Morgengedanken Morgengedanken Morgengedanken Morgengedanken

Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr - 6.08 Uhr, ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios

von Martin Müller

 

Sonntag, 12.8.2001

Ein idyllischer Flecken Land
Für ein paar Augenblicke möchte ich Sie nach Waiern entführen. 
Das ist der Ort, wo ich wohne. Ein idyllischer Flecken Land, knapp
oberhalb von Feldkirchen in Kärnten gelegen, einer kleinen 
Bezirksstadt in der Nähe des Ossiachersees.

Seit 150 Jahren steht da eine evangelische Kirche mit Pfarrhaus. 
Vom bewaldeten Hügel grüßt der schlanke Kirchturm hinunter in 
die Stadt und - wenn's klar ist – bis zur majestätischen Bergkette 
der Karawanken.

150 Jahre, das ist eine runde Zahl, die man nicht einfach so 
ohne Feierlichkeit verstreichen lässt. Und deshalb wird bei
uns in diesem Jahr gefeiert.

Ich möchte Sie in diesen Tagen teilhaben lassen am 
Zurückschauen auf die bewegte Geschichte unserer 
Kirchengemeinde und am Überlegen, was Glauben heute 
für mich bedeutet.

Vor der Kirche, direkt neben dem Friedhof, ist eine Wiese 
wie eine Terrasse. Wunderschön zu sitzen im Schatten der
Bäume, wo manchmal Leute innehalten und hinterschauen 
über die Stadt: viele Häuser, viele Menschen, einsam oder
hastig unterwegs, im Geschäft und Büro oder in der Wohnung,
weil man nicht mehr außer Haus kommt. Und dann die Autos 
wie Ameisen, wie sie eilig den Straßen entlangziehen. Der 
Lärm des geschäftigen Treibens liegt wie ein Wolke über der
 
Stadt.

Manchmal ist es gut, solche Orte zu erleben, wo man drüber 
steht und Abstand hat vom geschäftigen Treiben des Alltags. 
Wo man innehalten kann, damit die Seele wieder nachkommt 
und nicht zurückbleibt. Ein Gebet, ein Augenblick der Stille ,die 
Feier des Gottesdienstes, das heilsame Gespräch mit einem 
Menschen des Vertrauens oder das Wort des Evangeliums.
Für mich sind das unverzichtbare Orte des Innehaltens und 
Drüberschauens, die ich brauche, um aufzutanken und manches
wieder auf die Reihe zu bringen in meinem Leben. Haben Sie
für sich auch solche Orte des Drüberschauens!

 

Montag, 13.8.2001

Kinderfreundlich
Begonnen hat alles mit einem engagierten, kinderfreundlichen 
Pfarrer, der die Not der Zeit erkannt und sein Haus geöffnet hat 
für elternlose Kinder. Ungefähr 130 Jahre ist es her, dass nach
dem Schlusssegen am Friedhof nach einem Begräbnis die 
Leute der Reihe nach weggingen. Übrig geblieben sind nur 
noch 2 Kinder, deren Eltern gestorben waren und die nicht 
wussten, wohin sie gehen sollten.

Kein Einzelfall in der damaligen Zeit, weil die Kinder der Knechte
und Mägde auf das good-will der Bauersleute angewiesen waren,
ob sie als zusätzliche Kostgänger am Hof geduldet waren oder
nicht. Die beiden trauernden Kinder am Sarg waren nicht geduldet 
und so hat sie der Pfarrer zu sich nach Hause in seine Familie mit 
aufgenommen. Kaum zu glauben, bis zu 30 Kinder sollen im 
Pfarrhaus Waiern von der Pfarrfamilie Schwarz verköstigt worden
sein, bis ein Kinderheim gebaut werden konnte und so die diakonische
Arbeit in Waiern ihren Anfang genommen hat. Ein engagierter 
kinderfreundlicher Pfarrer, der die Not der Zeit erkannt und geholfen
hat ohne lang zu fragen.

Ob unsere Zeit nicht auch mehr Kinderfreundlichkeit benötigen 
würde? Das frage ich mich oft, wenn ich Wohnhäuser mit riesigen 
Garagenplätzen sehe, aber ohne Kinderspielplätze. Wenn ich von
einer Kindergruppe höre, dass sich die Nachbarn durch Kindergeschrei 
massiv in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt sehen und mit
Rechtsanwälten drohen. Dann wünsche ich mir auch heute solche
Persönlichkeiten, die ein Herz haben für Kinder und ihnen Raum 
geben zur Entfaltung.

 

Dienstag, 14.8.2001

Skandalträchtig
Dass das kein Skandal geworden ist, wundert mich heute noch.

Bei unserm großen Gustav-Adolf-Fest zum 150.Jubiläum unserer
Kirchengemeinde waren 1500 Leute bei uns zu Gast. Gottesdienste,
Familienprogramm für jung und alt, Musical und Theater. Viele 
Begegnungen, Gespräche, Kirche als große Familie in einem 
bunten Durcheinander. Und das Schwierigste für uns Organisatoren: 
1500 Leute zu verköstigen, damit sie sich wohlfühlen. Gute Speisen, 
genug zum Trinken, gemütliche Sitzgelegenheiten zum Plaudern.
 Liebe geht ja auch durch den Magen, sagt man.

Am Platz vor der Kirche war das Essen und Trinken. Der Ausschank
direkt vor der Aufbahrungshalle, weil da ein Stromanschluss ist.

Aber jetzt kommt’s: Donner, Regen, Wind - die bereits Verköstigten 
flüchten in die Kirche, wo der nächste Programmpunkt wartet, und 
die andern rücken - wer kann’s ihnen verdenken - unters Dach der 
Aufbahrungshalle. Da sind alle sicher vor dem Regen. Und plötzlich
gibt's dort, wo sonst die Toten liegen, Saft und Bier, Schnitzel und 
Würstel-Essen, Lachen und munteres Plaudern.

Skandalös, pietätlos, nein, überhaupt nicht!

Hat nicht Jesus die Macht des Todes gebrochen? Hat nicht der
Apostel Paulus den Tod verhöhnt, weil ihm durchs Evangelium 
das Rückgrat gebrochen ist? Mag sein, dass uns der Tod noch 
schrecken kann - aber aus Gottes Hand reißen kann er uns nicht 
mehr, seit Jesus.

Munteres Treiben in der Aufbahrungshalle - kein Skandal, 
sondern ein Augenblick, der den Himmel schon vorwegnimmt. 
Prost Mahlzeit, lieber Tod.

 

Mittwoch, 15.8.2001

Hilfe zur Selbsthilfe
Für bis zu 30 Kinder zu sorgen, die im eigenen Haus und in
der eigenen Familie aufgenommen waren und nach Essen 
und Kleidung verlangten, war nicht leicht. Ein spannendes 
Unternehmen in einer Zeit, als es noch keine Sozialhilfe gab.

Da waren Reisen, sogenannte "Betteltouren", ins In- und
Ausland notwendig, um Spenden zu sammeln, die freimütig 
gegeben wurden. Da gab's auch Widerstände und Kritik zu 
überwinden. Von Nachbarn beispielsweise, die sich gestört 
fühlten.

Aber es gab Hilfe, die wie ein Geschenk des Himmels plötzlich
da war, unvermutet, einfach so. Und ein solches Geschenk war
die besagte Kuh. Eines schönen Morgens stand sie einfach da
am Kirchplatz und brüllte, dass die Pfarrfamilie und die vielen 
Kinder zusammenliefen. "Für Di!" sagte der Knecht vom
Marhof-Bauern und drückte dem verdutzten Pfarrer den Kuhstrick 
einfach in die Hand. Und weg war er, der Marhof-Knecht. Aber
Milch für die nächsten Wochen und Jahre war gesichert. Und
die Sorgenlast der Pfarrfamilie ein Stück erleichtert. Durch 
einen aufmerksamen, wachen Menschen, der Not wahrnimmt,
der sich ein Herz fasst und ohne viel Reden hilft.

Das ist es, warum die Kuh bei uns in Waiern so wichtig ist, 
und warum sie bei unserem Kirchenjubiläum groß gefeiert 
wurde. Weil sie für uns ein Beispiel ist für Hilfe zur Selbsthilfe.
Zur Nachahmung empfohlen für alle, die nicht nur fromm reden, 
sondern auch christlich handeln wollen.

 

Donnerstag, 16.8.2001

Idylle
Die Idylle des Altarbildes in unserer Kirche: Jesus, als guter
Hirte, mitten unter den Schafen, die er ans frische Wasser 
und auf grüne Weiden führt. Sattes Grün, blaues Quellwasser.

Manchmal frage ich mich, was uns Menschen im Jahr 2001
ein solches Bild aus längst vergangener Zeit noch zu sagen
hat. Uns Getriebenen von Handies und Zeitplanern, uns
Ausgerüsteten mit Chips und Computern.

Dann denke ich an den Künstler, der das Bild geschaffen hat
und an seine Geschichte: als Kind ohne Eltern aufgewachsen,
ins Kinderheim gebracht und ein neues Zuhause gefunden
und durch einfühlsame Pädagogen auf das künstlerische 
Talent aufmerksam gemacht worden. Kunstakademie in 
Wien, Portraitmaler mit eigenem Atelier. Das Talent zum 
Beruf geworden.

Und als es nun darum ging, ein Altarbild zu gestalten für 
den Ort, wo der Künstler als Kind ein neues Zuhause
gefunden hat, kam ihm das Bild von Jesus als dem guten
Hirten in den Sinn. Der Glaube als Ort des Vertrauens und 
der Geborgenheit, wie er sie als Waisenkind hier in Waiern 
gefunden hat.

Fremde Bilder? Trügerische Idylle?

Vielleicht sind solche Bilder des Friedens und der 
Geborgenheit für uns heute umso wichtiger, um die
Sehnsucht nach innerer Ruhe und Gelassenheit wach
zu halten, um wieder neu nach Frieden zu suchen mitten
im Stress unserer Zeit. Der Friede des guten Hirten
begleite Sie in den heutigen Tag.

 

Freitag, 17.8.2001

Hoffentlich geöffnete Fenster
Heute lachen wir drüber. Wir denken, die Zeiten 
konfessioneller Anfeindungen sind vorbei. Aber 
damals war es bitterer Ernst.

Denn als bei uns in Waiern vor 150 Jahren die 
evangelische Kirche gebaut wurde, soll der katholische 
Pfarrer in Feldkirchen das Fenster seines Pfarrhauses, 
das zu den Evangelischen nach Waiern gerichtet war,
zugemauert haben. Aus Ärger über die Protestanten, die 
ihrerseits gehörig contra gaben.

150 Jahre später hat sich die Situation gewandelt. Heute 
feiern wir gemeinsam Gottesdienste, und arbeiten zusammen,
wo es zu helfen gilt. Bei unseren Feierlichkeiten 150 Jahre 
evangelische Kirchengemeinde Waiern war der katholische 
Pfarrer wie selbstverständlich mit dabei. Und er hat dabei
gesagt: "Das Fenster der katholischen Christen in Feldkirchen
hin zu Euch in Waiern ist geöffnet!" Und das war ehrlich, keine 
höfliche Floskel.

Ist das nicht ein schönes Bild für die Begegnung der 
verschiedenen Konfessionen? Einander wahrnehmen, 
einander grüßen, sich übereinander freuen, manchmal
auch heftig miteinander diskutieren und um die rechte 
Einsicht ringen, so wie sich auch gute Nachbarn manchmal
lebhaft unterhalten. Auf jeden Fall offen sein und voneinander 
lernen. Geöffnete Fenster. Ein schönes Bild für Begegnung
überhaupt. Und für einen neuen Tag mit seinen Begegnungen, 
die Gott für uns bereit hält.

 

Samstag. 18.8.2001

Wie ein Baum
Zwischen Pfarrhaus und Kirche steht ein wunderschöner 
Baum. Eine Linde, die fast so alt ist, wie die Kirche selbst.
Ihre Zweige bilden eine mächtige Krone, die in ihrer Höhe
sogar dem Kirchturm Konkurrenz macht. Im Herbst, wenn
die Blätter fallen, kehren die Kinder riesige Laubhäufen
zusammen und sie lieben es, hinein zu springen und im
Laub herum zu tollen. Im Frühling schießt das helle Grün 
in tausende zarte Zweigspitzen und im Sommer, zur 
Lindenblüte, tummeln sich so viele Bienen in der Baumkrone,
dass einem das sonore Summen in die Glieder fährt, wenn 
man drunter steht.

Wie viele Menschen sind wohl schon unter Ihr gestanden 
oder vorbei gegangen, traurig oder voller Freude?

Die Linde, für mich ein Symbol für Verlässlichkeit und 
Standhaftsein. Sonne und Frost hat sie über die Jahre
gleichmütig getragen und Wind und Wetter sind über sie
drüber weggezogen. Sie hat Krieg und Frieden gesehen, 
den blinden Fanatismus der Hitlerzeit und die Flüchtlingsströme 
des Zusammenbruchs. Und heute hört sie den hektischen 
Lärm von der Stadt und sieht die Rastlosigkeit der 
vorbeirasenden Autos und Menschen und schüttelt dann
und wann kräftig ihre Krone.

Die Linde steht immer noch. Ihre Botschaft: "Gesegnet
ist der Mensch, der sich auf Gott verlässt, und seine
Hoffnung auf Gott richtet. Der ist wie ein Baum, der am
Wasser gepflanzt ist. Wind und Wetter hält er stand und 
seine Blätter verwelken nicht". (Jer 17 + Psalm 1 )

 

 

 

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Letztes Update dieser Seite am  21.09.2001 um 11:37