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Gedanken für den Tag
Montag bis Samstag, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1

von Dieter Reutershahn

 

6. August 2001

Gott, du Gebieter, du Lebenliebender! (Weish 1,26)

Ist das, was ist, was ich heute sehe, höre, taste, schmecke,
rieche, wahrnehme – ist das nun einmal so, ist das alles? 
Kann ich dahinter kommen, ob es noch etwas anderes gibt?
Läßt sich das überschreiten? Wirkt dahinter ein Schicksal, 
ein "fatum", wie es in der Antike genannt wurde, etwas 
Fatales? Solche Fragen rücken auf den Leib, wenn der 
alltägliche Ablauf unterbrochen wird. Vielleicht durch eine 
überraschende Begegnung, oder durch eine Schreckensnachricht. 
Unabweisbar sind dann diese Fragen, die hinter dem 
sichtbaren nach Unsichtbarem suchen und es erkennen wollen.

Die Bibel setzt dem Erklärungsversuch des Fatalismus ihren 
Gott entgegen.

Das Ziel dieses Gottes ist: Alle Menschen sollen am Leben 
und an der Unvergänglichkeit Gottes selbst Anteil bekommen.

Das Buch der Weisheit spricht von Gott im letzten einfach,
doch immer auch im Blick auf vielfältige Zusammenhänge.
Wenn es um das Verhältnis zur Welt geht, nennt es Gott "Gebieter"
(6,3.7;8,3;11,26;13,3.9). Denn Gottes Geltungsbereich ist die 
ganze Erde, die ganze Welt. Er ist der Schöpfer von "klein 
und groß". Diese Allmacht Gottes ist der Grund dafür, daß 
er sich liebend den Menschen zuwenden kann. So heißt es: 
"Du schonst alles, weil du es zu eigen hast, Gebieter, du 
Lebenliebender. Denn in allem ist dein unvergänglicher Geist." 
(11,26;12,1).

Gottes gewaltige Schöpfungsenergie zeigt sich vor allem
in seiner Kraft zum Durchtragen. Gebieter über die ganze
Schöpfung und Liebhaber des einzelnen, einzigartigen 
Lebens ist er zugleich. Gottes liebende Zuwendung und 
Treue ist phantasiereich und geduldig. Gottes Beziehungswille
zur Welt und zu den Menschen und allen Geschöpfen übersteigt 
das, was nun einmal so ist. Denn Gott ist der Lebenliebende.

 

7. August 2001

Liebt die Gerechtigkeit (Weish 1,1)

"Liebt die Gerechtigkeit" (Weish 1,1) So beginnt das Buch 
der Weisheit. Biblische Gerechtigkeit meint etwas 
Besonderes. In 19 Kapiteln wirbt das Buch der Weisheit dafür
.

Wenn das Gegenteil von Gerechtigkeit katastrophale soziale, 
religiöse und politische Auswirkungen hat, muss es für das 
Gelingen geordneter Zustände Anstrengungen der Gerechtigkeit 
geben, wie sie aus allen Kulturen bekannt sind. Doch heißt es:
"Liebt die Gerechtigkeit!" Es ist also eine ganz besondere 
Gerechtigkeit. Sie wächst aus der Gemeinschaft des Menschen
mit Gott, der einzigen Quelle von Leben, das stärker ist als alle 
Nöte wie Unrecht, Leid und Tod. Gottes Gerechtigkeit: Das ist 
seine Bereitschaft, immer neu uns Menschen nachzugehen 
und hineinzulieben in das Leben. Der dem mahnenden Wort
"Liebt die Gerechtigkeit!" nachfolgende Vers heißt denn auch:
"Denkt richtig über Gott, nämlich dass er gut ist und Gutes will." 
Wer also richtig denkt über Gott und die Welt und entsprechend
seine Lebenspraxis ausrichtet, wer seine Beziehungen zu 
Gott und den Menschen neu ordnet, den führt der Weg der
Gerechtigkeit in die Gemeinschaft mit Gott.

Das alles bleibt nicht abstrakt. Im Buch der Weisheit selber 
heißt es: "Die Gottlosen sagen: Lasst uns dem Gerechten 
auflauern. Er ist uns unbequem und steht unserem Tun im 
Weg." Der springende Punkt ist dabei die "Gotteserkenntnis 
des Gerechten. Deswegen werden die Ungerechten mörderisch 
aktiv. Also weg mit dem unbequemen Mahner. Wer kann schon 
leicht die Wahrheit ertragen, die der Gerechte anmahnt? Wer
läßt sich gern zur Rechenschaft ziehen und fördert dann noch 
die Aufklärung? Der Gerechte läßt sich auch durch Gewalt
nicht unter Druck setzen, nennt das Unrecht beim Namen –
und geht neue Wege der Versöhnung.

 

8. August 2001

Weisheit: ein unerschöpflicher Schatz für die Menschen
(Weish 7,14)

Sich nicht treiben lassen von diesem und jenem, das aus 
dem eigenen Inneren kommt oder von außen. Leben, nicht 
sich leben lassen – das ist ein tief verwurzelter Wunsch, 
zumal wenn die Bedingungen dafür nur mühsam zu schaffen 
sind.

Das Buch der Weisheit zeigt auf, wie sich dieser Wunsch 
erfüllen lässt. Im nüchternen Blick auf die Welt- und 
Lebensverhältnisse, wie sie sind, wirbt der uns unbekannte
Verfasser des Buches für die Gerechtigkeit. Damit meint
er ein richtiges Denken und Sprechen von Gott und eine 
Lebenspraxis, die damit übereinstimmt.

Dass der Schreiber des Buches zu dieser Gerechtigkeit 
auffordert, hängt damit zusammen, dass er überzeugt ist:
Gott lässt sich finden, er bringt sich in Erfahrung bei denen, 
die sich ihm öffnen und ihm vertrauen. Das biblische Buch 
sagt: Durch die Weisheit findet der Mensch die Nähe Gottes.

Damit wir Geschmack finden an dieser Weisheit, erzählt  
der Verfasser des Buches der Weisheit eine Rede des 
weisen Königs Salomo, in der er ihn zurückblicken und 
vorausschauen läßt. Seine Suche nach diesem Schatz 
der Weisheit erklärt er damit, daß er stellvertretend sieben 
Güter, die für manche das Leben ausmachen, nicht für das
Letzte halten kann. Er nennt: Machtsymbole, Reichtum, 
unschätzbare Edelsteine, Gold, Silber, Gesundheit in
Verbindung mit Schönheit, Licht (7,8-10) und sagt: 
Wenn die Weisheit fehlt, dann suchen wir Heil und Glück
in dem, was vergänglich ist.

Weisheit ist nicht Cleverness oder intellektuelle Klugheit. 
Sie gibt auch keine Patentrezepte. Sie ist eine 
Grundeinstellung bei denen, die sich nicht zufrieden 
geben mit all dem, was geboten und gefordert wird.
Mit der Weisheit finden die, die der Stimme ihrer 
Sehnsucht folgen, Lebensmitte und Erfüllungshoffnung
in Gott, und von daher können sie ihre menschlichen 
Möglichkeiten zur Entfaltung bringen, können sie weise
leben, weil sie dem wahren Leben auf den Geschmack 
gekommen sind.

 

9. August 2001

Wer hat je deinen Plan erkannt? (Weish 9,17)

Phantastisch sind wir Menschen begabt. Immer neue 
Möglichkeiten werden entdeckt: außerhalb unseres 
Erdkreises bis in die Tiefen des Weltraums und zugleich
bis in die kleinsten Zusammenhänge der Schöpfung etwa
in der Atomforschung und in der Gentechnologie. Man
kommt aus dem Staunen nicht heraus. Die Wunder der 
Welt und der Forschergeist der Menschen sind faszinierend.

"Wenn sie durch ihren Verstand schon fähig waren, die Welt 
zu erforschen, warum fanden sie dann nicht eher den Gebieter
der Welt?" Mit dieser skeptischen Frage, die nun schon 
zweitausend Jahre alt ist, läßt das Buch der Weisheit (13,9)
einen Moment innehalten.

Wie die Schöpfung uns nicht völlig durchschaubar ist, so erst
recht nicht Gott selbst. Ein Wort aus dem Buch der Weisheit
regt zum Nachdenken an: "Wir erfassen kaum, was auf 
der Erde vorgeht und finden nur mit Mühe, was auf der 
Hand liegt. Wer kann dann ergründen, was im Himmel
ist" (9,16)? Was wissen wir Menschen denn in Wahrheit
von Gott?

Es ist wie in jeder menschlichen Begegnung. Immer wieder
begegnen einander unverwechselbar eigene Menschen. 
Jede und jeder hat eine ganz eigene Geschichte, ganz
unvertretbare Empfindungen. Ich weiß vom anderen 
allein das, was mir gesagt wird und was ich bei mir 
ankommen lasse. Allein da, wo jemand Einblick schenkt 
in sein Fühlen und Wollen, kann ich ihn kennen lernen.
Ohne die Offenheit eines anderen bliebe sie oder er 
mir fremd und geradezu im Dunklen.

Vergleichbares gilt für das Verhältnis zu Gott. Allein, was
in der Heiligen Schrift von ihm gesagt ist, durch Generationen 
und Jahrtausende immer wieder neu entdeckt, gibt Kunde 
von Gott. Doch kann das erst wirken, wenn wir bereit sind,
im Innersten zu respektieren, daß wir nicht uns selbst 
geschaffen haben, daß wir uns vorgegeben sind, daß der,
der uns in dieses Leben gestellt hat, anders ist als wir selbst.

 

10. August 2001

Da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel (Weish 18,15)

"Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis
zur Mitte gelangt war, da sprang sein allmächtiges 
Wort vom Himmel" heißt es im 18. Kapitel des Buches
der Weisheit. Es zitiert aus der Geschichte Israels. 
Wenn damals verwirrende Verhältnisse erfolgreich 
bestanden wurden, kann man aus der Vergangenheit 
Orientierung für heute finden.

Deshalb erinnert das Buch der Weisheit an "jene Nacht",
in der Gott seinem Volk die ersehnte Freiheit aus der
Knechtschaft Ägyptens ermöglicht. Die Israeliten stehen 
ängstlich und zur Flucht bereit in ihren Hütten, dann 
ändert das Wort Gottes alles, die erstgeborenen Söhne
der Ägypter werden getötet. Wenig später wird das Heer
der Ägypter im Roten Meer ertrinken. Diese Nacht nennt 
sich "Pascha" (Vorübergang des Herrn). Mit ihr beginnt 
für das Volk Israel der Weg in die Freiheit und die 40jährige 
Wanderung durch die Wüste. Sie ist allen Angehörigen 
des Volkes Israel vertraut. Wenn dieses Zitat auftaucht, 
wird immer die Konfliktgeschichte eingespielt, die mit
dem Gottesglauben verbunden ist.

An den lebendigen Gott zu glauben, bringt Spannung
mit sich und Ärgernis, Auseinandersetzung und Feindschaft, 
neben allem Trost, aller Freude und allem Glück. In diesem 
Grundwissen vermittelt das Buch der Weisheit die entschiedene 
Zuwendung Gottes zu den Menschen. Wo er ist, gibt es Rettung.
Er steht auf der Seite derer, die ihm trauen. Als sein stärkstes
Mittel der Zuwendung wird sein Wort vorgestellt, wenn es
von ihm heißt: "Als tiefes Schweigen das All umfing und 
die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da sprang sein 
allmächtiges Wort vom Himmel" (18,14f). Aus dem 
Schweigen nimmt dieses Wort seine ganze Wucht.
Es dreht die Verhältnisse um, unterbricht den Lauf des
Geschehens, und ganz Neues taucht auf. Gottes Wort
deckt in aller Klarheit falsche, menschen- und gottverachtende 
Verhältnisse auf. Sich von diesem Wort ergreifen zu 
lassen, unter diesem Wort zu leben, ist wahre Weisheit.
 Denn sie eröffnet das wahre Leben.

 

11. August 2001

Gott hat den Menschen ... zu Bild seines eigenen Wesens gemacht (Weish 2,23)

Vor Jahren bin ich auf eine eigenartige Spruchkarte 
gestoßen. Von oben bis unten ist sie mit dem immer 
gleichen Satz bedruckt: "Alles ist selbstverständlich." 
Zehnmal wiederholt sich dieser Satz. Nur in der letzten
Zeile zeigt sich eine Veränderung. "Alles ist ..." – und 
dann gibt es nur noch Pünktchen. Alle Selbstverständlichkeit 
kommt ins Stocken.

Im Buch der Weisheit steht der Satz: "Gott hat den Tod 
nicht gemacht und hat keine Freude am Untergang der 
Lebenden" (1,13). Nehmen wir nicht den Tod als 
selbstverständlich? Gewiß schmerzlich, doch wir 
gehen im Tiefsten davon aus: das Leben zieht überall 
den Kürzeren: an Kriegsfronten, an der Hungerfront in 
den weltweiten Elendsgebieten, an der Verkehrsfront, 
an der Krankheitsfront trotz größter ärztlicher Kunst. Im
Kampf um das Leben unterliegt offenbar das Leben. 
Dagegen hat niemand ein Mittel. Auch am Ende eines
langen Lebens tut der Tod immer noch weh und wirft 
Fragen auf. Ist der Tod doch nicht selbstverständlich?

Der Verfasser des Weisheitsbuches kennt die Not um
den Tod. Und doch gibt er zu verstehen: "Nichts ist 
selbstverständlich." Auch der Tod ist nicht selbstverständlich.
Er sagt: "Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit 
geschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens 
gemacht" (2,23). Der natürliche Tod kommt. Das ist
eine Tatsache, die zweifellos bleibt. Doch hebt dieser
physische Tod nicht die Zielbestimmung der 
Unvergänglichkeit auf. Unvergänglichkeit bedeutet:
 wir können auch durch den Tod hindurchgehen.

Um dieses Vertrauen wirbt das Buch der Weisheit.
Denn Gott hat, so versichert dieses Buch, "den 
Menschen zur Unvergänglichkeit geschaffen und
 ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht".

 

 

 

Letztes Update dieser Seite am  20.09.2001 um 17:27