernährst die
Lebenden mit Gnade, belebst die Toten in großem Erbarmen,
stützt die Fallenden, heilst die Kranken, befreist die
Gefesselten und hältst die Treue denen, die im Staube schlafen."
Für Juden gehört genauso wie für Christen die Vorstellung
einer Auferstehung der Toten also zum Bestand ihres Glaubens.
Der Apostel Paulus sagte: "Ist aber Christus nicht auferweckt
worden, dann ist unsere Verkündigung leer und eurer
Glaube
sinnlos". Und etwas später meint er: " Wenn Tote nicht
auferweckt werden, dann lasst uns essen und trinken, denn
morgen sind wir tot". Erst das Wissen um die Auferstehung ließ
für Paulus den Schluss zu, dass Gott in Jesus wirklich gehandelt
hatte, dass er unsere Verschuldung weggenommen hatte. Erst
die Gewissheit eines Lebens über den Tod hinaus gibt Kraft für
die verantwortungsvolle Gestaltung des eigenen Lebens. Das
leere Grab Jesu hat diese Hoffnung für uns Christen zur
Gewissheit gemacht.
Juden und Christen haben mit dem Glauben an die
Auferstehung auch immer die Gewissheit einer personalen
Weiterexistenz verbunden. Das Tun des Menschen geht nicht
ins Leere. Sein Schaffen, sein Mühen hat Sinn über
den Tod
hinaus. Er ist auch jenseits seiner irdisch körperlichen
Existenz unverwechselbarer und einmaliger Mensch, und
nur darum kann und muss er einmal auch Rechenschaft
über
dieses Leben ablegen, für das er Verantwortung trägt.
Letztes Update dieser Seite am 06.04.2001 um 16:33