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Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr - 6.08 Uhr, ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios

von Dr. Adolf Karlinger (Innsbruck)

Sonntag, 16. September 2001

Ich kenne aus meiner Kindheit noch die Bitte. Papa, Mama
weise mich", d.h. gib mir deine Hand, damit ich mich
festhalten kann und nicht hinfalle. Mit den Zehn Geboten, 
- von einigen von ihnen wird min dieser Woche die Rede
sein – scheint es so zu sein, als ob Gott selbst sein Volk 
an der Hand nehmen wollte, um ihm die Wege des Lebens
zu zeigen und vor Abwegen zu bewahren. Die Zehn Gebote
stehen in Zusammenhang mit dem Auszug des Volkes Israel 
aus Ägypten. Gott sah das Leid seines Volkes. Er rettete es
aus der Knechtschaft. Das Volk braucht Wegweiser und 
Richtlinien, damit die eben Befreiten nicht in die alten 
Abhängigkeiten zurückfallen.

Wegweiser und Gebote haben aber nur eine dienende 
Funktion. Sie dürfen nicht im Weg stehen, sondern am 
Rand des Weges und zeigen die richtige Richtung. Sie
sollen leserlich und verständlich sein. Die Gebote sind 
wie Seile am Klettersteig, wie Leitschienen auf der
Autobahn; wie Haltegriffe im überfüllten Autobus. Bei
all diesen Vergleichen zeigt sich, dass die zehn Gebote
nicht selbst schon der Weg sind, sondern Hilfen, um den
Weg, den man selbst gehen muss, gefahrlos und sicher
zu bewältigen.

Interessant ist, dass ursprünglich die "Zehn-Worte" nicht 
als Verbote, sondern als eine Verheißung formuliert sind:
Wenn du dich auf den Befreiergott einlässt, seinen 
Weisungen vertraust und dich an ihnen orientierst, dann 
wird dein Leben gelingen.

 

Montag, 17. September 2001

Das 1. Gebot

Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Du sollst
dir kein Gottesbild machen...Du sollst dich nicht vor anderen
Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen...

Das erste Gebot zeigt wie bedroht der Mensch ist, wenn er
den Exodusgott verlässt. Andere Götter bewirken eine andere
Lebensgestaltung. Was nützen Götter, die nicht sehen, nicht 
hören, nicht riechen? Was helfen Götter die wieder die alten 
bedrückenden Strukturen sanktionieren?

Das erste Gebot zeigt die Sorge Jahwes um sein Volk und 
die Menschen überhaupt. Denn alle sind in diesem Punkt
besonders gefährdet.

Das Bilderverbot macht deutlich, dass jede Vorstellung von 
Gott nur vorläufig und unvollkommen ist. Gott ist immer größer
als das Bild, das wir uns von ihm machen und Gott ist anders. 
Wenn es überhaupt ein Bild von Gott gibt, dann ist dies der
Mensch; zunächst jeder Mensch, besonders aber der arme
und geschwundene Mensch, mit dem sich Jesus Christus 
ausdrücklich identifiziert,. Das eigentliche Bild von Gott aber
ist Jesus Christus, das menschliche Antlitz Gottes in dieser
 Welt.

 

Dienstag, 18. September 2001

Das 2. Gebot

Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht 
missbrauchen; denn der Herr lässt den nicht ungestraft, 
der seinen Namen missbraucht.

Das Verbot des Namensmissbrauchs gehört zu den 
Geboten, die im Laufe der Zeit am unterschiedlichsten 
ausgelegt wurden. Dies ist schon ein Hinweis auf die 
Verlegenheit und auch Unsicherheit im Verständnis des
Gebotes: "Den Namen Gottes nicht vergeblich führen, 
nicht eitel nennen, nicht verunehren, nicht achtlos 
aussprechen, nicht zu Freveln missbrauchen, keinen 
Meineid schwören, nicht fluchen..." So hat man es gelernt.

Was ist der wirkliche Sinn dieses Gebotes? Der Missbrauch 
des Gottesnamens ist nicht nur eine Entgleisung, wenn 
einem im Ärger ein unbeherrschtes Wort entrutscht. Der
Missbrauch des Gottesnahmen ist dort, wo im Namen 
Gottes Unrecht getan wird, Gewalttätigkeit herrscht, 
Menschen zu Sklaven degradiert werden, das Recht
gerade der Schwachen und Hilflosen verdreht und gebeugt
wird.

Jesus von Nazaret ging sehr sensibel mit den Gottesnamen
um. Er nannte Gott gerade dort beim Namen, wo Menschen
am Rande der Gesellschaft leben müssen: Den Namen Gottes
sprach er aus für Zöllner, Straßenmädchen, Sünder aller Art, 
Samariter, Verarmte, Entwurzelte, Kinder, Frauen, Kranke, 
Unreine und Feinde. Diesen Gruppen ist er als "lieber Vater" 
ganz nahe.

 

Mittwoch, 19. September 2001

Das 4. Gebot

Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in 
dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt.

Der eigentliche Adressat dieses Gebotes ist der erwachsene
Israelit. Ihm gegenüber wird die Pflicht betont, für die alten Eltern,
für die arbeitsunfähigen Generationen, zu sorgen. Das Gebot 
wendet sich zunächst nicht an die Kinder oder Unterbegebene, 
damit sie den Vorgesetzten gehorchen, sondern an die arbeitsfähigen
Stärkeren, damit sie die alten, schwach gewordenen Eltern nicht
auf die Seite schieben. Von daher versteht man auch, warum in
der jüdischen Tradition das 4. Gebot oft als das schwerste im 
ganzen Dekalog bezeichnet wird. Denn die Sorge um die alten 
Eltern bedeutet oft eine schwere Belastung.

Dieses Gebot will den "Vertrag der Generationen" regeln. Es 
geht nicht um den Gehorsam der Kinder und Untergebenen,
sondern um den Respekt und um die Sorge für die ältere
Generation. Nicht nur Kinder werden vernachlässigt, es gibt 
auch vernachlässigte Eltern. Nicht nur Kinder werden 
misshandelt, es gibt auch misshandelte Eltern.

Im Laufe der Zeit wurde das 4. Gebot benutzt um vorgegebene'
Autoritäten – nicht nur die der Eltern – zu stützen. Man bezog
es auf den Vorgesetzten im weltlichen und kirchlichen Bereich, 
dem sogar blinder Gehorsam zu leisten war.

Die Verheißung des 4. Gebotes sind versöhnte Generationen.

 

Donnerstag, 20. September 2001

Das 6. Gebot

Du sollst nicht die Ehe brechen.

Es war bei einer Silberhochzeit. Nach einer würdigen 
kirchlichen Feier saßen wir, wie es üblich ist, im Gasthaus
gemütlich beisammen. Da trat ein Freund an den 
Jubelbräutigam heran, gratulierte ihm und fragte scherzhaft:
"Nun gefällt dir deine Braut heute auch noch so wie damals 
vor 25 Jahren, als sie noch jünger und schöner war?" Der 
Mann dachte eine kurze Weile nach, dann gab er zur Antwort:'
"Damals, vor 25 Jahren, hab ich meine Frau gern gehabt, 
heute habe ich sie noch lieber!"

Immer wieder erzähle ich diese Begebenheit. Sei zeigt wie
das 6. Gebot gemeint ist. Stabile, verlässliche, gewachsene
Beziehungen werden in diesem Gebot angemahnt. Die 
Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, die ein Abbild 
der unwiderruflichen Treue Gottes ist, kann in seinem
Namen gewagt und immer tiefer gelebt werden. Damals 
gern, heute noch lieber! Darum geht es!

Die Bibel kennt eine große Wertschätzung der Ehe und 
der Geschlechtlichkeit. Erst in der frühen Kirche wurde 
unter dem Einfluss philosophischer Strömungen jede 
Lust insbesondere sie sexuelle Lust als gefährlich und 
dämonisch abgewertet.

Und die biblische Weisung des 6. Gebotes liegt heute
"voll im Trend". In Umfragen unter jungen Menschen
wird die "verlässliche Beziehung" als das erstrebenswerteste
 Gut genannt. "Damals gern, heute noch lieber!"

Versöhnte Beziehung, dies ist die Verheißung des 6. Gebotes.

 

Freitag, 21. September 2001

Das 8. Gebot

Du sollst nichts Falsches gegen deinen Nächsten aussagen.

Der ursprüngliche Sinn des Gebotes richtet sich auf
die Zeugenaussage vor Gericht. In Israel war bei den
beschränkten Möglichkeiten der Rechtsfindung eine
korrekte Aussage der Zeugen vor Gericht besonders
wichtig. Unter Umständen konnte von einer Falschaussage 
vor Gericht das Leben eines Menschen abhängen. Auch 
im Prozess Jesu spielen Falschzeugen eine Rolle.

Im biblischen Wahrheitsbegriff geht es nicht so sehr um
objektiv feststellbare Sachverhalte, sondern vielmehr 
um ein aufrichtiges Miteinander. Dem Mitmenschen
darf nicht durch Misstrauen, durch Unterstellungen, 
durch üble Nachreden usw. geschadet werden. Wer
vor Gericht zum Schaden des Angeklagten falsch 
aussagt der schädigt das Zusammenleben.

Höchste Aktualität besitzt das 8. Gebot heute im Bereich
der öffentlichen Meinung und der Massenmedien, in 
denen gelegentlich jemandem unschuldigerweise "der 
Prozess gemacht" wird, ohne dass dieser sich wehren 
kann. Auch die Wahrheit, nämlich die Wahrheit um jeden
Preis, kann die Liebe verletzen.

Die Verheißung des 8. Gebotes ist: Versöhnt miteinander
reden. Du brauchst deinem Mitmenschen nicht schaden, 
auch nicht mit Worten. Du brauchst dich nicht dadurch
profitieren, indem du andere schlecht machst. Du kannst
dir leisten, Gutes von ihnen zu reden.

 

Samstag, 22. September 2001

9. und 10. Gebot

Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten 
verlangen. Du sollst nicht nach der Frau deines
Nächsten verlangen, nach seinem Sklaven oder
seiner Sklavin, seinem Rind oder seinem Esel oder
nach irgend etwas, das deinem Nächsten gehört.

Das gemeinsame Thema des 9. und 10. Gebotes ist
das "ungeordnete Begehren". Manchen erscheint die 
Abweisung des Begehrens lebensfeindlich: Sie führe 
zu Verklemmung und Verkrampfung statt zur Entfaltung 
der Persönlichkeit. Tatsächlich ist der christlichen Tradition,
vor allem unter dem Einfluss des heiligen Augustinus, 
die Begehrlichkeit fast ausschließlich als "böse Begierde"
verstanden worden.

Bloße Unterdrückung der Wünsche und Bedürfnisse 
wirken sich schlecht aus, führt zu Unzufriedenheit und
Verkrampfung. Die "Sofortbefriedigung" aller Wünsche
aber führt ebenfalls ins Chaos. Es ist deshalb wichtig, 
dass der Mensch sein Begehren ordnet. Das 9. Gebot
richtet sich gegen das ungeordnete "Haben-Müssen",
gegen Neid und Geiz. Das 10. Gebot schützt die Ehe 
vor Eindringlingen, die vielleicht sogar im Namen der
Liebe eine Beziehung zerbrechen.

Das 9. Und 10. Gebot verheißt eine "Kultur aus 
Leidenschaft und des Begehrens." Du kannst auch 
dem anderen gönnen, was er hat. Du musst nicht 
unbedingt haben, was dir nicht zusteht. Es müssen 
nicht alle Wünsche erfüllt sein, um erfüllt zu sein.

 

 

 

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Letztes Update dieser Seite am  26.09.2001 um 14:37