Morgengedanken Morgengedanken Morgengedanken Morgengedanken

Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr - 6.08 Uhr, ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios

von Dr. Jakob Ibounig
Stadtpfarrer von Ferlach, K

30. September 2001
Vater Unser im Himmel, geheiligt werde dein Name

Liebe Hörerinnen und Hörer. In den Morgenstunden der 
kommenden Tage möchte ich mit Ihnen den Text eines 
Gebetes betrachten. Das Vater Unser. Es ist ein Bittgebet
und es ist ein Lobgebet. Als Menschen ist uns vor Gott
zuweilen eher zum Verstummen zumute. Aus Vorwurf 
oder auch nur aus Trägheit. Stattdessen mehren sich 
die Selbstgespräche, bei denen wir auf der Stelle treten.
Beten könnte bedeuten. dass wir beginnen unseren
Selbstgesprächen eine Adresse zu geben.

Eine andere Gefahr ist das Geschwätzigwerden - auch
vor Gott. Die Aufrichtigkeit eines Gebetes hängt nicht 
davon ab, ob es spontan - und selbstformuliert und 
wortreich ist. Es gibt ein Plappern, eine Logoröe, einen
Wortdurchfall auch im Gebet.

Die Evangelien berichten, dass die Jünger zu Jesus 
sagen: Lehre uns beten! Jesus antwortet dann nicht 
mit Theorien über das richtige Beten. Er bringt ihnen 
nicht Sprech- oder Atemtechniken bei, auch nicht die
richtige Körperhaltung. Er macht es schlicht so, wie 
eine Mutter ihrem Kind das Reden beibringt. Er sagt
etwas vor und wir sollen versuchen, es nachzusprechen: 
Vater Unser im Himmel, geheiligt werde dein Name.

Schon mit den ersten Worten holt uns dieses Gebet
aus der Vereinzelung heraus. Gott als Vater habe ich 
nicht für mich allein. Niemand kann sagen: Mein Vater
im Himmel. Wenn ich bete, dann stehe ich schon in einer
Gemeinschaft von Mitbetenden. Das ist Demütigung 
und Trost zugleich. Demütigung, weil es auch im 
geistlichen Leben Schluss macht mit hochmütiger 
Vereinzelung und Absonderung. Es gibt keinen 
besonderen Platz für spirituelle Meister. Ich stehe
auf der gleichen Ebene mit jedermann. Und Trost 
liegt darin, weil ich die Schranken und Grenzen 
meines Ich doch übersteigen kann, nicht ewig um
mich selber kreisen muss und ausbrechen kann 
aus trostlosem Selbstgespräch.

Gebet ist Gespräch also nicht nur des Einzelnen und
Vereinzelten vor Gott. Das Gebet lässt nicht zu, dass
ich den Mitmenschen aus den Augen verliere. Und 
so wirkt das Gebet wie ein Sauerteig auch in all 
unsere anderen Gespräche hinein. Es kann unser
Reden und Tun durchdringen.

1. Oktober 2001
Dein Reich komme

Sieben Bitten bilden das Vater Unser Gebet. Die zweite
Bitte lautet:: Dein Reich komme. Der Begriff Reich ist
für unser Empfinden ein sehr belasteter Begriff. Zu oft 
und zu tragisch ist er missverstanden worden. 
Tausendjährige Reiche haben binnen kurzem Tod
und Trümmer hinterlassen. Diese Bitte "dein Reich
komme" spricht dennoch eine große Sehnsucht im 
Menschen an. Dort, wo eine große und gemeinsame 
Ur-Sehnsucht ins Spiel kommt, dort ist der Mensch 
eben auch verführbar.

Die in Lateinamerika und Westeuropa vor 15 oder 
20 Jahren entwickelte und gefeierte sogenannte
Befreiungstheologie spielte mit der Utopie eines 
auf Erden verwirklichten Gottesreiches. Dabei 
wurden durchaus diskutierbare politische und
wirtschaftliche Vorhaben allerdings zu Glaubenssätzen
erhoben. Die Befreiungstheologie ist bekanntlich
nicht am Widerstand aus kirchlichen Zentralstellen
gescheitert. Sie ist wie der Marxismus aus Mangel
an ökonomischer Sachlichkeit erfolglos geblieben.
Zum anderen ist sie auch daran gescheitert, dass 
die Menschen, für die sie sich einsetzen wollte, nicht 
mitgemacht haben. Aus Politik waren Sakramente
gemacht worden und aus Sakramenten Politik.
Die Menschen aber vermissten schließlich in einer
so veränderten Kirche den Trost, den nur die 
Begegnung mit dem lebendigen Gott geben kann. 
Sie haben sich vor der Kirche mehr als Rezepte 
zur Weltverbesserung erwartet.

Adveniat regnum tuum, lautet diese Vater-Unser 
Bitte in lateinischer Sprache. Sie hat also etwas 
mit dem Advent zu tun. Der Christ ist ein adventlichter
Mensch und seine Sehnsucht geht über das hinaus,
was Menschen selber machen und schaffen können.
Das Reich Gottes ist das große Thema der Botschaften 
Jesu Christi in den Evangelien. In vielen Gleichnissen 
spricht Jesus von ihm und sagt, dass dieses Reich 
nahe ist durch ihn, durch Jesus selbst.

Dein Reich komme, das wäre also die Bitte um die 
Begegnung mit Jesus Christus. Es ist eine Hoffnung
für den einzelnen, aber es ist doch auch die Hoffnung 
der ganzen Welt. Die Propheten des alten Testaments
haben sich als Wächter gesehen auf dem Turm, die 
in der Nacht Ausschau halten nach dem Morgenlicht.

Jeder Morgen ist so ein kleines Abbild des Morgens, 
an dem Gottes Reich kommen wird. Als Christ habe 
ich nicht nur Vergangenheit, die in der Nacht und im
Gestern begraben ist. Wir schauen aus dem Morgen 
auf den Tag vor uns voll Hoffnung und Erwartung.

2.10.2001
Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden

Die dritte der sieben Bitten des Vater Unser lässt uns 
sagen: Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
In den ersten beiden Bitten war mit der Anrede des 
Vaters im Himmel und der Hoffnung auf sein kommendes
Reich noch gleichsam von der Sphäre des Himmels und
der Sphäre Gottes die Rede. Nun erst kommt das Beten
in seinem Wortlaut auf der Erde an.

Aber mit einer merkwürdigen Bitte. Gewöhnlich streben
wir die Erfüllung und Durchsetzung des eigenen Willens 
und der eigenen Vorstellungen an. Aber es ist schon am 
Beginn mit der Formulierung "Unser Vater". Ich soll, wenn 
ich bete, die Schranken meines Ich übersteigen, mich
herausnehmen lassen aus der Vereinzelung. Mein 
persönlicher Wille begegnet dem Willen Gottes. Beten
signalisiert die Bereitschaft zur Umformung. Bei der 
Eheschließung begegnen sich der Wille von Mann
und Frau und fließen zusammen in einen Bund. Das 
gibt es auch zwischen Gott und Mensch. Bei dieser '
Vater Unser Bitte können wir also auch von jener Frau
sprechen, die ein ganz besonderes Ja-Wort gesagt:
hat Die Gottesmutter Maria.

Die Kirche hat in Maria immer auch die Menschheit als
ganze verkörpert gesehen, die Braut Gottes. Das was
zuvor das Volk Israel gewesen ist, mehr oder weniger, 
offen oder verborgen, das ist in dieser Frau und in 
ihrem Jawort zum Willen Gottes vereinigt. So können
Gott und Mensch ein Fleisch werden, kann der Himmel
die Erde berühren, so kann Gott zur Erde kommen. 
Jesus Christus ist in seiner Person die Vermählung
von Himmel und Erde. Nicht zufällig sind die Evangelien 
durchsetzt von Hochzeitsberichten,

von Festmählern, die ein König ausrichtet für seinen Sohn.

Jesus Christus ist der Bräutigam, er ist aber auch der
Hochzeitslader. Denn, wo immer ein Mensch beginnt,
nach dem Willen Gottes zu fragen, dort wird die Erde 
ein Stück weit dem Himmel ähnlicher. Dein Wille
geschehe, wie im Himmel so auf Erden, kann ein 
Morgengebet sein voller Verheißung. Es kann aber 
auch gesprochen sein am Abend, am Lebensabend,
wenn eine Bilanz versucht wird.

3.10.2001
Unser täglich Brot gib uns heute

In der Heiligen Messe stellt wie im Vater Unser das
Brot die stille und einfache Mitte des Geschehens
dar. Darüber spricht der Priester die Wandlungsworte 
durch die Jesus Christus selbst leiblich gegenwärtig 
wird im Brot. Das Brot ist Christus und damit wird 
das Brot auch zum Gleichnis für unser Leben.
Benedixit fregit deditque heißt es lateinisch vor
den Wandlungsworten: Er segnete, er zerbrach, er
teilte aus. Diese Worte hat sich der Priester Hans 
Urs von Balthasar als Primizspruch gewählt und 
damit als Wahlspruch über sein Leben gestellt.
Er wollte selbst dem Brot ähnlich werden, das 
gesegnet wird - und dann auch zerbrochen, ja
zerrissen wird, damit es ausgeteilt werden kann. 
Darin ist die Lebenslast angesprochen, das Maß
an Gebraucht und Verbraucht-Werden, das mir
zugemessen wird und natürlich auch das Leiden,
Zerbrechen und Scheitern. Wer diesen Dingen im
Leben um jeden Preis ausweichen möchte, der
wird tatsächlich ungenießbar. Hingegen sind 
viele Menschen, die sich Lebenslast haben
aufladen lassen und auch das Leid in ihrem
Leben angenommen haben, vielfach für andere
zum Brot geworden.

4.10.2001
Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben 
unseren Schuldigern

Die fünfte Bitte im Vater Unser stellt ganz nüchtern 
fest, dass wir Menschen sind, die schuldig werden. 
Wenn Gebet Gespräch ist und wenn Gespräch 
Gemeinschaft bedeutet, dann heißt das: Gott lässt 
sich auch mit Sündern ein.

Einmal muss sich Jesus diesen ganz ausgekochten 
Vorwurf anhören: Du, Jesus, willst der Messias sein, 
und du lässt dich in so zwielichtiger Gesellschaft blicken.
Zöllner und Sünder und Dirnen, mit denen redest du und
bist sogar mit ihnen bei Tisch. Und die Zöllner damals, 
das waren nicht die honorigen und respektablen 
Herrschaften unserer Zeit. Heute ist die Berufsgruppe 
der Zöllner sicher ein Muster der Seriosität. Damals 
aber war die ganze Steuer und Zolleintreibung
verpachtet an Privatfirmen. Die haben dem Staat
eine bestimmte Summe im Voraus bezahlt und 
dann haben sie sich von den Leuten holen können,
soviel sie wollten. Der Gewinn hat ihnen gehört. 
Man kann sich vorstellen, dass sie keine besonders
beliebte oder geachtete Berufsgruppe gewesen 
sind. Ja und Jesus redet mit ihnen, umgibt sich mir
solchen Leuten, sitzt mit ihnen bei Tisch. Mit Sündern. '
Ein ähnlicher Vorwurf ergeht auch an die Kirche. Da
sind doch Sünder dabei, Menschen mit ihren Schwächen
und Fehlern. Da wollen viele nicht dazugehören. Und 
dann die Geschichte der Kirche! Waren es nicht oft 
auch Christen, die viel Schuld auf sich geladen haben? 
Das alles kann doch mit Jesus nichts zu tun haben. Und 
dann werden immer neue Sekten gegründet, weil man
endlich eine wirkliche christliche Gemeinschaft haben 
will, eine reine und heilige Gemeinde ohne den Schmutz 
der Schuld, ohne die Last der Geschichte.

So also der Vorwurf: Die Kirche sei ein Verein aus 
fehlerhaften und sehr: unvollkommenen Leuten und das könne doch nicht die Truppe Jesu Christi sein. Und welche Antwort gibt Jesus darauf? Um Himmels willen, was habt ihr euch denn erwartet? Ich suche ja gerade die, die Hilfe und Vergebung brauchen. Die Gesunden brauchen ja keinen Arzt, sondern eben die Kranken.

5.10.2001
Führe uns nicht in Versuchung

Die sechste Bitte des Vater Unser Gebetes lautet:
Führe uns nicht in Versuchung. An dieser Bitte ist viel 
gerätselt worden. Das könnte doch so nicht stimmen.
Gott führt ja nicht Versuchung, das sei doch immer 
das Werk des Bösen.

Wir kennen die Erzählung aus dem Beginn des Buches 
Genesis, vom Paradies und von Adam und Eva. Adam
und Eva werden da eines Tages angesprochen von der
Schlange, versucht von der: Schlange mit einer Mischung
von Verdächtigungen und Halbwahrheiten. "Hat Gott 
wirklich gesagt, ihr dürft von keinem Baum im Garten
essen?" Vorhin noch hat Gott den Menschen ihr Leben, 
ihre Gemeinschaft, den Garten, das Paradies mit Tieren
und Pflanzen geschenkt. Jetzt, im Reden der Schlange,
erscheint Gott auf einmal als knauseriger Tyrann, der nur
um seine Macht fürchtet, den Menschen klein und abhängig
halten will. Die Schlange aber stellt sich als Befreier dar 
vom Joch Gottes. So geschieht Versuchung .

Der Ursprung des Bösen bleibt ein Geheimnis, aber es 
reicht nicht an die Größe Gottes heran, es ist nur Teil der
Welt, es bleibt umgriffen vom größeren Geheimnis Gottes.
Gott hat Macht auch darüber.

Vielleicht bringt die Bitte: "Führe uns nicht in Versuchung"
etwas davon zum Ausdruck. Wir wissen um unsere 
Verführbarkeit und wir bitten Gott, dass er uns nicht 
abgleiten lässt in das Böse; dass er uns nicht Prüfungen
und Versuchungen auferlegt, die unsere Kräfte überschreiten. 
Er soll uns schützen, damit wir ihm nicht verloren gehen.

6.10.2001
Erlöse uns von dem Bösen

Die siebente und letzte Bitte des Vater Unser Gebetes
lautet: Erlöse uns von dem Bösen. Es ist das eine Bitte
an Gott, von dem wir zuletzt etwas erbitten, das wir selbst
nicht vollbringen können. Wir glauben oft, die Welt könne 
erlöst werden durch unser eigenes Tun - oder durch den 
starken Mann, der aufräumt, auskehrt und vernichtet, was 
böse ist. Der Gedanke der Todesstrafe kommt am diesem 
Empfinden, dass die Welt besser wird, wenn der Übeltäter 
gleich selbst beseitigt und ausgelöscht wird Der Dichter '
Erich Fried hat dieses Verlangen in Worte gefasst und
ausgemalt und weitergeführt in einer Art Litanei. Das 
Gedicht heißt "Die Maßnahmen".

Die Faulen werden geschlachtet / die Welt wird fleißig
Die Hässlichen werden geschlachtet / die Welt wird schön
Die Narren werden geschlachtet / die Welt wird weise
Die Kranken werden geschlachtet / die Welt wird jung
Die Traurigen werden geschlachtet / die Welt wird lustig
Die Alten werden geschlachtet / die Welt wird jung
Die Feinde werden geschlachtet / die Welt wird freundlich
Die Bösen werden geschlachtet / die Welt wird gut

Soweit Brich Fried, der beklemmend genau beschreibt, 
wie wir zuweilen denken und wünschen. Wie der Wunsch
nach der Beseitigung des Bösen sich längst weitergefressen
hat zum Wunsch nach dem Beiseiteschaffen von allem, das
die ldylle stört. Es ist ein Anti-Evangelium. Die Frohe 
Botschaft dieser Welt. So würde Erlösung aussehen, 
wenn es Gott nicht gäbe. Und es ist beklemmend, wie
weit und wie selbstverständlich das Schlachten
fortschreitet, offen und noch mehr im Verborgenen 
bis zum Schlachten der Alten und der Narren.

"Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe"
hat Jesus gesagt. Das wehrlose Lamm ist er selbst 
geworden. Das Lamm besiegt die Wölfe nicht, indem
es selbst zum Wolf wird. Der christliche Märtyrer ist nicht
einer, der in seinen gewaltsamen Tod möglichst viele 
Feinde oder gar Unschuldige mitreißt. Märtyrer nach 
dem Glauben der Kirche ist nur wer in der Gebärde
des wehrlosen Lammes Zeugnis gibt von der Macht
der Liebe, die stärker ist als der Hass.

 

 

 

 

Pfeil zum Seitenanfang

Letztes Update dieser Seite am  05.10.2001 um 17:39