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Gedanken für den Tag
Montag bis Samstag, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1

von Propst Gerhard Rechberger

"Angebote – Aussichten – Alternativen"

Montag, 11.6.2001
"Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört 
das Himmelreich"

In meinem Zimmer steht eine kleine Klangschale.
Wenn ich sie anschlage, entfaltet sie einen 
beruhigenden und schwingenden
Klang, der den 
ganzen Raum erfüllt. Das ist aber nur möglich, 
wenn sie nicht
festgehalten wird und auch nicht 
mit etwas angefüllt ist. Nur die leere Schale,
 
die frei schwingen kann, entfaltet diesen Klang.
Das Leerwerden des Menschen im Abschalten, 
in der Stille, im Loslassen, kann
Leib und 
Seele zum Schwingen bringen und zugleich 
empfänglich machen wie
eine offene Schale.
Ein Töpfer der Brüdergemeinschaft von Taize in 
Frankreich betete beim Formen
einer Schale: 
Herr, mache mich zu einer Schale - offen zum 
Empfangen, offen
zum Geben.
Empfänglich - nicht vollgestopft
Offen für das Lächeln aus den Augen eines 
Kindes
Offen für die suchenden, tastenden Hände 
eines Kranken
Offen für das Wort eines Freundes, der mir
Mut macht
Oder mich auch kritisch hinterfragt
Offen und empfänglich sein hat etwas zu 
tun mit dem Wissen um die eigene
Unvollkommenheit, die eigene Armut, 
Bedürftigkeit.
Nicht: Ich weiß alles, kann alles - mir braucht 
niemand etwas zu sagen.
Am Beginn der Bergpredigt preist Jesus 
jene selig, die arm sind vor Gott, die
mit 
leeren Händen vor Gott stehen, denn ihnen 
gehört das Himmelreich.
Er preist jene selig, die nichts zu bieten 
haben und gerade deshalb reich
beschenkt 
werden können.
Herr, mache mich heute zu einer offenen 
Schale
 
Für dich und für die Mitmenschen.

Dienstag, 12.6.2001
"Selig, die keine Gewalt anwenden, denn sie 
werden das Land erben."

In der Schule, in Beruf und Gesellschaft, in 
Familien ist die Gewalt, sei es in Worten 
oder in Taten, für viele eine schmerzliche 
Erfahrung. Konflikte sind da – das ist ganz 
natürlich. In Filmen, die durch das Fernsehen 
auch Kindern zugänglich sind, werden diese 
Konflikte oft mir Gewalt, Brutalität und 
Rücksichtslosigkeit gelöst.

Wenn wir nach diesem Muster handeln, dann 
dreht sich die Spirale der Gewalt zwischen 
den Menschen, Gruppen und Völkern. Und wer 
geschlagen wird, trägt Wunden davon, die 
wieder hart machen, und in sich den Keim der 
Gewalt in sich tragen.

Die Ursehnsucht des Menschen nach Besitz, 
Macht und Ansehen will erfüllt werden, aber wie?

Jesus widersteht in der Wüste dieser 
Versuchung nach Brot, Land und Show. Und als 
er beim Verhör von einem Knecht ins Gesicht 
geschlagen wird, schlägt er nicht zurück, aber er 
lässt sich das auch nicht einfach stillschweigend 
gefallen, sondern er hinterfragt dessen Handlung:
‚Habe ich Unrecht geredet, beweise es mir. 
-Habe ich recht geredet, warum schlägst du 
mich?’ (Joh 18,23)

Dieser gewaltfreie Widerstand setzt eine tiefe 
innere Kraft voraus, die wir auch bei anderen 
großen Gestalten, wie Mahatma Gandhi, sehen. 
Gerade in der scheinbaren Ohnmacht haben sie 
ihre Strahlkraft gezeigt und damit die Kette der 
Gewalt durchbrochen. Gewaltfreiheit hat also 
nichts mit Schwäche zu tun, sondern darin zeigt 
sich gerade die reife Persönlichkeit.

Gewalt anwenden kann oft sehr versteckt 
geschehen: Wenn ich eine Entscheidung treffe, 
ohne auch Betroffene gehört zu haben. Wenn 
ich andere mundtot mache, ihnen jede 
Kompetenz abspreche ‚davon verstehst du nichts’;

Mobbing am Arbeitsplatz, Schneiden, Ignorieren, 
Erpressen mit Drohungen – die Gewalt hat viele 
Gesichter.

Jesus sagt in der Bergpredigt: "Selig, die keine 
Gewalt anwenden, denn sie werden das Land 
erben."

Mittwoch, 13.6.2001
"Selig, die hungern und dürsten nach der 
Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden."

Martin Luther King, der in seinem Kampf für 
die Gleichberechtigung der Farbigen in den 
USA im Jahre 1968 von einem Scharfschützen 
ermordet wurde, hat kurz vor seinem Tod 
Worte gesagt, die nicht vergessen wurden: "Ich 
habe einen Traum, dass eines Tages auf den 
roten Hügeln von Georgia die Söhne der 
früheren Sklaven und die Söhne der früheren 
Sklavenhalter miteinander sitzen werden an 
einem Tisch der Brüderlichkeit."

Was ist die Triebfeder für ihn, worin liegt die 
Hoffnung für Martin Luther King, dass er so 
etwas sagen kann? Als Christ weiß er: ‚Vor 
2000 Jahren sagte eine Stimme aus Bethlehem,
dass alle Menschen gleich sind’:

Diese Überzeugung war tief in ihm verwurzelt, 
diese Überzeugung trieb ihn an, ließ ihn nicht 
ruhig werden, solange er das Unrecht 
gegenüber der schwarzen Bevölkerung und 
auch anderen Menschen sah. Dieser Glaube 
schenkte ihm Widerstandskraft.

"Selig, die hungern und dürsten nach der 
Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden:"

Wenn die Katholiken morgen, am 
Fronleichnamsfest, das Brot als Zeichen der 
Nahrung für den Hunger nach Liebe und 
Gerechtigkeit durch die Straßen tragen, dann 
wissen sie den in ihrer Mitte, der diese 
Seligpreisung ausgesprochen hat.

Aber, was kann denn schon ein einzelner oder 
eine einzelne ausrichten?

Und bekannt ist der Dreischritt der Österreicher:

Dem gegenüber kann uns ein Satz von Dom 
Helder Camara Mut machen. Dieser kürzlich 
verstorbene brasilianische Erzbischof war ein 
Beschützer der Armen und Verfolgten und ein 
Kämpfer gegen die Folter und die ungerechten 
Strukturen. Er hat gesagt: "Wenn jemand allein 
träumt, dann ist es nur ein Traum. Wenn aber 
viele gemeinsam träumen, dann ist das der 
Beginn einer neuen Wirklichkeit.

Freitag, 15.6.2001
"Selig die Barmherzigen, denn sie werden 
Erbarmen finden."

Wenn jemand von einem anderen sagt: ‚Der hat 
kein Herz’, so wird diesem damit wohl eine 
wesentliche Dimension des Menschseins 
abgesprochen.

Herz ist Inbegriff der Personmitte, seiner 
Liebes- und Einfühlungsfähigkeit.

Ist ein Mensch herzlich, hat er ein gutes Herz

Oder wird er als herzlos, hartherzig erlebt.

Das Wort Barmherzigkeit, das die Silbe ‚herz’ 
in seiner Mitte hat, bedeutet von seiner 
Herkunft eigentlich. ‚wer ein Herz für die 
Unglücklichen hat.’ Das lateinische Wort 
‚misericordia’ hat vor dem Herzen (cor) das 
Wort miser – elend.

Barmherzigkeit .- wer ein Herz für die 
Unglücklichen, die Elenden hat.

Elend kann es einem Menschen gehen durch 
äußere Ereignisse, Materielle, seelische oder 
psychische Not, inner Konflikte, Empfinden der 
eigenen Schuld, des Versagens, des Ungenügens.

In so einer Situation kommt es darauf an, wer mir 
begegnet:

Ob jemand kommt, der nur darauf aus ist, meinen 
schwachen Punkt zu erwischen und mich fertig zu 
machen, mich zu erledigen, mich zu beschämen.

Oder ob jemand kommt, der zwar auch nicht die 
Augen verschließt vor der Wirklichkeit, der die 
Wahrheit über mein Leben anspricht, aber nicht 
um mich zu vernichten, sondern um mit mir einen 
neuen Weg in die Zukunft zu suchen, der vergeben 
kann, der nicht fragt: was verdienst du, sondern: 
was brauchst du.

Das ist Barmherzigkeit.

Im Hebräischen hat dieses Wort den gleichen 
Wortstamm wie Mutterschoß – der Leben schenkt, 
bergend umhüllt, aber auch in die Freiheit entlässt.

Jesus sagt:

Selig die Barmherzigen, denn sie werden 
Erbarmen finden.

Samstag, 16.6.2001

"Selig die Frieden stiften, denn sie werden 
Söhne Gottes genannt werden"

Das Leben lebt von der Spannung zwischen 
entgegengesetzten Polen. Wo in einer Zelle 
keine Spannung mehr da ist, da ist diese Zelle tot.

Aber Spannungen und Gegensätze im 
menschlichen Zusammenleben schaffen auch 
Konflikte, die zum Unfrieden führen können.

Frieden schaffen heißt nicht, Gegensätze 
auslöschen, sondern überbrücken, die Hand der 
Versöhnung anbieten, heißt Missverständnisse 
klären, die sozialen Unterschiede ausgleichen 
helfen,
Frieden schaffen heißt, den Hass nicht 
schüren, die Intoleranz überwinden, Vorurteile 
abbauen.

Wer Frieden bringt und stiftet, ist mehr als ein
friedfertiger Mensch, der sich alles gefallen 
lässt. Er ist aktiv und schafft Frieden.

Selig die Frieden stiften, denn sie werden 
Söhne und Töchter Gottes genannt werden.

Bischof Klaus Hemmerle beschreibt das 
folgendermaßen:

Selig
Die das Interesse des anderen
Lieben wie ihr eigenes –
Denn sie werden Frieden und Einheit stiften.

Selig,
die immer bereit sind,
den ersten Schritt zu tun –
denn sie werden entdecken,
dass der andere viel offener ist,
als er es zeigen konnte.

Selig,
die nie sagen: Jetzt ist Schluss!
Denn sie werden den neuen Anfang finden.

Selig,
die erst hören und dann reden –
denn man wird ihnen zuhören.

Selig,
die das Körnchen Wahrheit
In jedem Diskussionsbeitrag heraushören –
Denn sie werden integrieren und vermitteln 
können.

Selig,
die ihre Position nie ausnützen –
denn sie werden geachtet werden.

 

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Letztes Update dieser Seite am  18.06.2001 um 11:16