Kunsthistorisches Museum Wien

Gedanken für den Tag
Montag bis Samstag, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1

 

Marginalien zur EI Greco-Ausstellung 
in Wien
von Hubert Gaisbauer

5.6.2001
1577
Was war das für ein Jahr, in dem Domenico 
Theotocopuli aus dem
venezianischen und 
römischen Kunstbetrieb nach Spanien in das 
kastilische
Glaubensraubnest Toledo gekommen 
war, was war das für eine Stadt.
EI Greco, der Grieche, wie ihn die Spanier 
kurzerhand nennen werden, wurde
dem König und 
den Prälaten und Granden von Toledo als Schüler 
Tizians
empfohlen, er selber - schon Mitte dreißig - 
hatte eigentlich noch nichts wirklich
Nennenswertes 
gemalt.
EI Greco kam nach Toledo - und diese Stadt mit 
ihrer graubraunen Monotonie
und ihrer versteckten 
Herrlichkeit erweckte in ihm jene Farben und Visionen
zwischen glutvoller Ergebenheit verzückter Heiliger 
und dem kalten Blick der
Inquisitoren. Hier in Toledo 
gelang es ihm, das "Unsterbliche unter dem
Fleisch" 
zu schauen und zu malen.
Toledo im Jahr 1577: eine verlotterte herrenlose 
Diözese, deren Erzbischof
Quarranza siebzehn Jahre 
von der Inquisition eingesperrt und verhört, zuletzt
aber doch kurz vor seinem Tod rehabilitiert worden 
war. Seine Ketzerei war die
Sympathie für eine Idee, 
aus den Niederlanden nach Spanien eingeschleppt, 
die
Idee des Erasmus von Rotterdam von einer 
sanften, friedvollen, innerlichen und
toleranten 
Theologie.
Ihr Kernsatz: "Der Buchstabe tötet, der Geist aber 
macht lebendig."
 
EI Greco kam nach Toledo, als der neue 
Erzbischof Gaspar de Quiroga
gerade sein Amt 
antrat, um nach dem Rechten zu sehen: gebildet, 
fromm,
mildtätig und - unerbittlich in Glaubenslehren, 
wie sie in den Dekreten des
Konzils von Trient 
wenige Jahre davor festgelegt worden sind.
Toledo im Jahr 1577: Im Gästeabort des 
Karmeliterklosters empfängt ein
reformsüchtiger 
Ordensrebell seine satzungsgemäße Strafe. 
Dunkelheit, Wasser
und Brot, dazu täglich ein 
Geißelhieb von jedem Mitbruder.
"Wie gut kenn ich die Quelle, die sprudelt und fließt, 
auch wenn es Nacht ist...",
dichtet dieser Mönch 
namens Juan de la Cruz, der größte Poet und Mystiker
Spaniens, in seinem Verließ.
Und Greco malt seine ersten großen Bilder: die heilige 
Dreifaltigkeit und andere
Altarbilder für das 
Zisterzienserinnenkloster, und die unfassbare 
Entkleidung
Christi für die Prälaten der reichsten 
Kathedrale Spaniens.

6.6.2001
Wer zu EI Greco nach Toledo pilgert, begegnet 
auf den Wegen zwischen
Kirchen und Museen der 
leidvollen Geschichte von Muslimen und Juden in
dieser Stadt. "Das Jerusalem des Westens" wurde 
Toledo genannt, als es die
berühmte jüdisch-
christlich-islamische Übersetzerschule beherbergte, 
als der
jüdische Philosoph Abraham Ibn Daüd 
(übrigens einer der Väter der Kabbala)
dem 
Erzbischof Johannes von Toledo eine lateinische 
Übersetzung der Schrift
"Von der Seele" des 
arabischen Philosophen Avicenna widmete.
400 Jahre später, als sich der auf Kreta geborene 
ehemalige Ikonenmaler
Domenikos 
Theotokopoulos nach Lehrjahren in Venedig und 
Rom in Toledo
niederlässt und im Judenviertel 
Quartier nimmt, ist diese befruchtende Vielfalt
längst ausgebrannt und ausgerottet, die zwei 
erhaltenen Synagogen und eine
kleine Moschee 
sind zu Kirchen gemacht: EI Transito, Santa Maria 
la Blanca
und Cristo de la Luz. Übrigens ist 
erwiesen, dass der Grieche Theotokopoulos,
genannt EI Greco, bei einem Inquisitionsverhör für 
einen anderen Griechen, der
des muslimischen 
Glaubens bezichtigt wurde, gedolmetscht hat.
Und die arabischen Wurzeln Toledos prägen 
heute wie zur Zeit Grecos das
Stadtbild mit den 
herrlichen Kirchtürmen im Mudejarstil in dem sich 
Christen
nicht scheuten, gotische und maurische 
Bauelemente miteinander höchst
reizvoll zu 
verschmelzen.
Wer zu EI Greco nach Toledo pilgert, könnte 
neben den Schriften der Heiligen
Teresa von 
Avila und Johannes vom Kreuz auch mystische 
Texte aus der
jüdischen und der muslimischen 
Tradition in die Reisetasche stecken - und sie
natürlich auch lesen! Es wäre eine Geste 
geistiger Restitution und der
Verneigung vor der 
einstigen Größe Toledos!
Wer zu EI Greco pilgert, wird merken, wie reizvoll 
es sein kann, sich z.B. mit
einem Vierzeiler des 
Sufi-Mystikers Dschalalladin Rumi aus dem 13.
Jahrhundert den flammenden Bildern des Malers
zu nähern:
 
Suche nur die Gesellschaft
Von Liebenden;
Obgleich Feuer diese Welt erwärmt,
erlischt es in der Zwiesprache mit Asche.

7.6.2001
Bei meiner Lektüre über Leben und Werk des 
EI Greco bin ich auf einen Satz
gestoßen, den 
ich mir wegen seiner pointierten Treffsicherheit 
gemerkt habe.
Grecos Eigentümlichkeit ist die KOSMISCHE 
UNENDLICHKEIT seiner Bilder.
Diese kosmische Unendlichkeit muss in jedem 
Kunstwerk sein, ob es von
Heiligen, von 
Prinzessinnen oder von Kohlrüben handelt.
Dieser Satz stammt aus einem der 
hinreißendsten Reise-Tagebücher, der
 
"Spanischen Reise" des Kunstschriftstellers 
und Van Gogh-Biographen Julius
Meier-Graefe. 
Darin beschreibt er mit hemmungsloser 
Begeisterung seine
inzwischen zur Legende 
gewordene Entdeckung EI Grecos, die ja dann -
zwischen 1910 und 1914 - zu einer wahren 
Grecomanie unter den deutschen
und 
österreichischen Expressionisten geführt hat - 
von Franz Marcs "Blauem
Reiter" bis zu 
Oppenheimer und Kokoschka.
Kosmische Unendlichkeit spüren zu lassen - das 
scheint in der Tat EI Grecos
Geheimnis zu sein, 
das ihn von seinen künstlerisch nicht minder 
revolutionären
Zeitgenossen wie Caravaggio zu 
unterscheiden. Wie er Löcher in dunkle
Wolken 
reißt, aus denen das Licht hervorbricht, wie er dem 
Heiligen Geist
einen inkarnatorischen Lichtkanal 
bildet und mit ihm Himmel und Erde
 
zusammenbindet (wovon man sich zur Zeit im 
Kunsthistorischen Museum an
den 
Verkündigungsbildern überzeugen kann!). EI 
Greco, der Grieche - so
meinen manche - wäre in 
Toledo im Abendschein des untergehenden
Goldenen Zeitalters Karls V. und Philipps II. 
spanischer als die Spanier
geworden, ein Bruder 
Don Quijotes und Inigos von Loyola, fähig wie sie,
in der
eigenen Wirklichkeit die Berge der sichtbaren 
Welt wegzuziehen. Der
Philosoph Miguel da 
Unamuno, ein großer Bewunderer Grecos, nennt als
innerste Triebfeder spanischen Lebens (nur des 
spanischen??) die Sehnsucht
nach Unsterblichkeit, 
sich selbst zu überleben, das heißt fortzuleben - wenn
schon nicht im Gedächtnis der Menschen, so doch im 
Schoß Gottes.
Ein Kunstwerk ist gut, wenn wir in ihm die kosmische 
Unendlichkeit spüren,
gleich ob es von Heiligen, von 
Prinzessinnen oder von Kohlrüben handelt.

8.6.2001
Grecos Hände.
Auch Thomas Bernhard muss - wenn es not tut - 
widersprochen werden.
EI Greco hat niemals auch 
nur eine einzige Hand malen können, lässt er Reger,
den Protagonisten seiner "Komödie" ALTE MEISTER 
sagen, EI Grecos Hände
schauen immer aus wie 
schmutzige nasse Waschlappen, sagte Reger.
Da haben sie aber nicht aufmerksam genug geschaut, 
die beiden, Thomas
Bernhard und sein Reger, denn, 
dass Greco Hände malen konnte, wenn er wollte,
wenn es ihm wichtig war, zeigt er nicht nur mit dem 
berühmten "Bildnis eines
Edelmanns mit der Hand auf 
der Brust", das man zur Zeit im Wiener
Kunsthistorischen 
Museum bewundern kann.
Ganz unrecht haben Bernhard und Reger aber auch 
wieder nicht, denn manche
Hände auf Grecos Bildern 
sind wirklich plump, ungestalt, unfertig, da waren sie
ihm eben nicht wichtig -und ein Lehrling durfte sich 
wahrscheinlich daran
versuchen. Doch sonst: während 
die Gesichter schweigend nach innen blicken
oder 
schon ins Unsagbare entrückt scheinen, sprechen die 
Hände mit ihren
expressiven Gesten überlanger Finger 
um so eindringlicher und wie stumme
Propheten.
So sagt auch diese Hand auf der Brust mehr als der 
würdevolle Ausdruck des
Gesichts des Caballeros, 
diese Hand, wie sie auf dem dunklen Wams aus der
blendend weißen Spitzenmanschette leuchtet, die 
Finger über dem Herzen zu
jener berühmten Geste 
gespreizt, wo Zeigefinger, Mittel- und Ringfinger die
Haltung der Hand einer Mutter nachahmen, die ihrem 
Säugling die Brust reicht.
Dieser mütterlichen und lebenspendenden Geste der 
Zuwendung, die im
weitesten Sinn auch Hingabe, 
innere Bewegung und Bitte um herzliche
Zuneigung 
ausdrückt - begegnen wir auf vielen Bildern Grecos. 
Auf Bildern
von Maria, von vielen Heiligen - und von 
Christus selbst. Von ihm heißt es ja in
der 
mystischen Literatur: Er ist unsere wahre Mutter, er 
nährt uns mit seiner
Liebe.
Grecos Edelmann mit der Hand auf der Brust - nicht 
nur bei Bildern und
Skulpturen - wieder empfänglich 
machen für die Sprache der ehrlichen Geste
von 
Händen.

9.6.2001
Es ist ohne Zweifel ein einmaliger Komfort, 
vierzig sorgfältig ausgewählte
Werke von EI 
Greco – attraktiv arrangiert - bei sich zu Hause 
bewundern zu
können, in der schönen Stube - 
sprich im Kunsthistorischen Museum -, wie das
zur Zeit der Fall ist.
Aber reizvoll ist es auch, Bilder an ihrem 
angestammten Ort zu besuchen. Vor
allem, wenn 
zu diesem kein touristischer Trampelpfad führt.
Viele wissen, dass es in einem gewöhnlichen 
Städtchen namens Illescas,
ziemlich genau 
zwischen Madrid und Toledo, fünf 
außergewöhnliche Bilder von
Greco aus den 
späten Jahren seines Schaffens gibt. Aber wenige 
finden es der
dreißig Autominuten von Madrid oder 
Toledo wert, hat man doch eben in
Toledo das 
Wunder vom Begräbnis des Grafen von Orgaz und 
viele, andere
Bilder gesehen und in Madrid die drei
Dutzend Grecos im Prado. Was kann
schon in 
lllescas Ebenbürtiges sein.
Nun, lllescas hat einen schönen Mudejar-Kirchturm 
und das Hospital de la
Caridad, eine 500 Jahre 
alte Stiftung des berühmten Kardinals Cisneros.
Für dieses Hospital hat EI Greco um 1605 drei 
Deckenbilder und zwei
Altarblatter gemalt - und 
zwei Jahre um das Honorar prozessiert.
Auserwählt und gesegnet empfindet man sich, 
wenn man an einem
Sonntagvormittag in der 
Kirche des Hospitals der Messe beiwohnt - vor 
sich
jenes Bild des Heiligen lldefons, von dem 
der Kunstschriftsteller Meier-Graefe
geschrieben 
hat, dieses eine Bild nur lohne die Reise nach 
Spanien. Diese Bild
der Weisheit und 
Herzensgüte des greisen Bischofs, wie er im 
Schreiben
inne hält und horchend zu einer 
Marienstatue aufblickt, ermutigt zur
Frömmigkeit.
Dann noch die verblüffende 
Schutzmantelmadonna: wie ein etwa 16jahriges
Mädchen vor einem wilddrohenden Himmel 
ihren weiten Umhang über die
Granden der 
Stadt mit ihren lächerlichen Halskrausen 
breitet - und schließlich
Verkündigung und 
Geburt und Krönung in Rundmedaillons - da 
musste sich
Greco, der Meister des 
Hochformats, klein machen, und er hat es 
getan: zärtlich
und tief. Oft erlebt man an 
unscheinbaren Orten ganz helle Sternstunden.

 

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Letztes Update dieser Seite am  11.06.2001 um 13:19