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Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr - 6.08 Uhr, ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios
von Stadtpfarrer Alois Luisser
Sonntag, 1.7.2001
Der heutige Morgen, weil Sonntag, wird für viele
besondere Annehmlichkeiten bringen. Das
Aufstehen kann ohne Hektik geschehen, das
Frühstück ausgedehnt werden und die Zeitung
muss nicht überflogen werden. Falls Sie
schulpflichtige Kinder haben, spüren sie diesen
Sonntagsmorgen ganz besonders als den ganz
anderen Tagesbeginn – kein Zureden für das
Frühstück, kein Suchen nach dem verlegten
Hausaufgabenheft, kein hastiges Verlassen der
Wohnung, um rechtzeitig vor dem Schultor zu stehen.
Wenn man das so überlegt, bringt der Sonntag als
Feiertag, als freier Tag, als Ruhetag als Tag des
Herrn, als Tag, auf den Gott Anspruch erhebt, doch
viele Annehmlichkeiten. So soll es auch sein!
Dieser Tag soll sich abheben von den
Wochentagen, auf diesem Sonntag soll auch eine
gewisse Weihe liegen. Es soll auch ein Schöpftag
sein – geschöpft kann in einem Gottesdienst all das
werden, was frisch macht, was ich brauche für die
Gestaltung der neuen Woche. Oft noch hört man
Menschen sagen "ohne Kirchgang ist es für mich
kein Sonntag." Mehr Menschen aber kommen heute
ohne Kirchgang aus. Eigentlich, so sagen sie, geht
ihnen nichts ab, wenn sie nicht in die Kirche gehen.
Sie werden, davon bin ich überzeugt, auch ihre
Gottesbegegnungen haben, sie werden auch ihre
Quellen haben, aus denen sie schöpfen.
Ich persönlich wünsche allen einen schönen
Sonntag, jenen, die heute in der Kirche singen
werden "Ehre sei Gott in der Höhe" und jenen, die
bei ihrem Sonntagsspaziergang sich über Blumen
und Käfer beugen und sagen werden "Gott, deine
Wunderwerke sind großartig"!
Montag, 2.7.2001
Im August jährt sich zum 7. Mal der Todestag von
Rektor Martin Gutl aus Mariatrost bei Graz. Uns
beide verband eine sehr tiefe und innige
Freundschaft. Wir haben uns gegenseitig
bewundert – ja wir haben vor einander große
Achtung gehabt wegen unserer Arbeit. Ich mochte
seine Texte so gern, ich konnte mich gut in sie
hineindenken und lernte manche seiner Gebete,
die so lebendig waren, auswendig. Er schaute mit
bewundernden Augen auf mich, weil ich mich für
Mutter Theresa so begeistert hatte! Ich bin damals
ein sehr aktiver Mitarbeiter von ihr geworden.
Außerdem suchte er oft unsere Kirche in
Jennersdorf auf, weil sie für ihn ein optimaler Ort
für seine Meditationen war. Nicht selten fuhr er von
Graz nach Jennersdorf, nur um eine Stunde lang in
der mystischen Kirche beten zu können. Da er
selbst keinen Führerschein besaß, musste er
immer jemanden bitten, der für ihn das Taxi machte.
1 ½ Stunden Autofahrt um zu einem Ort zu kommen,
an dem man gut beten kann! Was sagen Sie dazu?
Nicht zu viel Aufwand könnte man sagen, für einen
Geistlichen – für einen Mann Gottes, dessen
Begabung es war, anderen mit seinen Texten
Zugänge zu Gott zu zeigen. Nicht zuviel Aufwand
für einen "Geistlichen" der alles, was sich in seinem
Herzen ereignete, in einfache, klare und
tiefgehende Sätze fassen konnte. Martin Gutl hatte
auch eine Zeit, in der er blind war, sagt er von sich,
in der er dachte und redete wie alle anderen – dann
ist er aufmerksam geworden – hat die Bibel
gelesen und ging den anderen Weg. Wieviel Zeit
am Tag bleibt uns fürs Gebet – welche bevorzugten
Orte suchen wir auf für unsere Meditation – wo
finden unsere Gottesbegegnungen statt?
Dienstag, 3.7.2001
Martin Gutl schrieb mir in ein Buch, das er mir
1982 schenkte den Text: "Wohin gehen wir?
Nach Hause? Zu ihm? In Abgründe und
Seligkeiten?" Bei Martin Gutl lag alles immer
so eng nebeneinander, das Positive und das
Negative. Die Abgründe und die Seligkeiten
in unserem Leben. – Unter Abgründe meinte
er jene Löcher, in die privat und beruflich so
schnell hineinfallen bzw. davorstehen könnten.
Dir vergeht Hören und Sehen weil du
draufgekommen bist, mit welch falschen und
verlogenen Kollegen du zusammenarbeiten
musst. Du stehst vor dem Abgrund, wenn dir
die Kündigung ausgesprochen wird. Du
stehst vor einem schwarzen Loch, wenn Du
draufkommst, dass deine Ehe einen nicht
mehr reparierbaren Bruch aufweist.
Abgründe tun sich schnell und unerwartet
vor uns auf, doch stürzen wir auch immer
den Abgrund hinunter? Ich sage nein! Mag
so manches im Leben uns auch den
Schrecken in die Knochen jagen, es kommt
nicht immer zum Absturz! Da gibt es dann
jene Seligkeiten, von denen Martin Gutl
spricht. Jemand nimmt sich deiner an, tröstet
dich, hat vielleicht dasselbe schon
durchgemacht und macht dich durch seine
Erfahrung stark. In solchen Abgrundsituationen
kristallisieren sich auch die wahren Freunde
heraus, jene, die ihr Netz aufspannen, um dich
vor dem Absturz zu bewahren. Martin Gutl sagt:
Das Leben ist oft ein Tanzen und Feiern am
Rande eines Vulkans, oft ein lähmendes
Dasitzen in der Mittagshitze. Schön ist es,
haben wir in all diesen Situationen jemanden an
der Seite.
Mittwoch, 4.7.2001
Die vielen Gebete, Gedichte und Gedanken,
die Martin Gutl niederschrieb, entstanden
entweder in der Meditation, in heiklen
Gesprächen oder bei Spaziergängen. Martin
sammelte mit Vorliebe Kieselsteine, die irgendwo
herumlagen. Und er fand aussagekräftige Steine
mit den verschiedensten Zeichen und Symbolen
drinnen. Er versuchte das alles zu deuten, er
machte die toten Steine lebendig, er hauchte den
kalten Steinen eine warme Seele ein. Martin
öffnete den stummen Steinen den Mund und ließ
sie reden. Es war schön, bei ihm zu sitzen und
zuhören zu dürfen, weil er all das Leblose um ihn
herum, die Steine, die Glaskugeln, die Ikonen und
die vielen Erinnerungsgegenstände lebensbezogen
und lebendig machte.
Martin Gutl verstand es auch, den oft seit
Jahrhunderten in den Kirchen stumm und still
stehenden Heiligenfiguren "Füsse zu machen". In der
Nacht, in der dunklen Kirche, wenn die Heiligen allein
unter sich waren, kam plötzlich Bewegung in die
Figuren. Er schreibt: Petrus steigt vom Kreuz, Barbara
springt vom Turm, Katharina schiebt das Rad vor sich
her und Sebastian spielt mit den Pfeilen Mikado. Die
Märtyrer führen einen Schwertertanz auf und die Engel,
die sonst ernst dreinschauen, klatschen Beifall.
Betrachten Sie bei Ihrem nächsten Kirchenbesuch
die Heiligenfiguren einmal unter diesem Aspekt.
Donnerstag, 5.7.2001
In unzähligen Varianten werden in diesen
Urlaubswochen Todesanzeigen zu lesen sein.
Martin Gutl hat auch eine verfasst in seinem
Buch "Ich begann zu beten".
Jung war sie.
Vital war sie, Intelligent war sie.
Tolerant war sie. Hilfsbereit war sie.
Lehrerin war sie. Studentin war sie.
Mutter war sie. Christin war sie.
In einer großen Kurve stießen die Autos zusammen.
Nach ein paar Stunden im Spital war sie tot.
28 Jahre alt war sie. Und jetzt?
Es verändert nichts an der Tragik ob man jung
oder schon älter verunglückt. Sicherlich spürt man
das Fehlen einer jungen Mutter oder eines jungen
Vaters in der Familie ganz besonders stark! Ich bete
manchmal im Hochgebet der heiligen Messe "Guter
Gott gib, dass wir nicht auf der Straße sterben
müssen. Lass uns in der Geborgenheit der Familie
zu dir heimgehen." Das wünsche ich allen, deren
Lebensuhr abläuft. Wir sollten uns aber auch alle
vornehmen, in der Urlaubszeit ganz besonders
vorsichtig zu fahren und uns das große Elend vor
Augen halten, das wir durch eine Unvorsichtigkeit
herbeiführen können. Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt!
Freitag 6.7.2001
Die ersten Christen hatten:
Weniger Bauten – aber mehr Sinn für einander.
Weniger Dogmen – aber mehr Glauben.
Weniger Organisation – aber mehr Dynamik.
Weniger Protektion – aber mehr Vertrauen.
Weniger Leisetreter – aber mehr Verfolgte.
Weniger Theologen – aber mehr Zeugen.
Martin Gutl schrieb diesen kritischen Text im Jahr
1972. Die Kirche in ihrer Krankheit, in ihrer
Organisation aber auch in ihrer Laxheit, lag ihm
immer am Herzen. Martin war kein Bürokrat, ihm
lag nicht viel an Formularen. Der zerbrochene
Mensch, der Süchtige, der Suchende, der der
seinem Leben ein Ende setzen wollte, der sich
nicht mehr nach Hause getraute, weil der Konflikt
so groß war, sie alle waren Martins Brüder und
Schwestern. Er hat sich so sehr eine Kirche
gewünscht, die ursprünglich war – so wie sie
Jesus Christus eingerichtet hat, in der all jene
nicht zu kurz kommen, die im Leben schon zu
kurz gekommen waren. Er wünschte sich eine
Kirche, in der die die Geachteten, Respektierten
und Geliebten sind, sie im Leben auf dem
Gehsteig sitzen und bettelnd die Hände
ausstrecken. Sollten nicht auch wir an so einer
Kirche arbeiten?
Samstag, 7.7.2001
So schnell ist diese Woche vergangen, in der
ich versuchte, Ihnen den Priester und Dichter
Martin Gutl näher zu bringen oder einfach
wieder in Erinnerung zu rufen. So vieles blieb
unausgesprochen. Martin Gutl konnte sehr
fröhlich sein. Einmal als die österreichische
Bischofskonferenz tagte, unterhielt er in einer
Pause die Bischöfe, indem er sie nachmachte
(imitierte), so unbeschwert haben sie schon
lange nicht gelacht. Lachende Bischöfe sind in
unserer heutigen Zeit selten geworden. Für
Martin Gutl war es immer ein Anliegen, wie
diese Kirche den Menschen begegnet. Er hat
immer bemängelt, was ihr fehlt.
Sagen nicht deswegen so viele:
Es gibt keinen Gott – weil es uns nicht gibt:
uns Helfer, uns Verteidiger des Menschenrechts,
uns Gegner jeder Diktatur, uns Friedensstifter,
uns Christen?
Sagen nicht deswegen so viele:
Es gibt keinen Gott, - weil es uns nicht gibt:
als Hand, die heilt, als Wort, das befreit,
als Wasser, das Wüsten belebt?
Martin würde uns auch heute noch aufrüttelnde
Texte in die Seele schreiben, wäre er noch unter
uns. Ein Jahr nach seinem Tod hat mir seine
leibliche Schwester seine schwarzen,
ausgetretenen Schnürschuhe gebracht. Sie
gehören nun mir, sagte sie, weil ich so viel mit
Martin unterwegs gewesen sei. In dieser Woche
war ich wieder in seinen Schuhen unterwegs –
Danke Martin.
Letztes Update dieser Seite am 09.07.2001 um 11:56