Morgengedanken Morgengedanken Morgengedanken Morgengedanken

Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr - 6.08 Uhr, ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios

von Pater Berthold Mayr

Sonntag, 10.6.2001
Am Beginn des Christentums waren Frauen und 
Männer die den Spuren Jesu nachfolgen wollten, 
mit allen Konsequenzen. Schon bald wurden die 
Anhänger Jesu - wie er selber – ans Kreuz 
geschlagen. Von Lebenslust keine Spur. Und doch 
nannten die Frauen und Männer, die Jesus 
nachfolgten, seine Worte und seine Taten, die 
Frohe Botschaft. Das hat nun doch etwas mit Lust 
zu tun. Lust und Freude sind nicht weit voneinander 
entfernt. Wenn wir ehrlich sind, tun wir am liebsten 
und zuerst das, was uns Freude und Spaß macht. 
Was wir aus Lust und Liebe tun, ist in der Regel 
schnell und leicht getan. Das Leben als Christ soll in 
erster Linie Freude machen. Auch deswegen, damit 
wir Schmerz und Leid leichter ertragen, das Leid und 
den Schmerz anderer mittragen können. Ich halte die 
Lust für den Vorgeschmack des Himmels. Die Lust 
lässt uns schon hier ein bisschen von dem verkosten, 
was uns bei Gott erwartet: ewige Lebensfreude. 
Vorkosten, Vorgeschmack, Erwartung, Spannung 
sind wichtige Dinge in unserem Leben. Sie stimmen 
uns ein.

Montag, 11.6.2001
"Wir möchten fliegen können". Es dauerte lange. 
Doch der Wunsch ging in Erfüllung. "'Wir möchten 
jederzeit mit allen Menschen reden können und alles 
vor uns sehen, was auf der Welt und um sie herum 
geschieht. "Nach einer Weile war auch das geschafft. 
Die Menschen, die dies alles geschafft hatten waren 
schon etwas älter geworden. Sie wünschten deshalb 
zwanzig Jahre länger zu leben. Auch dies ließ; sich 
schließlich einrichten. Und dann wünschten sich die 
Menschen noch eine kleine Zugabe: das Wunder 
des ganzen Fortschrittes sollte ständig etwas 
zunehmen. Und so geschah es.

Wird da nicht etwas verschwiegen? Die 
Wirklichkeit ist merkwürdig hart. Die Menschen 
wollten zwar fliegen, aber abstürzen wollten sie nicht. 
Sie wollten schnell herumfahren, aber das Leben 
dabei zu verlieren, nein, das konnte niemand wollen. 
Sie sehnten sich danach, mit, allen anderen 
Menschen auf Erden in Kommunikation zu treten. 
Dann aber feststellen zu müssen, dass die anderen 
sie dabei nicht verstehen, wirkt absurd.

Die Glückseligkeit des Daseins liegt nicht in dem, 
was aus einem Leben alles gemacht werden kann. 
Das Glück liegt in diesem Leben selbst und in der 
unerhörten Fülle, die es in sich trägt.

Dienstag, 12.6.2001
Der Schriftsteller Mark Twain vertrat die Ansicht, 
dass die Kommunikation zwischen Mensch und 
Mensch nicht mehr funktioniert. Kommunikation 
sei nur noch eine gesellschaftliche Angelegenheit. 
Zum Beweis erzählte er folgende Geschichte: Zu 
einer großen Gesellschaft ist er einmal bewusst 
zu spät gekommen. Er kam als Letzter. Er ging 
zur Gastgeberin und bat um Entschuldigung: "Ich 
konnte nicht früher kommen, ich musste zuerst 
noch jemanden umbringen, und das hat eine 
Weile gedauert. "Die Gastgeberin klopfte ihm 
auf die Schulter, lächelte und sagte: "Aber ich 
bitte Sie, das macht doch nichts. Wir freuen uns, 
dass sie trotzdem gekommen sind." Die 
Ungeheuerlichkeit der Worte Mark Twain's wurde 
zwar akustisch gehört, aber niemand hörte zu.

Hören und doch Nicht-zuhören-Können, ein 
Problem, das ich täglich erlebe, nicht nur bei 
Anderen, auch bei mir. Hinhören, erhören, zuhören, 
mithören .Von Menschen mit einem guten Gehör 
sagen wir, dass sie das Gras wachsen hören. 
Aber nicht das Zuhören ist es, was ich immer neu 
lernen muss, sondern das Zuhören-Wollen. Wer 
nicht hören kann, muss bekanntlich fühlen. Denn 
das Wort, das mir hilft, kann ich mir nicht selbst 
geben.

Mittwoch, 13.6.2001
Wenn ich meinen verstorbenen Freund in einem 
Satz beschreiben sollte, dann in diesem: Er war 
ein dankbarer Mensch. Nein, er war, nicht immer 
gesund und selten ohne Sorgen. Er war oft müde. 
Nie ohne Hoffnung und selten ohne Zweifel. Mit 
dem Bedürfnis nach Freude und der Erfahrung von 
Leid. Mit dem Wunsch in der Religion 
Geborgenheit zu finden und darin oft enttäuscht. 
Trotz allem: er war ein dankbarer Mensch. Was ist 
das: ein dankbarer Mensch? Einen Spruch habe 
ich neulich gelesen: "Nichts geliehen, nichts 
geschenkt, was wir haben, was wir sind, haben 
wir uns selbst verdient .";Wer das sagt kommt gar 
nicht auf die Idee zu danken. Für was auch? Er hat 
sich alles selbst verdient. Ja, es gibt Menschen, 
die sich durch Fleiß und Tüchtigkeit tatsächlich viel 
verdient haben. Aber was ist mit den anderen? Mit 
ebensoviel Fleiß und Tüchtigkeit haben sie es 
nicht; geschafft. Wer wirklich glaubt, dass er sich 
alles, was er ist und hat, selbst verdient hat, macht
sich und anderen etwas vor. Der Dankbare weiß, 
dass er ein Beschenkter ist. Er hat sich das, wovon 
wir wirklich leben, nicht verdient.

Donnertag, 14.6.2001
Für 85 Prozent der Unter-Dreißigjährigen besteht 
der Sinn des Lebens darin, möglichst viel Spaß 
zu haben. Genießen, glücklich sein ist das höchste 
Ziel. Die Welt - so ergeben es Untersuchungen, 
kommt auch ohne Gott, ohne Religion und ohne 
Kirche ganz gut zurecht.

Viele Menschen leben, als ob es Gott nicht gäbe. 
Doch zugleich sehnen sie sich nach einem Gott. 
Wer nimmt sich dieser Sehnsucht an? Eigentlich 
müssten wir Christen durch die Straßen laufen und 
jedem Passanten ins Ohr rufen: Gott lebt! Wirklich 
er lebt. Eigentlich müsste das Personal der Kirche, 
wenn es denn wirklich selber glaubt, was es predigt 
ganz anders dastehen in der Gesellschaft, viel 
eindrucksvoller auftreten, voller Liebe und 
Fröhlichkeit leben, was es glaubt. Ob ein Gott ist 
oder kein Gott ist das macht für jeden Menschen und 
für die ganze Welt einen unendlichen Unterschied. 
Die Menschen, die mit ihrer ganzen Existenz 
glauben, dass es den Gott Abrahams, Isaaks und 
Jakobs, des Jesus wirklich gibt, müssten eigentlich 
vor Kraft nur so strotzen. Eigentlich müssten ihnen 
Flügel wachsen. Eigentlich müsste das heute zu 
erfahren sein: am Fronleichnamstag.

Freitag, 15.6.2001
Am Rand des letzten Papstbesuches in Polen 
kam es zu einer ungewöhnlichen Begegnung. Als 
Johannes Paul II die Wigry-Seenplatte besuchte, 
erinnerte er sich an eine Familie namens Milewski. 
Sie hat ihn vor vierzig Jahren bei einer Kajaktour 
durch die Seen mit einem Glas Milch erfreut. Man 
machte sich auf die Suche nach der Familie. Dann 
fuhr der Papst in das entlegene Bauerngehöft der 
Familie Milewski.

Eine Woche darauf erzählte Herr Milewski einem 
Journalisten, dass sich seit dem hohen Besuch 
etwas bei ihm verändert habe. "Früher habe ich 
mehr als einmal meine Armut verflucht, da schien 
kein Sinn mehr im Le zu sein. Und nun kam der 
Papst zu unserer Familie und wusste unser Leben
zu würdigen. Von diesem Tag an hat sich bei mir 
etwas geändert".

Milewskis alltägliches Leben wurde besucht, es 
erfuhr eine Wertschätzung. Das Leben selbst hat 
sich dadurch in seinen äußeren Vollzügen nicht 
geändert. Noch immer muss der Bauer aus 
seinem Land mühselig seinen Unterhalt beziehen. 
Doch seine Einstellung zu dieser Mühsal ist nun 
eine andere. Sein Leben ist das, sein 
unverwechselbarer Weg seinen Berufung.

Jemandem zu begegnen, der mir zeigt, weshalb 
es sich zu leben lohnt, ist ein Geschenk.

Samstag, 16.6.2001
Der Theologe Hans Urs von Balthasar hat 
sich einmal belustigt über das Gebet 
geäußert. Maria habe doch wohl kaum 
trainiert, um den Engel empfangen zu 
können. Die Logik ist eindeutig: entweder 
kommt der Engel, oder man sitzt vergebens. 
Ist es nicht auch so mit der Liebe? Da kann 
man noch soviel üben. Ohne Begegnung mit 
dem entsprechenden bleibt die Sehnsucht 
unerhört. Umgekehrt gilt aber: wer nicht lieben 
kann, bleibt sitzen. Man kann sich zwar den 
Himmel nicht verdienen, doch könnte es ja 
sein, dass wir nicht auf Empfang gegangen 
sind. Dies zu lernen, wäre schon viel. 
Entweder bin ich bereit, oder Engel 
kommen vergebens.

Wenn Menschen nur beten würden, weil 
sie Erfolg haben, weil ihre Gebete in 
Erfüllung gehen, dann würde niemand mehr 
beten. Zwar schwingt diese Sehnsucht immer 
mit und ist der geheime Motor unser 
Frömmigkeit, doch nur wenige sind so 
einfältig, mit einer automatischen Wirkung zu 
rechnen. Gerade die Wirkungslosigkeit 
zahlreicher Gebete macht deutlich, worum es 
geht. Nicht Gott soll in die Knie gehen 
sondern der Mensch.

 

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Letztes Update dieser Seite am  18.06.2001 um 11:25