Morgengedanken Morgengedanken Morgengedanken Morgengedanken

Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr - 6.08 Uhr, ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios

von Prior Benedikt Felsinger OPraem

Sonntag, 29. Juli 2001

Gebet
Der Theologe Rahner hat einmal gesagt: " Die Worte, die wir zu 
Gott sagen, sie können leise und arm und schüchtern sein. Wenn
sie nur von Herzen kommen. Und wenn sie nur der Geist Gottes 
mitbetet. Dann hört sie Gott. Dann wird er keines der Worte 
vergessen. Dann wird er die Worte in seinem Herzen aufbewahren,
weil man die Worte der Liebe nicht vergessen kann."

Mir passiert es immer wieder, dass ich in Momenten des Glücks
einen Jauchzer als Stoßgebet zum Himmel schicke. Den 
verzweifelten Menschen und den Zweiflern empfehle ich immer
wieder, sich hinzusetzen, und zu sagen: "Gott, ich kann nicht beten!"

So etwas kann Gott nicht kalt lassen. Unser Herz selbst sucht
doch auch immer wieder unruhig als Sender und Empfänger
unserer Sehnsüchte nach einem Du.

Und wenn Gott auch ganz anders ist als wir, eines hat er 
bestimmt: ein Herz.

Kein Geringerer als Jesus selbst ist dafür Zeuge. Er hat uns 
das Gebet gelehrt, das alles Wichtige unseres Lebens anspricht.

Das Vater-unser- Gebet hebt mein und dein Herz in das Herz 
Gottes hinein. Es ist der sichere Weg dorthin. Es lehrt uns beten
und ist unser Halt, wenn uns Not und Schicksal die Worte nehmen.

 

Montag, 30.Juli 2001

Gesang
Meine besonderen Freunde im Tierreich sind die Vögel. Seit 
meiner Kindheit bin ich mit fast allen Arten unserer Heimat vertraut. 
Stundenlang stand ich Winter am Fenster, um das bunte Treiben
der geflügelten Gesellen am Futterhäuschen im Garten zu
beobachten. Im Frühjahr und Sommer gehe ich auch heute gerne
in aller Frühe in die Natur, um allein oder mit Freunden den vielen 
Stimmen zu lauschen, die Sonne und Tag begrüßen.

Verschiedene Orchester haben dann mit ihren eigenen Stimmen 
bei den Häusern, am Klosterteich oder im nahen Wald ihren Platz.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich da auf einer morgendlichen
Wanderung die Klangbilder verändern. Oft sind es die kleinen 
Vögel, die sich mit ihrem eigenen Gesang weithin zu erkennen geben.

Mit meinen gefiederten Freunden habe ich eins gemeinsam:
 ich singe gern.

In meinem Kloster darf ich Tag für Tag als Kantor meine
Stimme erheben, um zusammen mit den Brüdern Gott zu 
loben. Beim Singen werde ich als Ganzer gefordert. Ich 
muss festen Boden unter den Füßen haben, mein Zwerchfell 
darf mich nicht verlassen und das wichtigste ist: ich muss
hören können. Ich muss wahrnehmen, was an mich herankommt 
und was ich von mir gebe.

Singen heute immer weniger Menschen eigentlich so wenig, 
weil sie das Singen verlernt haben oder nie geübt haben,
wirklich hinzuhören?

Meine Freunde, die Vögel, lernen voneinander ihre Melodien. 
Wenn wir auf sie aufmerksam werden, können sie sicher 
auch uns etwas beibringen.

 

Dienstag, 31.Juli 200

Geborgenheit
Im Norden des Waldviertels liegt meine Heimatstadt. Sie liegt
auf einer felsigen Anhöhe, die auf drei Seiten von dem Thayafluss
umwunden wird. Seit Hunderten von Jahren schützte die 
mächtige Stadtmauer die Bürgerinnen und Bürger vor feindlichen 
Angriffen und hielt den meisten stand. Zwölf Türme verstärkten
zusätzlich ihre Wehrhaftigkeit. Heute noch kann man dieselben 
bei einem Spaziergang auf der rundum führenden schattigen 
Promenade bestaunen. Immer, wenn ich diesen Weg abschreite,
erinnere ich mich an die Schilderungen der Stadt Gottes, dem
himmlischen Jerusalem. Auch dort ist von zwölf Türmen und 
Toren die Rede. Sowohl die Stadtmauer in meiner Heimat als
auch die Verheißung der Stadt Gottes vermitteln mir eines: 
Geborgenheit

Immer, wenn ich von der Arbeit in den Pfarren oder von einer
Reise am Abend in mein Kloster zurückkehre und die meterdicken 
Wände betrachte, die mich am Gang und im Zimmer umgeben, 
empfinde ich eines: Geborgenheit Und ist nicht unsere größte 
Sehnsucht von der Geburt bis zum Tod die der Geborgenheit?

Wir Menschen tun uns heute schwer mit Institutionen und Kirchen.
Viele verlassen dieselben oder lassen sich gar nicht auf sie ein. 
Die Freiheit ist uns heilig. Aber fehlt da nicht etwas?

Wenn die Gemeinschaft unserer Kirchen ein Werk Gottes sind, 
dann wird sich beides vorfinden: Geborgenheit und Freiheit, 
Schutz für die Menschen und Raum zur Entfaltung.

Das erzählen mir die alten Mauern meiner Heimat.

 

Mittwoch, 1.August 2001

Gewissheit
Wenn in der Frühe noch alles still ist, nur die Sonne stetig ihr 
Licht vermehrt, dann geh hinaus. Geh solange, bis du vor
einen großen, alten Baum zu stehen kommst. Betrachte ihn. 
Was siehst du? Du kannst jetzt vieles antworten: die Äste, die 
Rinde, die Blätter, die Blüten oder die Samen. Das stimmt. 
Aber du siehst auf jeden Fall nur die Hälfte. Das, was den Baum
das Wasser schöpfen lässt, das, was seine Wurzeln umklammern, 
siehst du nicht. Dorthin, wo die Erde ihn wachsen lässt, kannst du 
nicht mit deinen Augen vordringen. Und doch weißt du, dass es 
da ist. Du weißt ganz genau, das der Baum mit seinen Wurzeln 
stetig wächst, die Steine sprengt und immer neu das Wasser im
 Erdreich erschließt.

Dein Leben besteht auch nicht nur aus Wissen und Fakten. 
Es braucht auch das Vertrauen, aus der die Gewissheit 
wachsen kann, dass dein Dasein wertvoll ist.

Tief in dir drinnen, dort wo dein Auge und das der anderen 
nicht hingelangt, dort ist das angelegt, was dein Leben aus
dem Innern wachsen lässt. Es ist das Gewissen, das dir immer
wieder die Freiheit gibt, zu urteilen und zu entscheiden. Und es
ist der Glaube, der genährt durch das Licht der Offenbarung 
Gottes Orientierung und Richtung weist. Ich bin mir sicher, 
dass wir in dieser Gewissheit auch die Stürme des Lebens
 überstehen.

 

Donnerstag, 2. August 2001

Geduld
Die Sparmaßnahmen der Regierung greifen. In meiner 
Heimat wurde der Bahnverkehr zwischen Retz und Drosendorf
eingestellt. Verantwortliche und Betroffene sprachen davon,
wie viele denn nun wirklich dieses Verkehrsmittel genützt 
hätten. Egal, wie hoch die Zahl war, es fuhren immer weniger
mit der Bahn und immer mehr mit dem Auto. Zur Folge des
Ganzen wird das Land nun noch ruhiger und einer weiteren
Möglichkeit, zu reisen, beraubt.

Ich frage mich immer, was denn die tiefere Ursache einer
solchen Entwicklung ist?

Meiner Ansicht nach fehlt es uns Menschen immer mehr
an Geduld. In der Meinung, das Bewährte immer noch
überbieten zu müssen, wenden wir immens viel Zeit 
auf, um neue Methoden zu entwickeln.

In der Vorstellung, selbst schneller voranzukommen,
rasen wir alle wie auf Befehl zu Beginn der Ferien- 
und Urlaubszeit in die ohnehin vorprogrammierten 
Staus unserer Straßen. Für mich sind meine
geschilderten banalen Phänomene eindeutige 
Indizien dafür, das es uns allen an Geduld fehlt. Zum 
Trost sei allen gesagt: Ich selbst kann ein Lied über 
den Mangel an meiner eigenen Geduld singen. Aber
wenn es uns an dieser Tugend fehlt, werden wir letztlich 
auch einander nicht mehr erdulden können. Was daraus
 folgt, egal ob in der Familie oder in einem größeren 
Europa, möge sich heute einmal jeder selbst überlegen.

 

Freitag, 3. August 2001

Gastfreundschaft
In der Bibel begegnen wir immer wieder Menschen, 
die entsprechend den Sitten ihrer Lebenswelt besonders
gastfreundlich sind.

Ich denke da an Abraham, der die drei Männer bei den
Eichen von Mamre bewirtete. Mir fällt Maria, die 
Schwester der Martha, ein, die von Jesus heimgesucht
wurden. Simon, der Pharisäer, war der Gastgeber des
Herrn, als die Sünderin hinzukam, um sich Christus in
ungewöhnlich ergreifender Weise zu nähern. Viele
Begebenheiten wären noch zu nennen.

Was in diesen Geschichten immer wieder auffällt, ist die 
Tatsache, dass den Gästen jeweils Gott selbst innewohnt. 
Die Gastgeber werden durch ihren Besuch auch immer auf 
Möglichkeiten und Tatsachen hingewiesen, die ihr Leben 
verändern, bereichern und in ungeahnte Dimensionen
 hineinführen.

Unser schönes Land Österreich ist ein Land des Tourismus. 
Gerade jetzt suchen wieder viele Erholungsbedürftige aus
anderen Ländern bei uns Ruhe und Entspannung, Kultur und
Kulinarisches. Die Wirtschaft lebt davon. Unser Land 
profitiert davon. Wir können vor allem als Menschen stolz 
darauf sein, so viele beherbergen zu dürfen. Wie viele
Möglichkeiten ergeben sich daraus, um den eigenen 
Horizont zu erweitern? Wie viele neue Freundschaftsbänder 
können da mitwirken, um oft erschreckende Grenzbalken
in unseren Köpfen zu überwinden? Wie oft hat vielleicht 
Gott selbst schon versucht, im Fremden, im Gast mich 
heimzusuchen ?

 

Samstag, 4. August 2001

Gemeinschaft
Einer der gewichtigsten Sätze der Klosterregel des
heiligen Augustinus lautet:

"Lebt alle wie ein Herz und eine Seele zusammen und 
ehrt gegenseitig in euch Gott; den jeder von euch ist sein
Tempel geworden."

Wenn ich durch unsere schönen Angerdörfer fahre oder
über die Plätze der alten Städte dies- und jenseits der
Grenze schlendere, bewundere ich immer die einzelnen
Häuser, die da dicht an dicht stehen. Keines gleicht dem 
anderen und doch haben sie alle die selbe Funktion. 
Jede Fassade hat ein anderes Gesicht und doch leben 
unter allen Dächern Menschen und Familien. Jedes Haus
ist bewohnt.

Wenn ich dann vor die Städte und Dörfer ziehe, und sehe, 
wie im Bauland ein aufwendigeres Haus nach dem anderen
entsteht, fällt mir eines auf: sie stehen auseinander. Jeder
möchte seine Privatsphäre waren mit dem eigenen Garten 
und dem eigenen Grund. Keiner möchte mehr an den anderen
angrenzen. Die eigenartige Folge daraus ist, das man erst
recht von einem Wohn- und Schlafzimmer in das des 
Nachbarn sehen kann, einander förmlich ausgeliefert.

Gemeinschaft, denke ich, entsteht im Zusammenrücken. Sie
wird aufgebaut im gegenseitigen Respekt voreinander, im 
Ehren des anderen und in der gegenseitigen Hilfe, wo es 
nötig ist. Das gegenseitige Ausliefern in unseren Tagen und 
das gleichzeitige Bedürfnis, das Private immer mehr heilig
zu sprechen, stehen einander unversöhnt gegenüber. 
Vielleicht gilt der Satz des heiligen Augustinus nicht nur 
für die Männer und Frauen hinter Klostermauern.

Er kann, ernst genommen, auch für alle Menschen 
fruchtbringend gelebt werden.

 

 

 

 

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Letztes Update dieser Seite am  21.09.2001 um 11:17