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Gedanken für den Tag
Montag bis Samstag, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1
Ines Knoll über Ingeborg Bachmann
Montag, 25.6.2001
"Ich grenz noch an ein Wort und an ein andres
Land ...", hatte Ingeborg Bachmann geschrieben,
die zum heutigen Tage ihren 75. Geburtstag
gefeiert hätte. Was würde sie heute wohl denken,
diese Frau mit ihrer geschärften Wahrnehmung,
deren Augen ein Leben lang 'zum Schauen
erwacht' waren? Was würde sie dichten über
den gefallenen eisernen Vorhang, das vereinte
Europa, über's Internet und die Erfindung des
Handys? Und ich höre sie nichts anderes sagen
über die Welt und die Menschen. Ihre Sendung
wäre die gleiche: das alles für kündbar zu halten,
weil dadurch die Welt nicht neu geworden war! Und
sie würde Klage führen über die Alltäglichkeit, die
da ist - mit der hingeworfenen Zeit, so wie's in "der
gute Gott von Manhattan" heißt: "Der Tag war da. In
allen Senkrechten und Geraden der Stadt war Leben,
und der wütende Hymnus begann wieder, auf die
Arbeit, den Lohn und größeren Gewinn." Und sie, die
ihre Sprache am Ende verloren hatte, hätte sie
bestimmt wieder gefunden, - und sie existierte ja nur,
wenn sie schrieb -. Und so hätte sie bestimmt die
Sprache wieder gefunden - oder die Sprache sie,
allein um der Unerträglichkeit das Wort zu reden und
um nach einer Freude zu verlangen, 'mit einem hellen
Ton gedacht', nach einer 'Freude, die man in die Luft
werfen kann und die einen gehen macht, leben macht'.
Das wäre nach wie vor ihre Lebensbedingung, und
sie unterschriebe einen Vertrag für's Leben: wenn ihr
darin versprochen würde, dass sie sich eines schönen
Tages hineinschreiben wird ins gelobte Land: "Ich
grenz noch an ein Wort und an ein andres Land, ich
grenz, wie wenig auch, an alles immer mehr, ..."
Dienstag, 26.6.2001
Dass ich nicht so wichtig bin, sage ich mir oft und
lange schon mit Worten von Ingeborg Bachmann, aus
ihrem Gedicht, "Böhmen liegt am Meer": "Bin ich's, so
ist's ein jeder, der ist soviel wie ich."
Natürlich ist es ein Glück, gebraucht, gemocht, und
gar geliebt zu werden. Natürlich bereitet es Freude,
sich und seine Energien einzubringen in dieses Leben,
sich zu verschwenden an eine Idee, sich für
unersetzlich zu halten und gehalten zu werden in seinem
Einsatz und auch selbst zu wissen: auf mich kommt es
an. In meinem Leben bin ich auf einen ganz bestimmten
Platz gestellt. Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen. Doch
bin ich nur einer, nur eine - neben vielen, die sich mühen,
und vor mir und nach mir waren, sind und werden
Menschen sein, die sich mit der gleichen Leidenschaft
und Unbedingtheit ihrem Auftrag hingeben - zu jeder Zeit.
Und ein Fehler ist es zu meinen: es geht nicht ohne mich.
Natürlich geht es ohne mich. Wir aber wollen das oft nicht
wahrhaben, weil wir unseren unendlichen Wert nicht
sehen, unsere Einmaligkeit nicht anerkennen und uns
orientieren, krampfhaft festhalten an alledem, was uns
eines Tages doch entschwindet und aufgehoben wird von
einer anderen Hand. Was ist dann die Karriere wert, und
was meint dir dann noch der Satz: "Ich will Karriere
machen".
Also möchte ich gerne die Bedeutsamkeit des
Vergänglichen in den Tag legen und mit Ingeborg
Bachmann sagen: '"Von Grund auf weiß ich jetzt, und ich
bin unverloren." Und mit ihrem Gedicht, von dem Ingeborg
Bachmann sagte, es sei das Gedicht ihrer geistigen
Heimkehr, sage ich: "Bin ich's, so ist's ein jeder, der ist
soviel wie ich".
Mittwoch, 27.6.2001
Die Gerichtssäle werden alle wieder geöffnet. Nicht
die der öffentlichen Gerichtsgebäude - nein, die
Gerichtssäle der Alltäglichkeit, die mitten unter uns,
die unsichtbaren - allerorten. Und mit dem
beginnenden Tag werden die Verhandlungen von
gestern fortgesetzt - als das Gerede hinter dem
Rücken anderer. - Eine Redeweise seit
Menschengedenken. Und hinter dem Rücken
blicken die Richter einander in die Augen und sie
flüstern: "Wussten Sie, dass er ein Verhältnis mit -
na Sie wissen schon - haben soll?" Oder: "Hast
Du das Neueste gehört: Sie soll bis über beide
Ohren verschuldet sein."
Eine Redeweise, die Menschen das seelische
Rückrat brechen kann, weil ein Gerücht an ihnen
klebt, sie davon erfahren und selten unterbricht
einer den Lauf des Gerüchtes und sagt: "Vielleicht
ist gar nichts dahinter. Ich will nichts hören."
Zumeist sagt man doch: "Wo Rauch ist, muss ein
Feuer sein ..." "Eigentlich ist immer was dran ..." ,
und weiter geht das Gerücht durch Ohren und
Münder.
Selten wahren die Menschen jenen Abstand, den
die Würde fordert und hüllen ins Schweigen ein
ungesichertes Geheimnis in Anerkenntnis eines
Wunsches, den alle Menschen in sich tragen -
auch seit Menschengedenken: im Tiefsten
unseres Herzens wünschen wir wohl immer:
erkannt zu werden als die, die wir sind. Dieses
Wissen hat der hebräischen Sprache einst ein
gemeinsames Wort eingetragen für erkennen und
lieben. Es ist dasselbe. Sollten wir das für
vermeidbar halten, sollte das sinnvoll sein,
einzustimmen in die "Ordnung für und alle Tage",
die nur die Niedertracht von Anfang an bestätigt,
sie weiterspielt. Sollten wir uns denn den wahren
Menschen vorenthalten? Diesem Verlangen nach
Wahrheit war Ingeborg Bachmann ihr Leben lang
nachgegangen und schon verzweifelnd schrieb
sie hoffend in ihrem Roman Malina "Aus den
Gerüchtfiguren werden die wahren Figuren, befreit
und groß, hervortreten."
Donnerstag, 28.6.2001
"'Es bleibt uns noch das ganze Leben', sagt Ivan"
im Roman Malina von Ingeborg Bachmann.
..."wir haben keine Eile. Es bleibt uns noch das
ganze Leben."
In einem solchen Glück den Tag beginnen und
alles heben aus dem Augenblick, aus dem, was
nur vorhanden ist, was einfach da ist, sich
verbünden mit der Zuversicht oder glauben: Dir
sagen lassen: Es bleibt dir noch das ganze Leben,
du bist an einen neuen Anfang gestellt - täglich -,
ganz gleich, was hinter dir, ganz gleich, was vor
dir liegt. Es bleibt dir alles noch. Glaub nicht an
das Vergebliche, an das Misslingen. Das "erhoffte
Reich" ist da, wenn du es nur willst, wenn dir die
"Gegenzeit" beginnt und das Gottgewollte in
deine Welt kommt, weil du mit einem Male lebst
von dem, was du nicht erkämpfen und nicht halten
und nicht horten sondern nur lieben kannst. Nur
davon lebst du! Und so neu zum Leben erfunden,
greifst du sicher in den Tag - anders als sonst:
'Wir treiben keinen Handelsaustausch von
Gefühlen, haben keine Machtpositionen, erwarten
keine Waffenlieferung zur Unterstützung und
Sicherung unserer Selbst.", beschreibt Ingeborg
Bachmann die Bedürfnislosigkeit aus der Liebe,
wobei sie einschränkend meint: "Liebe ist ein
Kunstwerk, und ich glaube nicht, dass es sehr
viele Menschen können".
Wenn sie sich aber ereignet, die Liebe, wenn
sie - uns zum Wunder - geschieht, teilen Gott und
Mensch dasselbe Geheimnis. Dann wendet die
Liebe das Blatt dir im Ich, und du sagst wieder
Du, bist unvereitelt wie nie: "Nun schickt der
Wind die Schienen voraus, wir werden folgen in
langsamen Zügen und diese Inseln bewohnen,
Vertrauen gegen Vertrauen." Das ist die
Landnahme der Seele, von der Ingeborg
Bachmann immer sprach, hungernd nach der
"himmlischen Erde": im Geheimnis der Liebe zu
sein. Im Herzland gilt dir das neue Gesetz der
glücklichen Zeit: "wir haben keine Eile. Es bleibt
uns noch das ganze Leben."
Freitag, 29.6.2001
"Und eines Tages stellt den Kindern niemand
mehr ein Zeugnis aus, und sie können gehen",
heißt es in der Erzählung, "Jugend in einer
österreichischen Stadt" von Ingeborg
Bachmann. Wie Kinder darauf warten, dass
eines Tages dies wahr wird: Gehen können,
frei von Noten. Und dann gehen sie - frei von
Noten - und werden wie es weiter heißt,
"aufgefordert ins Leben zu treten."
Und ins Leben getreten, stellt das Leben
selbst uns Zeugnisse aus - unser Leben lang
sind wir vor Prüfungen gestellt, die Übungen
"im Horizontgewinn und Traumverlust" hören
nicht auf, und Tränen und Tadel ziehen das
erträumte Leben in Zweifel und
Verwunschenheit: "Doch dass wir sprechen",
klagt die Dichterin, "und uns nicht verstehen
und keinen Augenblick des andern Hand
erreichen, zerschlägt so viel: wir werden
nicht bestehen."
Nein, wir werden nicht bestehen in unserer
Kälte und unseren hinrichtenden Gedanken.
"Denken Sie nicht aus einem Grund, denken
Sie aus vielen Gründen", warnt sie an
anderer Stelle, und sie meint ja nichts
anderes, als die Menschen aus der
Verstellung zu ziehen, sie geliebt und also
begnadigt sein zu lassen. Und dem, der in
den höchsten Nöten ist, ein Versprechen in
sein Versagen zu legen: "Jeder, der fällt, hat
Flügel", hat sie glaubwürdig gegen alle
Dünkelhaft der Welt für alle Zeugnistage
unseres Lebens behauptet und dazu
eingeladen, das Leben zu wagen, dieses
schöne, gefährliche, schöne Leben: und "irrt
euch hundertmal, wie ich mich irrte und
Proben nie bestand, doch hab ich sie
bestanden, ein um das andre Mal."
Und eines Tages stellt uns niemand mehr
ein Zeugnis aus - und wir können gehen.
Samstag, 30.6.2001
...und es ist schön, dass Du Dich freust - der
freien Zeit entgegen, in der Du das erleben
kannst: eine kleine Zeit nicht mehr in Pflicht
genommen und ins Übermaß gezwungen
dessen, was zu tun ist und sei.
Endlich einschlafen ohne Sorge um
Unerledigtes und ausgeschlafen erwachen,
und am Morgen ein Tag vor Dir, an dem Du
Dich nur mit Dir und den Deinen verabreden
musst, um vielleicht die Wünsche zu ordnen:
"Machen wir heute einen Ausflug oder gehen
wir an den Strand?"
Endlich bist Du Dir selbst zugelassen, und
Urlaub meint von alters her: die Erlaubnis
wegzugehen. Und wer von uns ist nicht erfüllt
von dem Verlangen, zu gehen aus dem
gewohnten Kreis und die Augen zu heben
vor einem anderen Horizont -. Und das Bild,
das Deine Augen trinken, verwandelt Dich zu
Dir. Ich liebe an der Sommerzeit, dass die
sichtbare Schönheit der Natur so sehr nach
innen strahlen kann, dass uns das alles selbst-
vergessen macht und eines Anderen gewahr.
Dass wir uns nicht versäumen, davon hat
Ingeborg Bachmann in ihrem Gedicht "Im
Sommer" geschrieben :
"Zwischen Schlaf und Träumen
In üppigen Wiesen
Wandert mein Blick auf
In die unendlichen Höhen.
Welch ein schäumendes Leben!
Wolke auf Wolke entschwebt
Wie die glühenden Stunden,
Die werden versinken
Mitten ins dunkle Weh
Des moorigen Teiches.
Nichts regt sich in mir,
Durch die sengende Hitze
Bin ich in Ruhe geworfen.
Tag folgt auf Tag.
Meine Augen sehen sie immer,
Die goldene Sonne.
Einmal wird sie bleiben,
Dort wo ein Schatten aufwölkt.
Bitterlich ist das Versäumen."
Letztes Update dieser Seite am 02.07.2001 um 11:18