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Gedanken für den Tag
Montag, 11.12. bis Samstag,
16.12.2000, 6.57 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1

Hubert Gaisbauer über Bilder im Advent

Montag, 11.12.2000
Jacopo Tintoretto: "Die Verkündigung" in der Scuola Grande di San Rocco
in Venedig. Gemalt um 1586.

Der Erzengel Gabriel hat es leicht, in vollem Schwung ins Gemach der Maria zu 
fliegen,
begleitet von einem ganzen Geschwader liebenswürdiger Putten, denn 
das Haus, in dem sie wohnt, ist – so scheints - ein Abbruchhaus, durchlässig, 
ohne Tür und Fenster und die halbe Wand ist schon abgetragen. Aber die 
kostbare Kassettendecke
und der Fußboden aus zweifarbigem Marmor, vor 
allem aber das breit ausladende Bett im Hintergrund mit dem zeltartigen 
Baldachin aus prächtig-rotem Brokat
erzählen, dass hier wohl einmal bessere 
Leute gewohnt haben müssen.
Da sitzt Maria, fleißig und fromm, mit Nähkorb, Spindel und erbaulicher Lektüre
im Schoß, überrascht vom Engel und
überlichtet von der Taube des Geistes.
Draußen, vor einem hellen Morgenhimmel,
sägt der tüchtige Josef seine 
Bretter zurecht.
Alles recht virtuos gemalt, gewiss, aber so recht adventlich 
zu Herzen gehen
- wie die Giottos und die Fra Angelicos – will diese 
Verkündigung nicht.
Doch da ist ein leerer Stuhl, ein ganz einfacher Stuhl, 
grad in der Mitte des Bildes, grad unter dem leuchtenden Erzengel, und 
gegenüber der erschrockenen Maria,
ein Stuhl mit zerrissenem 
Bastgeflecht, sperrmüllreif,
aber: schon halb von der Sonne beschienen. 
Mir ist dieser kaputte Stuhl der große Trost in der Verkündigung von 
Jacopo Tintoretto, gemalt 1586 in Venedig.
Denn:
da ist noch Platz, für wen auch immer – 
Denn: Das Imperfekte, das Unfertige wie das Zerschlissene, stößt Gott 
nicht ab, er nimmt es an wie das Vollkommene, ja es wirkt auf ihn sogar
 
ziemlich anziehend.

Dienstag, 12.12.2000
El Greco: "Die Verkündigung", im Museo Nacional del Prado in Madrid, 
gemalt um 1595

Da ist in der Mitte des Bildes, gebildet aus unzähligen Köpfen von Cherubimen, 
ein sausender Luftkanal, der eine richtige Camerata angelica, ein himmlisches
Kammerorchester, mit der irdischen Region verbindet. Durch diesen Windkanal 
stürzt die Taube des Geistes auf das anmutige Mädchen im berühmten El 
Greco-Krapprot, auf Maria, in deren Gemach anstatt des üblichen Mobiliars sich 
wilde Wolken türmen – und ein hochaufragender Erzengel Gabriel in smaragden changierendem Kleid, den rechten mächtigen Flügel zum Gruß gesenkt, mit dem 
linken weist er nach oben. Trotz grau geballter dynamischer Wolkenkraft keine
mystisch-asketische Schau, sondern eine liebenswürdige, heitere Vision.
Zwischen Maria und dem Engel brennt - getreu byzantinischer Tradition - der 
mosaische Dornbusch jenes Brennen, das nicht verzehrt und Sinnbild für die 
Anwesenheit Jahwes ist, des ICH_BIN_DER_ICH_SEIN_WERDE.
Wie der 
"Brennende Dornbusch" auf diesem Bild
brennen alle Bilder El Grecos und 
die Figuren darin
in kühlen Flammen jenes Brennen, das nicht verzehrt.
Man hielt ihn für verrückt,
weil er so exzessiv und ekstatisch gemalt hat. Man 
hat mit tausend unsinnigen Erklärungen versucht,
seinen langgezogenen 
Engeln, Madonnen, Heiligen und Rittern
etwas Anomales, Krankhaftes 
anzudichten.
Von der brennenden Sehnsucht dieser Bilder nach Gott aber 
redet man nicht.
Denn das dürfte es ja sein, was uns an El Grecos Bildern 
so unsagbar anzieht,
so unheimlich auch, und so unerhört anspricht – wenn 
wir es zulassen - :
diese von Erdenschwere befreite Heimwehglut unserer 
sehnsüchtigen, verbannten Seele.

Mittwoch, 13.12.2000
Giovanni Bellini: "Sacra Conversatione" in der Kirche San Zaccaria 
in Venedig, gemalt 1505.

Es ist dies ein Bild, vor dem möchte man sagen: Hier ist gut sein, hier will 
ich meiner Seele eine Hütte bauen.
Will mich dieser "Sacra 
Conversatione" zugesellen,
dieser Heiligen Unterhaltung zwischen der 
Muttergottes mit dem Kind auf weißem Marmorthron –
und den vier 
Heiligen: Katharina,
Luzia (mit der Augenschale – ihr hat man beim 
Martyrium die Augen ausgestochen),
Hieronymus und Petrus.Worin 
besteht diese Unterhaltung:
Diese sechs Personen sind weder mit Blicken
noch mit Worten einander zugekehrt,
Mutter wie Kind halten den Blick mild 
gesenkt
stilles, zufriedenes Einverständnis – ebenso Katharina und Petrus, 
sogar Luzia, die "Augenheilige", sie blicken, nein: sie schauen nach innen
 
und genießen das Sakrament der Stille.
"...gib dich zufrieden und sei stille mit dem Gotte deines Lebens...",
denn 
zur Stille gehören immer zwei. Das ist die "Heilige Unterhaltung".
Der 
gescheite Hieronymus mit dem Kardinalspurpur blickt in sein großes Buch.
 
Soll er ruhig. Er stört nicht. Nur Künstler und Heilige können diese innere 
Stille entstehen lassen –
Ja, und Kinder! Kinder, wenn sie so entrückt 
schauen, dass wir Erwachsene zu ihnen sagen: Du träumst ja schon wieder!
Aber da ist noch ein siebenter Gesprächsteilnehmer an der Sacra 
Conversazione des Giovanni Bellini:
Auf den Stufen zum Thron sitzt ein 
Kind? ein Engel? Es oder er spielt auf einer viola da braccia und blickt dich, 
den Betrachter, an.
Und du hörst diese unhörbare Musik – und du bist –
im Bilde.

Donnerstag, 14.12.2000
El Greco: "Die Entkleidung Christi", genannt" L´Espolio", zu sehen in 
der Sakristei der Kathedrale von Toledo. Gemalt 1577/78.

Also noch einmal El Greco, dieser Ikonenmaler aus Kreta, der zuerst nach 
Venedig ging, dann nach Rom – und schließlich nach Toledo, wo er die zweite 
Hälfte seines Lebens verbrachte – und als großer Einzelgänger zu einer 
zukunftweisenden Künstlerpersönlichkeit des Abendlandes, zu einem Vater der 
Moderne wurde.
Am Beginn seiner Toledaner Zeit steht das kühne Bild der "Entkleidung Christi". 
Es beherrscht die Stirnseite der Sakristei des Doms von Toledo, die Domherren 
haben es vor Augen, wenn sie die liturgischen Kleider ihres Amtes und ihrer 
Würde anlegen. In unglaublicher malerischer Kühnheit degradiert das tiefrote 
Gewand Jesu alle übrigen Akteure zu Randfiguren, zieht es den Blick auf die Hand 
Jesu, die dieser zum Herzen führt – und zum Antlitz Jesu, das aus den brutal-
dunklen Massengesichtern der Schergen, Soldaten und Amtsgewaltigen 
herausleuchtet, die seine Hinrichtung vorbereiten.
Ist das ein Adventbild? Ich denke ja.
Als ich zum ersten Mal davor stand, war es mir eine Vision der Wiederkunft 
Christi, im Rot seines Gewandes ein Triumph in der Ohnmacht - und in der Liebe.
Als El Greco dieses Bild malte, es war sein erster großer Auftrag in Toledo, 
hat man in der selben Stadt einen nahezu gleichaltrigen, also etwa 35järigen 
schmächtigen Mann für neun Monate in ein Verließ gesperrt. Sein Name war Juan 
de la Cruz und die, welche ihn eingesperrt haben, waren seine karmelitischen 
Ordensbrüder, die den unbequemen Reformator ausschalten wollten.
Johannes vom Kreuz, der Mystiker und Dichter, dessen Fest heute gefeiert wird, 
hat in dieser Gefangenschaft in Toledo einige seiner wichtigsten Schriften verfasst.
Es ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich,
dass El Greco und Juan de la Cruz 
einander begegnet sind.
In ihren Werken jedenfalls sind sie einander sehr nah:
der Dichter der Dunklen 
Nacht
und der Maler des ursprunglosen Lichts, das aus der dunklen Nacht 
kommt.

Freitag, 15.12.2000
Antonello da Messina: "Engelpietá" oder "Christus im Grabe, von 
Engeln gehalten", Museo Civico Correr, Venedig, gemalt um 1476.

Wer meint, Engel wären zeitlos und herzlos glückliche Wesen, der irrt. Als 
Boten – wie die Bibel von ihnen berichtet - sind sie eher neutral,
ob die 
Botschaft nun freudig oder dramatisch ist,
sie halten mit ihren Gefühlen 
zurück, erledigen ihren Auftrag – und verschwinden.
Nur einmal: bei den Hirten von Bethlehem, da ist ihnen auch das 
Temperament durchgegangen vor Freude – und sie lobten Gott und sangen. 
Von nun an ihre Hauptbeschäftigung – wenigstens in der Kunst.
Aber Engel, die weinen, denen etwas so nahe geht, dass es ihnen vor 
Schmerz fast das Herz zerreißt, die muss es auch geben, denn wie hätte sie 
ein Giotto sonst malen können bei der Kreuzigung, oder ein Bellini, ein 
Cosme Tura, ein Antonello da Messina.
Ich meine nicht die auf Grabsteine gelehnten Trauerengel, die sich und uns 
auf Friedhöfen langweilen; ich meine die wirklich leidenden Engel, von denen 
auch die Dichter wissen, dass sie zum Beispiel über die Finsternis in uns 
zeitweilig völlig verzweifelt sind.
Im Museo Correr in Venedig steht ein Bild auf einer Staffelei ganz allein in 
einem Raum, es heißt "Christus im Grabe, von Engeln gehalten", gemalt von 
Antonello da Messina vor fast 500 Jahren. Jesus, von junger, edler und selbst 
im Tod noch heller Gestalt, ist vom Kreuz abgenommen. Drei Engelkinder 
mühen sich, den Leichnam zu halten, ihre spitzen dunklen Flügel heben sich 
scharf ab vor dem klaren, südlichen Abendhimmel.
 
Das Bild wurde einmal durch unverständige Hand so zerstört, dass der 
Ausdruck in den Gesichter Jesu und der Engel wie ausgelöscht ist, nur ein 
warmer Grundton hat sich erhalten und lässt den Willen des Künstlers erahnen.
Weil es nicht mehr alles aussprechen kann, was es möchte,
drum ist es ein so
 wahrhaftiges, ein so inniges und so zärtliches Bild.

Samstag, 16.12.2000
Hieronymus Bosch: "Der Aufstieg in das himmlische Paradies", im 
Palazzo Ducale in Venedig.

Inmitten der nicht enden wollenden Prunk- und Imponiersäle des Dogenpalasts, 
in denen von goldschimmernden Decken die gewaltigen Veroneses, Tiepolos 
und Tintorettos leuchten, in reizvollem Kontrast zum dämmernden Grau eines 
feuchten Novembertags, das durch die hohen Fenster dringt, inmitten dieses 
einstigen Zentrums der politischen und kulturellen Macht also, steht man, ohne 
darauf gefasst zu sein, plötzlich vor vier schmalen Bildtafeln: Paradies und Hölle, 
Sturz der Verdammten und Aufstieg in das himmlische Paradies – von 
Hieronymus Bosch.
Oft sind einem diese Bilder bereits begegnet, vor allem jenes vom Aufstieg der 
geretteten Seelen ins Paradies. So oft, dass man an gar nicht mehr an die 
wirkliche Existenz dieses Bildes geglaubt hat.
Aber hier ist es. Und Hieronymus Bosch hat vor 500 Jahren wirklich diesen 
oft zitierten Lichttunnel gemalt, der immer wieder als Illustrationshilfe 
sogenannter Nahtod-Erlebnisse herhalten muss.
In kosmischer Perspektive schweben fünf von Engeln begleitete Seelen 
diesem Lichtsog entgegen, die Engel mit schier trunkener Freude, die Seelen 
in dankbarem und ergriffenen Staunen.
Der Prophet Mohammed berichtet, dass ihn auf einer seiner Himmelsreisen 
der Erzengel Michael an der Hand genommen hätte und, so ist zu lesen, "er 
führte mich durch viele Schleier von Licht, sodass das Universum, das ich 
erblickte, mit dem, was ich auf der Welt je gesehen hatte, nichts gemein hatte."
Und Emanuel Swedenborg, ein esoterischer Visionär des 18. Jahrhunderts, 
hat von solchen Engeln geschrieben: "...sie lieben einen jeden und wünschen 
nichts sehnlicher, als die Menschen in den Himmel zu erheben, darin besteht 
ihr größtes Vergnügen."
Aber die Esoteriker mögen mir verzeihen, ich glaube den Künstlern mehr als 
ihnen, (sie ersparen mir auch die Höllenvision nicht) aber gerade darum geh 
ich von dem Bild mit einer gewissen Zuversicht weg, nachdem ich es - so gut 
ich eben konnte - in mich aufgenommen habe.

 

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