Gedanken für den Tag
Montag bis Samstag, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1

Superintendentin Luise Müller
"Vom Himmel"

Montag, 21. 05. 2001
Miriams Himmel war klar und deutlich: türkis, ein paar 
Wolken und ein paar Vögel, Sonne, Mond und Sterne. 
Sie hatte mir ein Bild gemalt, das beherrscht war von 
diesem Himmel. Damals war sie sechs Jahre alt. 
Natürlich gab es die Erde auch: ein, zwei Häuser, 
Bäume, Blumen, Mensch und Tier. Aber dominant war 
der Himmel. Und mittendrin in diesem Himmel saß ein 
Mann. Das ist Gott, sagte sie mir. Gott, freundlich 
lächelnd und ebenfalls türkis. Warum ist Gott türkis? 
Eben deshalb. Weil der Himmel auch türkis ist. Ich fragte 
noch ein paar Einzelheiten über diesen Gott: warum er im 
Himmel sei, warum er so freundlich lächelte, und Miriam 
gab mir zwar Antwort, aber verdrehte dabei die Augen, 
so als ob sie sagen wollte: wie kann man als 
Religionslehrerin nur so blöd fragen. Du müsstest das 
eigentlich wissen, sagte sie dann auch recht gnädig, 
dass Gott freundlich ist und im Himmel und wie der 
Himmel. Damit war das Thema Gott und Himmel für 
sie erledigt und sie brach das Gespräch darüber ab 
und wandte sich Dingen zu, die eine Diskussion nötig 
machten, und keine solchen Selbstverständlichkeiten 
waren.

Wo wohnt Gott? Für Miriam und viele andere keine 
Frage. Im Himmel. Die Erde, so meinen sie, sei zu 
eng, zu klein, zu menschlich, zu ungastlich. Der Himmel 
dagegen: weit, schön, hoheitsvoll, eine Residenz. 
Gerade richtig für Gott.

Ähnlich wie Miriam sagt es Psalm 8:
Herr unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in 
allen Landen, der du zeigst deine Hoheit am Himmel. 
...Wenn ich sehe den Himmel, deiner Finger Werk, den 
Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der 
Mensch, dass du sein gedenkst, und des Menschen 
Kind, dass du dich seiner annimmst?

 

Dienstag, 22. 05. 2001
Am Sonntag vor zwei Wochen kam er zurück: der 
erste Weltraumtourist Dennis Tito. Über 300 Millionen 
Schilling war ihm der Ausflug wert gewesen. Nach der 
Landung strahlte Tito: ich komme gerade aus dem 
Paradies zurück, sagte er.

Ich kann mich noch an die aller ersten bemannten 
Raumflüge erinnern. Und an die Aussage eines 
russischen Kosmonauten, der damals nach seiner 
Rückkehr verkündigte, Gott habe er da oben keinen 
gesehen. Wieder andere haben jenseits aller 
technischen Arbeiten, jenseits aller Forschungen und 
Messungen immer wieder ihr Staunen über die 
Schönheit des Weltraums ausgedrückt. Ehrfurcht, 
Andacht, Demut, Dankbarkeit waren Begriffe, die 
dabei die Begeisterung, das Ergriffensein ausdrückten.

Der Himmel und der Weltraum. Zwei sehr 
unterschiedliche Dinge. Da das Ergriffensein, dort die 
Forschung, die Technik, die Zahlen. Und doch verbindet 
sich immer wieder das eine und das andere. Sei es in 
den Aussagen eines reichen Millionärs, der sich einen 
Ausflug mit einer Raumkapsel leisten kann, sei es im 
Betrachten eines nächtlichen Sternenhimmels, der uns 
auch auf der Erde die Weite des Weltalls ahnen lässt.

Wann gelingt die Zusammenschau? Für wen rühmen die 
Himmel die Ehre des ewigen Gottes, wie es im Lied 
heißt? Und für wen ist das Weltall nur eine unendliche 
Weite, ein Tummelplatz für die Forschung, in der weit 
und breit kein Gott, kein alter Mann mit weißem Bart zu 
finden ist?

Wann wird aus der Machbarkeit und Bezahlbarkeit des 
Lebens und der Zukunft die Ehrfurcht vor dem Leben im 
Himmel und auf der Erde?

Wann hören wir auf, insgeheim doch noch mit allen 
Mitteln – auch astronomischen – nach einem 
Gottesbeweis zu suchen, Gott mit allen uns zur 
Verfügung stehenden wissenschaftlichen Mitteln, 
berechnen, erforschen, verstehen, beweisen zu wollen? 
Wann zerbrechen wir die daraus entstandenen 
Götzenbilder und beginnen mit dem staunenden, 
demütigen Glauben?

 

Mittwoch, 23. 05. 2001
Morgen feiern wir den Tag Christi Himmelfahrt
Als Kind war mir die Geschichte mit der Himmelfahrt 
Jesu ganz klar. Schließlich erlebte ich sie jedes Jahr 
von neuem. Mit Jesus und seinen Jüngern musste das 
so sein wie mit uns und unserem Pfarrer. Wir machten 
uns auch aufgrund seiner Einladung auf und gingen auf 
einen Berg. Ähnlich wohl, wie damals die Jüngerinnen 
und Jünger Jesu, die dem Ruf Jesu zum Ölberg gefolgt 
waren.

Eineinhalb Stunden waren wir unterwegs: Scharen von 
Gemeindegliedern von der Großmutter bis zum Enkel, 
mit einem Rucksack voller unverzichtbarer 
Himmelfahrtsutensilien wie hartgekochte Eier, 
Butterbrote, Dauerwurst, Tee und Pflaster. Endlich oben 
angekommen lagerten wir auf einer Waldwiese rund 
um einen flachen Granitblock. Der Posaunenchor 
spielte und der Gottesdienst begann, während noch 
die hungrigen Kinder mit einem zweiten Frühstück 
versorgt wurden. Dann wurden ein, zwei bekannte Lieder 
gesungen und dann stellte sich der Pfarrer auf den 
Felsblock und hielt seine Predigt und schließlich stand 
er in seinem Talar mit ausgebreiteten Armen da und 
segnete uns alle.

Für mich war ganz klar: so ähnlich war es wohl damals 
nach Ostern auch gewesen. Jesus auf dem Felsen, 
ein bisschen über den Jüngern stehend, sie andächtig 
seinen Worten lauschend und dann war er nach dem 
Segen plötzlich nicht mehr da.

Als Kind kam für mich Himmelfahrt gleich hinter 
Weihnachten. Ich hatte keinerlei Schwierigkeiten mit 
dem theologischen Gehalt dieses Festes. Und es 
war wunderschön. Zwar war für mich immer ein 
fränkischer Posaunenchor dabei, als Jesus seine 
Jüngerinnen und Jünger losschickte in alle Welt, 
aber dieses Hinausziehen der Jünger war für mich 
nur folgerichtig, schließlich war ja nach dem 
Gottesdienst nichts mehr los auf jener Waldwiese, 
während wo anders das Leben wartete.

Viel mehr, als dass es im ersten nachchristlichen 
Jahrhundert in Israel keine Posaunenchöre 
gegeben hat, habe ich seither nicht dazu gelernt, 
im Bezug auf die Himmelfahrt Jesu.

 

Freitag, 25. 05 2001
Wie ist das mit dem Himmelreich? Können Sie sich 
etwas darunter vorstellen, unter diesem Begriff? Im 
Neuen Testament gibt es verschiedene Erklärungen 
Jesu dafür: er vergleicht es mit dem Samen, der von 
selber wächst, ohne unser Zutun, oder mit dem 
Senfkorn, das, einmal als kleiner, unscheinbarer 
Samen in die Erde gelegt aufgeht und größer als 
vieles andere wird.

Am besten gefallen mir die Geschichten, wo 
Jesus das Himmelreich mit einem großen Fest 
vergleicht. Davon gibt es verschiedene in den 
Evangelien. Kennzeichnend ist ihnen allen der 
Überfluss, die Weite, das Unbedingte. Sie finden 
statt, ganz egal, ob wir es wollen oder nicht. Ob wir, 
die Eingeladenen kommen, oder was scheinbar 
Besseres zu tun haben. Wenn wir nicht wollen, dann 
lädt Gott andere zu seinem Fest ein. Aber verschoben 
wird es nicht. Die Ausrede: keine Zeit, ja, die können 
wir schon benützen, aber das Fest hat einen Termin. 
Wenn wir nicht wollen – bitteschön. Es gibt genug 
andere, die Tische werden voll werden. Menschen mit 
Festkleidern werden den Überfluss Gottes genießen 
können, den Überfluss von Essen und Trinken, den 
Überfluss von Raum und Zeit, den Überfluss von 
Freunden, den Überfluss von Gutem, den Überfluss
von Liebe.

Dieses Fest wird uns alle Beschränktheit vergessen 
lassen. Unbegrenzt, kein: das geht nicht, kein: dafür ist 
keine Zeit, kein: dafür reicht das Geld nicht, kein: du 
bist ja nur eine Frau, da muß ein Mann her, kein: das 
verstehen Sie leider nicht.
Aus Hoffnungslosigkeit wird grenzenlose Zukunft. 
Aus Zeit wird Ewigkeit.

Martin Gutl hat es so beschrieben:
Wenn Gott uns heimbringt aus der Dämmerung in sein 
beglückendes Licht, das wird ein Fest sein! Da wird 
unser Staunen von neuem beginnen. Wir werden 
singen, tanzen und fröhlich sein: Aus dem Hasten in 
den Frieden, aus der Armut in die Fülle. Wenn Gott 
uns heimbringt aus den engen Räumen, das wird ein 
Fest sein!

Samstag, 26. 05. 2001
Zum Himmel gehört die Hölle. Als Gegensatz, als 
das ganz andere, als das, was uns durch das 
Gegenteil erklärt, was der Himmel ist.

Dazu gibt es die bekannte Geschichte mit den langen 
Löffeln. Ganz kurz zusammengefasst geht es darum, 
dass einer in die Hölle kommt. Er sieht, wie die 
Menschen dort leiden, sie sind am Verhungern. Dabei 
gibt es im Überfluss zu essen. Doch die Löffel, die sie 
in der Hand haben, sind zu lang, um mit ihnen zu essen, 
um mit ihnen den eigenen Mund zu erreichen. Sie 
versuchen es, bis ihnen die Kraft ausgeht, aber die 
Löffelstiele werden nicht kürzer.

Derselbe Mensch kommt in den Himmel. 
Seltsamerweise sind dort die gleichen Voraussetzungen. 
Große Töpfe mit hervorragenden Speisen und Menschen 
mit zu langen Löffeln. Aber die Menschen dort sind 
gut genährt und glücklich. Warum? Weil sie erkannt haben, 
dass man mit den langen Löffeln zwar nicht den eigenen 
Mund, aber sehr wohl den des anderen erreichen kann.

Der Himmel ist in Dir – das ist für mich die Quintessenz 
dieser einfachen aber verblüffenden Erzählung. Oder 
noch schärfer formuliert: Ich habe es in der Hand, ich 
kann entscheiden, was es wird: Himmel oder Hölle.

Das, was wir von Gott bekommen, bietet Voraussetzung
für beides: Himmel oder Hölle, leben oder sterben. 
Leben fördern oder Leben vernichten. Segen liegt nur 
auf dem, was Leben fördert. Das andere ist die Hölle.

Also doch der Himmel schon jetzt auf Erden? 
Manchmal schon. Manchmal gelingt etwas, und der 
Himmel geht auf, öffnet sich für Sie und mich und Gott 
ist da. Mitten unter uns.

Ich möchte nicht leben, ohne das Bewusstsein, dass 
das möglich ist und dass ich das Meine dazu tun kann.

 

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Letztes Update dieser Seite am  21.05.2001 um 15:35