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Morgengedanken
Sonntag, 17.9.2000, 6.05 Uhr - 6.08 Uhr, ORF Regionalradios
Montag, 18.9. bis Samstag, 23.9.2000, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios
Pfarrer Michael Riemer (Graz)
Sonntag, 17.9. 2000
Vieles gibt es in unserem Leben, was uns am
Boden hält. Ich meine nicht etwa
das eigene Körpergewicht, sondern ganz andere
Belastungen. Sorgen,
Überlastung durch Arbeit, Krankheit. All das kann einen
Menschen zu Boden
drücken. Alles, was uns das Leben schwer macht, verleiht aber
auch
Bodenhaftung. Nicht nur Autos brauchen diese Bodenhaftung für ihre
gesicherte Fortbewegung, sondern auch Menschen.
Übrigens sagt uns auch der Glaube der Christen nicht, dass ein völlig
schwereloses Dasein der Idealfall ist. Die Christen reden von Nachfolge
und
stimmen ein, dass sie den Weg Christi gehen. Das ist ein Weg, der
keine
menschliche Schwierigkeit auslässt. Es ist ein Weg, der
Verfolgung, Missverständnis,
Leiden und auch den Tod einschließt.
Die eine oder andere schmerzhafte
Erfahrung, die eine oder andere
Station dieses Weges ist jedem aus dem eigenen
Leben bekannt.
Es handelt sich allerdings um einen Weg mit einem guten, schönen Ziel. Das
Ziel
auf dem Weg Christi ist ein Ankommen in der Geborgenheit Gottes.
Alle Belastungen des Alltags dürfen uns darauf nicht vergessen lassen.
Montag, 18.9.2000
Stellen Sie sich vor, eine Fee würde bei Ihnen erscheinen,
und Ihnen sagen: Du
hast Wünsche frei, nicht drei, nicht fünf, nicht hundert,
sondern beliebig viele!
Stellen Sie sich vor, sie begännen mit dem Einlösen
der ungewöhnlichen Zusage:
Aller Komfort, aller Reichtum, Gesundheit, würde
sich bei Ihnen einstellen. Und
dann? Wären Sie dann zufrieden? Ich glaube
nicht. Denn das wissen wir ja auch
aus unserem eigenen Alltag, in dem die Feen
so selten sind: Kaum haben wir
etwas lange Ersehntes erreicht, so wird es
langweilig. Das einzige, was in
unserem Leben nie versiegt, ist die Sehnsucht
nach mehr, nach anderem, nach
größerem. Sind wir jemals zufriedenzustellen? Es
gibt kein Ende unseres
Verlangens.
Wir sind die immer unerfüllten Wesen, und das ist gut so. Das ist nämlich
unser
Zugang zu dem Wissen, dass unsere wirkliche Erfüllung noch aussteht, und dass
es eine Erfüllung ist, die wir uns nicht selber geben können. Unsere
unstillbare
Sehnsucht kann gelesen werden als ein Hinweis auf Gott. Er ist die
Antwort auf
unsere Unerfülltheit und Sehnsucht. Kein noch so großer
selbstgeschaffener
Reichtum, kein anderes Geschenk kann diese Antwort aufwiegen.
Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.
Dienstag, 19.9.2000
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. – Mancher
könnte sich die
Frage stellen: Habe ich etwas zu lernen versäumt in meinem
Leben? Und warum
sollte ich nicht nachholen können, was ich bisher versäumt
habe? In der Tat: Vieles,
was junge Menschen mit Leichtigkeit erfassen, fällt
Älteren schwer. Das hängt wohl
auch mit der Art zusammen, mit dem Neuen in der
Welt umzugehen, mit dem
staunenden Hinschauen und dem offenen Blick, der vielen
abhanden gekommen ist.
Wir müssen die Offenheit des staunenden Kindes, des Hänschens aus dem
Sprichwort, wieder lernen. Dann wird unser Umgang mit dem Neuen, dem Fremden
zu
einem aufregenden, schönen Abenteuer. Ein Programm der lebenslangen
Offenheit
und des Staunens können wir für uns daraus ableiten.
Dieser Zugang des Staunenden käme auch unserem Glauben als Christen zugute.
Wenn uns in der Bibel empfohlen wird, zu werden wie die Kinder, damit wir in das
Reich Gottes gelangen, dann ist auch dieser Zugang des Staunens und der
Offenheit gemeint. Dem Staunenden erschließt sich die erlösende, befreiende
Nähe Gottes.
Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen und einen schönen Tag.
Mittwoch, 20.9.2000
Ein Künstler unserer Zeit hat in der Kirche von Tanzenberg
in Kärnten
bemerkenswerte Fresken gemalt. Eine große Anzahl von Figuren ist da
zu sehen, und
all diese Figuren füllen den Altarraum der Kirche aus. Bewegt man
sich näher auf
diese Bilder zu, so lösen sich die Konturen auf und man steht
inmitten einer
unglaublich bunten Ansammlung von nur mehr schemenhaft
vorhandenen,
angedeuteten Gestalten. Je näher man kommt, desto mehr vergeht
jede Klarheit der
Umrisse.
Vielleicht haben Sie diese Erfahrung auch schon gemacht in der Begegnung mit
Menschen ihres eigenen Alltags. Ein Mensch, den man näher kennen lernt, wird
nicht
berechenbarer und klarer, er verliert nichts von seinem Geheimnis, das er
selbst ist –
ganz im Gegenteil. Es verschwimmen die Konturen und stellen uns
immer wieder vor
die Frage, wie wir uns auf das Geheimnis eines derart nahen und
doch wieder ganz ungreifbaren, unverfügbaren Menschen einlassen.
Auch für unseren Glauben, der in der Begegnung mit Christus seinen
Ausgangspunkt
hat, gilt dasselbe: Die Nähe zu Christus äußert sich nicht
darin, dass uns Gott wie eine
Konstruktionszeichnung vor Augen steht. Wenn Gott
uns in seine Nähe führt, sind wir
immer nur die Staunenden.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und den Mut zur Begegnung.
Donnerstag, 21.9.2000
Stellen sie sich vor, Sie müssten mit einem Taxi ihr Ziel in
einer fremden Stadt
erreichen. Würden Sie da, bevor Sie in den Wagen steigen,
nachsehen, ob die Räder
richtig angeschraubt sind, wann der letzte Ölwechsel
durchgeführt wurde, ob der
Taxifahrer seinen Führerschein hat, und ob er die
Fahrtstrecke wohl kennt? Normal
wäre das jedenfalls nicht.
Auf allen unseren Wegen brauchen wir Vertrauen, diese Grundhaltung, die uns das
Leben eigentlich erst ermöglicht. Das ist in gewissem Sinn auch die
Grundhaltung des
Glaubenden: Das Vertrauen darauf, dass das Ziel erreicht werden
kann, auch wenn
man nicht weiß, auf welchen Straßen man geführt wird und wie
viele Pannen sich
einstellen; auch wenn man nicht versteht, wieso man
ausgerechnet auf einem holprigen
Weg unterwegs ist; das alles ist unser Leben,
und wir können oft nur einsteigen auf
seine Bedingungen, etwas machen aus den
Vorgaben, die wir vorfinden. Wir sollen
aber – im Vertrauen auf den Lenker
unseres Lebens, im Vertrauen auf Gott, das Ziel
unseres Lebens nicht aus dem
Gedächtnis verlieren.
Denn wenn wir auch den Weg nicht kennen, so ist uns doch das gute Ankommen
zugesagt.
Freitag, 22.9.2000
Lieben Sie Wienerschnitzel? Lieben Sie Schokoladepudding? Ist
Lieben und
Habenmöchten dasselbe?
Man kann auch Menschen als Konsumgut verstehen, und man tut es womöglich dort,
wo man jemand "zum Fressen gern" hat. Die Sprache ist verräterisch:
Es handelt sich
um eine besondere Form des Kannibalismus, die da zur Sprache
kommt, und nicht um
Liebe. Wer wirklich liebt, sagt zum anderen: Schön, dass es
dich gibt, so wie du bist,
nicht so, wie ich dich haben will. Lieben heißt
immer auch Anerkennen der
Eigenständigkeit des anderen, nicht Festhaltenwollen,
nicht Habenwollen.
Der Evangelist Johannes beschreibt die Liebe als Weitergabe. Er betont, dass wir
nur
geben können, was wir bekommen haben. Weil Gott uns seine Nähe schenkt,
wird
menschliche Nähe und Mitmenschlichkeit möglich. Nur weil Gott uns in
Jesus als unser
Lichtblick erscheint, können wir füreinander Lichtblick sein,
Hoffnung geben. Nur weil
uns verziehen wird, können wir verzeihen. Wer glaubt,
dass Mitmenschlichkeit,
Zuwendung und Liebe nur eigene Leistung sei,
überschätzt sich und seine
Möglichkeiten.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich als von Gott beschenkte, getragene, geliebte
Menschen erfahren, damit Sie selbst ein Geschenk sind für die, die Ihnen
anvertraut
sind.
Samstag, 23.9.200
Alois Brandstetter schreibt in seinem Buch "Die
Abtei" auf recht witzige und doch
ernstgemeinte Weise: "Die
Ungläubigen schließen glatt von einem betrunkenen
Pförtner in einem
österreichischen Kloster auf den Papst in Rom, oder sie schließen
überhaupt
gleich auf die Existenz oder Nichtexistenz Gottes. Wenn sie sehen, dass
sich in
der Pförtnerloge nichts rührt, sagen sie, "Gott ist tot." –
Ich denke, die Christen müssten sich alle in der Rolle der Pförtner, die
Einlass
gewähren oder Einlass verwehren, wiederfinden. Wenn andere skeptisch,
aber
gelegentlich doch mit Erwartungen, auf die Kirche schauen, dann sehen auch
sie
zuerst die ganz konkreten Personen. Sie alle, jeder einzelne mit Namen
bekannte
Christ, wird beurteilt. Schlechte Erfahrungen versperren den Zugang zum
Glauben.
Erfahrungen mit der Güte, der Hilfsbereitschaft, der
Liebenswürdigkeit von Christen
machen den Zugang zum Glauben, zur Gemeinschaft
der Glaubenden, zur Kirche
möglich. Wir sind, ob wir das wahrhaben wollen oder
nicht, Pförtner der Kirche.
Dabei müssen Christen nicht perfekt sein. Sie
vertrauen darauf, dass bei allem
eigenen Bemühen es doch Gott ist, der führt
und trägt.
Ich wünsche Ihnen, dass es ihnen gelingt, ein guter Pförtner des Zugangs zum
Glauben zu sein und anderen mit ihrem Beispiel den Glauben zu ermöglichen.
Letztes Update dieser Seite am 23.11.2000 um 13:51