Gedanken für den Tag
Montag bis Samstag, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1
von Cornelius
Hell
Religionsjournalist in Wien
Und Maria trat aus ihren Bildern
13. August 2001
Bilder von Maria, der Mutter
Jesu, finden sich nicht
nur in katholischen Kirchen, sondern auch bei den
Malern und Dichtern. Maria hat viele Schriftsteller
fasziniert, gerade auch solche, die nicht als besonders
fromm gelten. Heinrich Heine zum Beispiel, der
süffisante Spötter in Glaubensangelegenheiten,
der Jude, der unter Assimilationsdruck zum
Protestantismus konvertierte – auch für Heine
war Maria eine Gestalt von poetischer Faszinationskraft.
Deutlich kommt das in einem Gedicht zum Ausdruck,
das in der Vertonung Robert Schumanns sehr bekannt
geworden ist:
Im Rhein, im heiligen Strome,
Da spiegelt sich in den Well’n
Mit seinem großen Dome,
Das große heilige Köln.
Im Dom da steht ein Bildnis,
Auf goldenem Leder gemalt;
In meines Lebens Wildnis
Hat´s freundlich hineingestrahlt.
Es schweben Blumen und Englein
Um unsere liebe Frau;
Die Augen, die Lippen, die Wänglein,
Die gleichen der Liebsten genau.
Neben der unüberhörbaren Ironie kommt für Heinrich
Heine auch ein Hoffnungsfunken zum Ausdruck:
die Madonna hat freundlich in die Wildnis seines
Lebens hineingestrahlt.
In seinen Reisebildern hat Heine die Madonna noch
unverblümter erotisiert; süffisant notiert er über seinen
Besuch im Dom von Trient:
... man betet und träumt und sündigt in Gedanken,
die Madonnen nicken so verzeihend aus ihren
Nischen, weiblich gesinnt verzeihen sie sogar,
wenn man ihre eigenen holden Züge in die
sündigen Gedanken verflochten hat ...
Diese erotische Aufladung der Madonna provoziert
vielleicht manche Katholiken. Der ironische Unterton
sollte aber nicht vergessen lassen, dass Heine hier
ein positives Gegenbild zur aufgeklärten Nüchternheit
protestantischer Kirchen skizziert. Sinnlichkeit ist für
ihn ein wesentliches Moment des Lebens und der
Religion. Und Maria, die Frau im innersten Bezirk
der Religion, gehört für ihn zur "Seelensiesta", zum
Ausruhen der Seele im Dunkel eines katholischen Domes.
14. August 2001
Von Maria, der Mutter Jesu, wissen
wir nicht viel. Die
Evangelien lassen sie nur in wenigen Situationen ins
Licht treten. Seit den ersten Jahrhunderten des
Christentums gibt es Versuche, ein Marienleben zu
schreiben, eine Biographie Marias sozusagen. Die
Lücken wurden durch Legenden gefüllt.
An diese Tradition knüpft Rainer Maria Rilke an. Inspiriert
von Gemälden Tizians und Tintorettos in Venedig und
vom Maler-Buch vom Berg Athos schrieb er 1912 seinen
Gedichtzyklus "Marien-Leben".
Rilke war der Sohn einer strenggläubigen Katholikin. Wie
viele katholische Kinder seiner Zeit, Mädchen wie Jungen,
trug er den Namen Maria als zweiten Taufnamen. Rilke hatte
die Gestalt Marias einprägsam vor Augen, aber er ging
sehr frei um mit der biblischen Tradition und leuchtet einzelne
Stationen im Leben Marias psychologisch aus. Eine Spannung
zwischen Maria und Jesus durchzieht diese Gedichte; sie
findet ihren Höhepunkt im Zwiegespräch Marias mit ihrem
toten Sohn. "Pietà" heißt dieses Gedicht – Maria hält den
toten Jesus in ihrem Schoß:
Jetzt wird mein Elend voll, und namenlos
erfüllt es mich. Ich starre wie des Steins
Inneres starrt.
Hart wie ich bin, weiß ich nur Eins:
Du wurdest groß –
.....und wurdest groß,
um als zu großer Schmerz
ganz über meines Herzens Fassung
hinauszustehn.
Jetzt liegst du quer durch meinen Schoß,
jetzt kann ich dich nicht mehr
gebären.
Rilkes Maria ist keine stumme Dulderin. Sie macht sich
Gedanken über ihr Schicksal und ihren Körper. Sie
hadert und findet Worte für die Schmerzen und Opfer,
die ihr abverlangt wurden. Gerade so kann sie das
werden, was sie in der christlichen Tradition immer
war: Zuflucht und Hoffnung derer, die sich in ihrem
Schmerz an sie wenden.
15. August 2001
Der Schriftsteller Bert Brecht war
Zeit seines Lebens ein
scharfer Religionskritiker. Auf die Frage nach seinem
Lieblingsbuch antwortete er allerdings: "Sie werden lachen,
die Bibel." 1922 hat der junge Brecht ein Gedicht mit dem
Titel "Maria" geschrieben:
Die Nacht ihrer ersten Geburt war
Kalt gewesen. In späteren Jahren aber
Vergaß sie gänzlich
Den frost in den Kummerbalken und rauchenden Ofen
Und das Würgen der Nachgeburt gegen Morgen zu.
Aber vor allem vergaß sie die bittere Scham
Nicht allein zu sein
Die den Armen eigen ist.
Hauptsächlich deshalb
Ward es in späteren Jahren zum Fest, bei dem
Alles dabei war.
Das rohe Geschwätz der Hirten verstummte.
Später wurden aus ihnen Könige in der Geschichte.
Der Wind, der sehr kalt war
Wurde zum Engelsgesang.
Ja, von dem Loch im Dach, das den Frost einließ, blieb nur
Der Stern, der hineinsah.
Alles dies
Kam vom Gesicht ihres Sohnes, der leicht war
Gesang liebte
Arme zu sich lud
Und die Gewohnheit hatte, unter Königen zu leben
Und einen Stern über sich zu sehen zur Nachtzeit.
Bert Brechts Gedicht über Maria ist von großer Sympathie
für die arme, unerschrockene Frau gezeichnet. Es lebt vom
Kontrast von "einst" und "jetzt", von der brutalen
sozialen
Wirklichkeit und der späteren christlichen Idylle. Brecht hat
sich auf die Suche gemacht nach der historischen Maria hinter
den vielen Marien-Bildern. Bekannte biblische Details räumt
er lässig zur Seite, aber die Hoffnung, die aus der Armut
wächst, hat mit der biblischen Maria sehr viel zu tun.
16. August 2001
Hermann Hesse musste sich als Schriftsteller zunächst
gegen ein bigottes Elternhaus durchsetzen. Seine
Weltsicht machte radikale Wandlungen durch. Unter dem
Einfluss fernöstlicher Philosophie und Religion, aber auch
der Tiefenpsychologie und Mythendeutung von C. G. Jung
entwickelte er seine Sicht der Einheit aller großen
Menschheitsreligionen.
In diesen Kosmos hat er auch Maria integriert. Deutlich wird
das bei seiner Beschreibung eines Madonnenfestes im Tessin,
wo er wohnte, im Jahr 1924:
Hundertmal habe ich diese Madonna belauscht, tausendmal
sie von ferne gesehen, manche Dutzend Male ihren grünen
Vorplatz und ihre Mauerbrüstung mit der unglaublichen
Aussicht besucht und durch das Fensterlein zu dem
goldenen Bilde hineingeäugt. Sie wäre so recht ein
Heiligtum für Menschen von meiner Art, und es ist eigentlich
schade, daß ich gar nicht Katholik bin und gar nicht richtig
zu ihr beten kann. Was ich indessen dem heiligen Antonius
und dem heiligen Ignatius nicht zutraue, das traue ich doch
der Madonna zu: daß sie auch uns Heiden verstehe und
gelten lasse. Ich erlaube mir mit der Madonna einen
eigenen Kult und eine eigene Mythologie, sie ist im
Tempel meiner Frömmigkeit neben der Venus und
dem Krischna ausgestellt; als Symbol der Seele, als
Gleichnis für den lebendigen, erlösenden Lichtschein,
der zwischen den Polen der Welt, zwischen Natur und
Geist, hin und wider schwebt und das Licht der Liebe
entzündet, ist die Mutter Gottes mir die heiligste Gestalt
aller Religionen, und zu manchen Stunden glaube ich
zsie nicht weniger richtig und mit nicht kleinerer Hingabe
zu verehren als irgendein frommer Wallfahrer vom
orthodoxen Glauben.
Hermann Hesse beschreibt keine christliche Kirche,
sondern den Tempel seiner eigenen Frömmigkeit.
Darin steht Maria neben Venus und Krischna, aber
sie ist ihm doch die heiligste Gestalt aller Religionen.
Maria, in der sich das Licht der Liebe in einzigartiger
Sanftheit, Zärtlichkeit und Schönheit verkörpert, gehört
nicht dem Christentum allein.
17. August 2001
Viele Bilder von Maria sind im Laufe von zwei
Jahrtausenden Christentum entstanden – manche
malen die kargen biblischen Szenen aus, manche
stehen dazu in krassem Gegensatz. Kurt Marti, der
Schweizer Schriftsteller und protestantische Pfarrer,
hat Maria einen ganzen Gedichtzyklus gewidmet. Darin
zeichnet er eine Maria, die ratlos und verstört ist, als
sie sieht, was man aus ihr gemacht hat:
später viel später
blickte maria
ratlos von den altären
auf die sie
gestellt worden war
und sie glaubte
an eine verwechslung
als sie
– die vielfache mutter –
zur jungfrau
hochgelobt wurde
und sie bangte
um ihren verstand
als immer mehr leute
auf die knie fielen
vor ihr
und angst
zerpresste ihr herz
je inniger sie
– eine machtlose frau –
angefleht wurde
um hilfe und wunder
am tiefsten
verstörte sie aber
der blasphemische kniefall
von potentaten und schergen
gegen die sie doch einst
gesungen hatte voll hoffnung
Kurt Marti geht vom subversiven Lied Marias, dem
Magnificat, aus, in dem die Armen satt werden und
die Reichen leer ausgehen. "und maria trat / aus
ihren bildern" / und kletterte / von ihren altären herab" –
so beginnt Kurt Martis letztes Gedicht, das Maria als
Rebellin gegen Männermacht und Hierarchie weiterleben
und in vielen Frauen auferstehen lässt. Marias Geschichte
ist nicht zu Ende, und die Hoffnung, die sie verkörpert,
hat zu jeder Zeit ihre eigene Gestalt.
Letztes Update dieser Seite am 13.09.2001 um 15:21