Gedanken für den Tag
Montag bis Samstag, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1

von Rudolf Luftensteiner

Montag, 18.7.2001
Power, Coolness und Spaß sind äußerst beliebte 
und trendige Worte und es scheint fast so, als ob 
alles daran gemessen würde. Selbst Schule 
scheint nur dann gut zu sein, wenn sie mit Spaß 
und Coolness in Verbindung gebracht wird. Die 
Power, die dabei als erstrebenswert vermittelt 
wird, ist die einer Ellbogengesellschaft. 
Hauptsache ich habe einen Vorteil; Hauptsache 
mir geht es gut; Hauptsache ich kann mich 
verwirklichen; Hauptsache ICH,...

Nur steht dieses Bildungsziel im Gegensatz zu 
einem Bildungsziel, das den Menschen in den 
Mittelpunkt stellt. Hier braucht es völlig andere 
Kategorien an denen man sich auszurichten hat, 
will man das Ziel erreichen Kinder und Jugendliche 
mit Rückgrat, Selbststand und Identität groß zu 
ziehen. Den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen 
braucht Lehrer und Eltern, die den Mut haben zu 
dienen und die den Mut haben Kinder und 
Jugendliche dazu zu erziehen, dass sie fähig 
werden einander zu dienen. Nur: gerade jene 
Personen, die Liebe als Wesensmerkmal des 
Menschen sehen und betrachten, lassen oft sehr 
wenig davon erkennen, dass Liebe sehr viel mit 
Mut zum Dienen zu tun hat.
"Ich bin für die Liebe" 
würden sicherlich sofort die allermeisten 
unterschreiben, aber mit der Formulierung
"Ich 
bin für das Dienen
", da täten sich sicherlich 
einige schon ganz schön schwer. Nur so leid es 
mir tut: Die Weisheit der Bibel und 
Weisheitsliteratur allgemein, die die Liebe zum 
Thema hat, kennt keine andere Feststellung, als 
die, dass Liebe Dienst ist, dass Liebe dienen 
heißt. Deshalb möchte ich heute all diejenigen 
ermutigen, die noch diesen Mut zum Dienen 
haben, denn sie sorgen dafür, dass in unserer 
Welt die Liebe nicht versickert.

Dienstag, 19.6.2001
Am Ende eines Schuljahres werden die 
Ergebnisse in Form des Zeugnisses präsentiert. 
Dies ist meist aber die Präsentation von 
Ergebnissen des Wissens: nämlich, ob Kinder 
und Jugendliche Wissen ansammeln und 
wiedergeben können. Dabei ist das überhaupt 
nicht die wichtigste Eigenschaft um die es in der 
Erziehung, in der Schule, gehen sollte. Es handelt 
sich hier vielmehr um eine alte Lehrerkrankheit, 
dass man Kindern und Jugendlichen Antworten 
gibt auf Dinge, nach denen sie überhaupt nicht 
gefragt haben. Erziehung sollte Erziehung zum 
Fragen sein. Erziehung hat dann Erfolge 
vorzuweisen, wenn sie zum Fragen erzieht. Es 
werden eben nur aus fragenden Menschen hinter - 
fragende Menschen. Fragende Menschen sind 
Menschen, die sich kein X für ein U verkaufen 
lassen. Sie sind auch in der Regel 
widerständlerische Menschen. Vielleicht sind es 
nicht gerade die bequemsten Menschen, aber 
sicherlich diejenigen, die Zukunft gestalten.

Wenn wir Erziehungserfolge abfragen oder 
bewerten, sollten wir bewerten, ob am Ende 
eines Schuljahres ein Mehr an Fragen - können 
da ist. Denn Fragende brauchen wir, die sich 
nicht abspeisen lassen, aber nicht Wiederkäuer 
ohne jede Phantasie und Kritikfähigkeit.

Mittwoch, 20.6.2001
Ich orte in unserer Gesellschaft in zwei 
Bereichen sogenannte Profis. Ich meine damit 
nicht die Facharbeiter und andere Profis, die in 
ihren Bereichen hervorragende Arbeit leisten. 
Die Profis, die ich meine, finden wir zum einen im 
Sport. Am Tag nach einem Fußball-Länderspiel 
wundere ich mich immer wieder wie viele 
Fußballprofis und Fußballkenner in diesem Land 
leben und wie genau alle wissen wie gespielt hätte 
werden sollen.

Ganz ähnlich funktioniert es im Bildungsbereich. 
Jeder Vater, jede Mutter und vor allem jede 
ehemalige Schülerin, jeder ehemalige Schüler 
hält sich für einen Erziehungsprofi. Diejenigen, 
die mit sehr hohem Engagement, mit sehr viel 
Professionalität, mit sehr hohem persönlichen 
Einsatz den Dienst der Erziehung leisten, 
kommen dabei meist völlig unter die Räder. Die 
Lehrer und Erzieher sind meist an allem schuld 
und die Gesellschaft weiß ganz genau wie 
Erziehung auszusehen hat.

Aber Erziehung lässt sich nicht nach bestimmten 
festen Formen erledigen. Erziehung ist Arbeit 
mit Menschen und da gibt es keine 
Erfolgsgarantie, da gibt es nicht immer schon 
vorhersagbare Ergebnisse. Erziehung ist keine 
Arbeit am Fließband, an dem all die gleichen 
Handgriffe dieselben Ergebnisse produzieren. 
Erziehung ist Beziehungsarbeit mit Menschen. 
Und Beziehungsarbeit lässt sich nur leisten in 
einem offenen Prozess. Und damit dieser 
Prozess gelingen kann, braucht es eine große 
Portion an Geduld und Vertrauen und vor allem 
die Bereitschaft diesen offenen 
Beziehungsprozess auch wirklich offen zu halten.

Donnerstag, 21.6.2001
Die rasante Veränderung in unserer Gesellschaft 
in den letzten Jahrzehnten ist allen sehr deutlich 
vor Augen. Ein Punkt, an dem man das deutlichst 
ablesen kann ist der, dass wir immer mehr auf 
Fertigprodukte eingestellt sind. Fertiggerichte 
dominieren heute unsere Küchen. Wohnen findet 
in Fertigteilhäusern statt. Die Einrichtung besteht 
aus vorgefertigter Massenware. Unterhaltung ist 
zum Fertigprodukt aus dem Fernseher oder aus 
dem CD-Player verkommen. Selbst Spielen ist 
heute selten ein offener Prozess in einer 
Gemeinschaft, sondern meist ein Einzelkampf 
mit den Tasten des Game Boys oder PCs. 
Selbst der Inbegriff von Freizeit wird gestaltet 
von Animateuren, die ihre Programme verkaufen, 
welche von uns konsumiert werden. Ja, sogar 
sogenannte Abenteuerurlaube werden als fertige 
Angebote ver- und gekauft. Wen wundert es 
dann, dass alle auch von der Erziehung 
Fertigprodukte erwarten, die genau das zu 
erfüllen haben, was der Kunde Wirtschaft erwartet. 
Der Arbeiter, der Mensch, wird dann einfach 
ausgewechselt, wenn er den Kundenbedürfnissen 
nicht voll entspricht. Schuld hat dann die Erziehung, 
die falsche "Fertigprodukte" hervorbringt.

Zerstören wir unsere Instantprodukte in der 
Erziehung, die junge Menschen letztlich zu einer 
Handelsware degradieren! Werfen wir unsere 
fixen Ideen weg, die junge Menschen einfach zu 
Fertigprodukten für die Wirtschaft degradieren! 
Wirkliche Erziehung ist ein offenes Geschehen; 
wirkliche Erziehung ist ein Prozess, ist ein Weg. 
Junge Menschen müssen sich entscheiden können, 
müssen wachsen können. Junge Menschen müssen 
leben können und nicht gebrochen werden hinein in 
fixe Wunschkataloge unserer Gehirne.

Freitag, 22.6.2001
Unsere Gesellschaft ist voll an Informationen und 
meint alles zu wissen und alles zu können. 
Gleichzeitig erleben wir, dass eine beinahe 
unerschöpfliche Sehnsucht nach wirklichem 
Leben, nach Lebenserfahrung, nach 
Liebeserfahrung, nach Sinnerfahrung da ist. 
Diese Sehnsucht nach Erfahrung in unseren 
Herzen, in unseren Seelen können wir aber 
nicht kaufen, - weder mit Bungee-jumping 
noch anderen ausgefallenen Abenteuern 
oder durch "Reinziehen" von Erlebnissen 
erreichen. Diese Sehnsucht passt nicht in 
unser Kaufdenken.

Das Herz, die Seele hat einen anderen 
Pulsschlag, hat eine andere Wirklichkeit. 
Zeugen dieser Wirklichkeit, Animateure 
hin zu dieser Wirklichkeit, Wegbegleiter in 
diese Wirklichkeit sind die sogenannten 
Mystiker, die Künstler und Träumer. 
Deshalb möchte ich all diesen Menschen, 
die von einer besseren Welt, von einer 
anderen Welt träumen, die von einer 
größeren und weiteren Welt als der 
bemessbaren und sichtbaren Welt künden, 
Menschen, die mit ihrer Kunst Fenster in 
diese Welt auftun, die die Sehnsucht immer 
offen halten, ermutigen - ja beknien -, sich 
nicht ent-mutigen zu lassen! Wären in 
unserer Gesellschaft doch nur viel mehr 
Mystiker, Träumer und Künstler am Werk, 
dann wäre diese Welt viel reicher an 
Lebens-, Liebes- und Sinnerfahrung!

Das Leben spielt sich seltenst in den 
sogenannten Events ab, findet nicht in 
den Lifestyle - Clubs statt, sondern in den 
Herzen eines jeden/einer jeden von uns. 
Leben ist Herzensangelegenheit und diese 
Lebensbewältigung ist bei Mystikern, 
Träumern und Künstlern nun mal am besten 
gegenwärtig.

Mystiker, Künstler und Träumer braucht 
diese Welt. Leben braucht diese Welt.

Samstag, 23.6.2001
Wie viel an Leid, Tränen, Familientragödien 
und Kummer spielt sich da ab in den 
Schülerseelen gerade zu Schulschluss, da 
ja alles auf eine gut benotete Leistung 
aufbaut! Leben wird aber nicht durch Noten 
zu Leben! Der Mensch ist doch nicht das 
Produkt eines Zeugnisses! Eine bestimmte 
Fähigkeit wird dadurch gemessen und 
bewertet - mehr nicht. Lernen wir doch 
wieder auf den Menschen zu sehen, auf 
das Gesamtkunstwerk, das wir vor uns 
haben. Sagen wir doch dem Wahn des 
Leistungsdenkens endlich den Kampf an. 
Lernen wir zu schauen, wo die Qualitäten 
der einzelnen liegen und zwängen und 
zwingen wir junge Menschen nicht in etwas, 
was sie nicht sind. Kann denn eine 
schlechte Note wirklich mehr wiegen als die 
Liebe zu meinem Kind? Kann denn eine Note 
wirklich das Maß aller Beurteilung sein? Nein, 
und nochmals nein.

Leben ist unendlich weiter, bunter, schöner 
und vielfältiger als ein Zeugnis. Leben findet in 
so zahlreichen Facetten statt - ein Zeugnis ist 
nur ein Puzzlestein. In der Hektik des 
Schulbetriebes wird all zu leicht übersehen, 
dass es um das Leben, um die Entwicklung 
eines jungen Menschen geht. Es geht nicht um 
Mutter- oder Vaterstolz. Es geht auch nicht um 
das Spiel "Besser, schöner und überhaupt 
über-drüber". Es geht darum, dass wir jenen 
Lebensraum gestalten helfen, in dem junge 
Menschen sich entwickeln und wachsen können.

Erziehung ist auch immer wieder eine Frage 
von Gelassenheit und menschlicher Reife, die 
auch zulassen, dass nicht alles nach Plan geht 
und die zulassen, dass der Jugendliche sich 
anders entwickelt als ich es gerne hätte.

Die Säulen einer menschlichen Entwicklung 
und Reifung sind nun mal nicht die 
Zeugnisnoten, sondern sind immer noch 
Liebe und Zuwendung.

 

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Letztes Update dieser Seite am  25.06.2001 um 14:19