Gedanken für den Tag Gedanken für den Tag Gedanken für den Tag5 Byte) Gedanken für den Tag

Gedanken für den Tag
Montag, 8.1.  bis Samstag, 13.1.2001
6.57 Uhr - 7.00 Uhr, Radio Österreich 1

"Nicht alles lässt sich machen"
von Veronika Prüller-Jagenteufel

Montag, 8.1.2001

Haben Sie auch heuer wieder zu Silvester einen Vorsatz 
gefasst, was Sie in diesem Jahr anders machen wollen? 
Und haben Sie auch schon erfahren, dass es mit diesen 
Vorsätzen nicht so einfach ist, dass sie oft keine 14 Tage 
alt werden, im Alltag untergehen, sich als unrealistisch 
erweisen, sich nicht durchhalten lassen ... Dabei hat man 
es diesmal wirklich ernst gemeint, aber wenn – aber wenn 
der Partner nicht mitspielt; die Überstunden eben 
notwendig sind; die Nachbarin nicht zu keifen aufhört; das 
Bier halt so gut schmeckt; es eben nicht auszuhalten ist, 
dass der Bub sein Zimmer nicht in Ordnung hält; dann 
gelingt es nicht, wie im Vorsatz vorgenommen: freundlicher 
zu sein, gelassener zu reagieren, weniger hektisch zu sein, 
das Glas zuviel stehen zu lassen, nicht hinter allen 
herzuräumen, etc.

Viele gute Vorsätze zerschellen so daran, dass ich 
meine Änderung und damit mein Leben von anderen 
Menschen oder äußeren Umständen über Gebühr 
abhängig mache.

Ich hab's versucht, mich zu ändern, aber es lässt sich 
nicht machen – weil der und die, weil das oder jenes ...

In der Tat lassen sich die wesentlichen Veränderungen, 
nämlich die unseres alltäglichen Verhaltens nicht machen
Sie sind ein Geschenk, das sowohl geduldig erwartet 
werden will als auch überraschend ankommt. Abhängig 
sind sie aber zuerst von mir und nicht so sehr von den 
anderen. Und zugleich ist für meine inneren Veränderungen 
nicht zuerst das Machen wichtig, sondern eher so etwas wie 
eine gelassene Bereitschaft und ein aufmerksames Hinhören 
auf die Anrufe des Lebens.

Die Erkenntnis, nicht alles lässt sich machen, kann recht 
bequem ausschauen und letztlich die Verantwortung für das 
eigene Leben scheuen. Die Erfahrung, nicht alles lässt sich
machen, kann aber auch aus dem Staunen darüber kommen, 
dass so manches dann als Geschenk sich einstellt, wenn wir 
das Streben danach losgelassen haben.

Dienstag, 9.1.2001

Er ist wieder fremd gegangen. Dabei will er seine Frau eigentlich 
nicht betrügen. Er liebt sie. Die Geborgenheit in seiner Ehe ist 
das, was er sich lange gewünscht hat. Aber irgendetwas reizt an 
der anderen: die Aufregung stimuliert, das Verbotene lockt. Und 
schon ist er wieder mitten drin im Schlamassel. Dabei hat er 
schon so oft versucht, sich zu ändern; sich selber besser und 
fester in den Griff zu bekommen. Aber es hat sich nicht machen 
lassen.

Selbsthilfegruppen, die viel Erfahrung mit den Mechanismen der 
Sucht haben, sagen: jeder neue Versuch, sich selbst besser zu 
kontrollieren, führt weiter in die Sucht, programmiert den 
nächsten Ausbruch, den nächsten Griff nach der Flasche, die 
nächste Liebelei fast zwangsläufig vor.

Nicht alles lässt sich machen. Wer an den eigenen 
Verhaltensmustern etwas ändern möchte, ist radikaler 
herausgefordert. Da geht es nicht nur darum, dieses oder jenes 
zu tun oder zu lassen; da geht es auch darum, sich nicht mehr zu 
verstecken, sondern die eigene Ohnmacht, die eigene 
Hilflosigkeit, die eigene Bedürftigkeit einzugestehen und um 
Hilfe zu bitten – bei Freunden, eventuell bei professioneller 
Beratung und ganz grundsätzlich bei Gott.

Im Programm der Anonymen Alkoholiker ist der wichtigste Schritt 
aus der Sucht der, ernst zu machen mit dem Vertrauen auf eine 
Macht größer als ich selbst. Entscheidend ist, wohin diese höhere 
Macht mich führen will, und nicht so sehr das, was ich mir einbilde, 
was zu machen ist. Nicht alles lässt sich machen; gerade die 
wichtigen Veränderungen kommen eher als ein Geschenk. Den 
Platz dafür bereitet vor allem die abgrundtiefe Ehrlichkeit.

Mittwoch, 10.1.2001

Die moderne Welt lockt mit immer neuen Möglichkeiten, eine 
Grenze nach der anderen kann überschritten werden. Ein 
klassisches Feld dafür ist die so genannte Reproduktionsmedizin, 
die sich der zunehmenden Unfruchtbarkeit heutiger Paare annimmt. 
Manchen kann heute der Kinderwunsch erfüllt werden, die früher 
vergeblich gewartet hatten.

Viele nehmen dabei zum Teil große Strapazen auf sich. Es muss 
sich doch machen lassen mit dem Kind. Und bei so manchen ist 
die Enttäuschung dann erst recht groß, wenn auch die künstliche 
Befruchtung versagt und nicht zum ersehnten Ziel führt. Nicht alles 
lässt sich machen, trotz allen medizinischen Fortschritts auch in 
diesem Bereich nicht.

Vielleicht merken wir an den absoluten Grenzen des Lebens – also 
an seinem Ende wie an seinem Anfang besonders deutlich, dass 
das Leben selbst unserem Machen entzogen ist. Wer einmal erlebt 
hat, sich vergeblich ein Kind zu wünschen, hat etwas von dieser 
Unverfügbarkeit des Lebens schmerzlich erfahren.

Dabei kann diese Erfahrung ebenso wie die Erfahrung von 
Empfängnis und Geburt uns ganz nahe an das faszinierende 
Geheimnis des Lebens heranführen. Für mich wird dabei spürbar: 
Leben ist ein Geschenk – wir können es nicht herstellen und nicht 
zwingen, aber wir können uns ihm anvertrauen. Wenn wir zu direkt 
danach greifen, kann uns aber seine wesentlichste Dimension 
abhanden kommen.

Nicht alles lässt sich machen – keine Empfängnis und kein Kind 
nach Maß, aber auch kein anderes privates oder berufliches Glück. 
Wir haben das Leben nicht im Griff, sondern es überrascht uns immer 
wieder. Kinderlose und Eltern, alle sind wir zu derselben Erfahrung 
eingeladen: Leben entzieht sich dem Zugriff, aber es gibt sich in offene 
Hände.

Donnerstag, 11.1.2001

"Da ist nichts mehr zu machen" hat die Ärztin gesagt. Der Krebs ist 
schon zu sehr fortgeschritten. Die Ärztin hat es viel Mut gekostet, diese 
Niederlage ihrer Heilkunst und all der neuen medizinischen Möglichkeiten 
einzugestehen.

"Da ist nichts mehr zu machen", das hat die Tochter schon länger geahnt. 
Am Krankenbett des Vaters ging es nicht mehr ums Machen, sondern 
darum, da zu sein. Einfach da sein und ausharren. Auch die Worte, hat sie 
erzählt, sind zuletzt immer weniger geworden. Kein Tun, nicht einmal mehr 
Reden war dran, sondern aufmerksam und zärtlich präsent sein.

Nichts machen zu können, grade für einen geliebten Menschen, ist eine harte 
Erfahrung. Wenn es nichts zu tun gibt, werden viele ratlos und ungeduldig; 
das äußere Untätigsein produziert oft viel innere Unruhe; und wenigen gelingt 
es, von der Betriebsamkeit in die Gegenwart, ins Da-sein, ins Ausharren zu 
wechseln.

Dass unser Machen-Können Grenzen hat, gehört zu den tiefen menschlichen 
Kränkungen. An den Grenzen des Lebens, insbesondere an seinem Ende 
wird uns das oft schmerzlich bewusst. Letztlich haben wir über das Leben, 
auch über das eigene Leben keine Macht.

Die Macht des Lebens ist Gott; wer sich darauf einlässt, wird sich an der 
Grenze des Machens nicht nur wund reiben, sondern in der Tiefe der Seele 
auch heilen können.

Freitag, 12.1.2001

Nach jeder Katastrophe wird nach den Schuldigen gesucht. Das ist gut so, 
denn wo fahrlässiges Handeln katastrophale Folgen hatte, sind die 
Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen und ist Abhilfe zu schaffen.

Dennoch beschleicht mich bei der oft sehr schnell gestellten Frage, wer da 
schuld ist, die Ahnung, dass diese Frage auch deswegen so laut und schnell 
gestellt wird, weil wir nicht in Betracht ziehen wollen, dass es Dinge gibt, die 
sich ereignen, ohne dass sie jemand gemacht hat. Ganz selbstverständlich 
gehen wir davon aus, dass alles einen Täter hat. Wenn nämlich niemand 
schuld hat und die Katastrophe dennoch passiert ist, dann heißt das, dass 
unsere Macht Grenzen hat, dass Ungemachtes und Ungewolltes hereinbrechen 
können, ohne dass es jemand hätte verhindern können.

Einzusehen, dass unsere Macht als Menschen begrenzt ist, dass wir auch 
über unser eigenes Leben nur bedingt Macht haben, das einzusehen ist nicht 
so einfach und zunächst nicht so schön. Noch dazu in einer Gesellschaft, in 
der sich viele als Macher gefallen und dafür Ansehen genießen.

Aber: nicht alles lässt sich verhindern und nicht alles lässt sich machen. Wer 
sich darin einübt, sich mit den Grenzen des menschlichen Machens 
auszusöhnen, der oder die wird vielleicht auch im Angesicht einer 
Katastrophe nicht nur mit der Machtlosigkeit hadern, sondern inmitten 
der Trauer auch das Vertrauen finden, dass genau an dieser Grenze einer 
steht und uns auffängt.

Samstag, 13.1.2001

Nicht alles lässt sich machen; menschliches Tun stößt an Grenzen; so 
manches im Leben wie das Leben selbst entzieht sich letztlich unserem 
Zugriff. – Die Grenzen menschlicher Macht zu bedenken und zu 
akzeptieren, soll aber nicht Ihre morgendliche Frische und Tatkraft 
stören. Der Drang nach Macht im Sinne von "etwas machen können" hat 
die Menschheit seit jeher beflügelt, hat sie dazu gebracht, sich 
weiterzuentwickeln und bedeutende Kulturleistungen zu schaffen.

Es ist gut, dass wir etwas machen können und auch danach streben; dass
wir unsere Fähigkeiten entwickeln und verbessern; dass wir uns auch 
etwas zutrauen. Nicht umsonst ist Ermächtigung ein Schlüsselwort der 
Frauenbewegung und anderer Befreiungsbewegungen; es drückt aus, dass 
diejenigen ohne Macht und Möglichkeiten durch ihre Solidarität ermächtigt 
werden, ihr Leben selbst neu zu gestalten.

Es ist gut, dass wir etwas machen können. In der Welt der Macher und des 
Erfolgsdrucks ist aber eben auch gut, sich bewusst zu sein, wie wenig im 
Leben wir wirklich machen können. Die zentralen Dinge des Lebens wie 
Liebe, Glück, Gemeinschaft ... – sie lassen sich nicht machen, nicht herstellen; 
sie stellen sich höchstens ein, kommen wie scheue Gäste und sind schon 
wieder weg, wenn wir etwas mit ihnen machen wollen.

Leben kann nicht gemacht werden. Leben ist ein Geschenk. Ihm entspricht 
nicht zuerst das Tätigsein, sondern die Dankbarkeit. Und wer dankt, betet.

 

Pfeil zum Seitenanfang

Letztes Update dieser Seite am  15.01.2001 um 12:36