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Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr - 6.08 Uhr, ORF Regionalradios
Montag bis Samstag, 5.40Uhr - 5.43 Uhr, ORF Regionalradios

von Pfr. Wolfgang Olschbaur aus Bregenz

7. Oktober 2001
Trauer hat viele Gesichter

Wenn der Lebenspartner stirbt, ist das eine der schwersten
Krisen für einen Menschen. Wieder zurückfinden zum Leben 
heißt, nicht nur den Verlust bewältigen, sondern auch eine 
neue Rolle, eine neue Identität finden. Oft müssen erst 
Blockaden und Hemmungen beseitigt werden.

Eine 40-jährige Frau hat ihren Mann bei einem Autounfall 
verloren. Sie hat sich vor Schmerz ins Schweigen verkrochen. 
Sie hat auch ihren Mann nicht beweinen können. Aus 
Rücksicht und aus Angst, sich im Gefühlschaos zu verlieren,
ist sie stumm geblieben.

Erst nach langen Gesprächen ist es aus ihr herausgekommen.
Sie hat wütend das erste Mal in ihrem Leben geschrieen und
gerufen, sie habe die Nase voll - und hat plötzlich weinen 
können... Das Bild ihres Mannes ist vor ihr aufgetaucht. Sie 
kann ihm sagen, wie sehr sie ihn liebt. Das hat sie früher nicht
gekonnt.

Heute besucht ihre Tochter das Gymnasium. Sie arbeitet 
halbtags in einer Boutique. Den Rest des Tages verbringt 
sie mit Lernen und einer Ausbildung zur Computertechnikerin.
"Ich habe nie gedacht," meint sie, "dass ich jemals so viel
Energie bekommen würde, um alle diese Dinge nach dem 
Tod meines Mannes ohne Angst zu schaffen. Gott sei Dank,
das Leben ist schön, es ist auf jeden Fall einen Versuch wert!"


8.Oktober 2001

Der Tod eines Kindes ist für Eltern der schwerwiegendste 
Verlust, den man sich vorstellen kann. Es ist so unvorstellbar, 
dass ein kleines Wesen stirbt. Man lebt ja ständig mit 
Gedanken und Vorstellungen von seiner Zukunft. Das Kind 
ist Hoffnungsträger und Ziel aller Liebe.

Die junge Mutter beginnt von ihrem sechsjährigen Sohn zu 
erzählen, wie er mit Fieber ins Krankenhaus eingeliefert 
wird. Und dann der Anruf, sie sollen kommen, so schnell es 
geht. Der Arzt kann nur noch den Tod mitteilen. "Es ist, als 
ob ein Stück von mir gegangen ist", sagt die Mutter, "ich bin
ein halber Mensch geworden."

Später beginnt sie, Briefe zu schreiben: "Ich habe nicht
gewusst, dass du so ernsthaft krank gewesen bist, mein
Kind, ich hätte mehr für dich tun müssen, um dich zu retten."

Nach einer Phase tiefer Verzweiflung hat sie sich versöhnt 
mit dem verstorbenen Kind und mit sich selbst. Im letzten
Brief an den Sohn schreibt sie, dass sie ihn nun loslassen 
werde, damit auch er Ruhe finden kann. Sie will in ihrem 
Herzen die schöne Erinnerung und das Gefühl der Liebe
bewahren. Sie stellt ein Bild auf mit einem blühenden 
Rosenbusch und sagt, dort wo sich die Trauer so hart 
gemacht hat, ist durch die Tränen weiche Erde entstanden.
Aus der ist ein Rosenbusch gewachsen als Symbol für neues
Leben.


9.Oktober 2001

Einem Neunjährigen sind die Eltern gestorben bei einem
Verkehrsunfall. Bei aller Tragik hat er noch einwenig Glück
gehabt. Ein benachbartes Ehepaar hat sich seiner 
angenommen und ihn später adoptiert.

Zuerst ist er gar nicht sonderlich traurig gewesen. Später 
hat er kaum mehr mit jemandem gesprochen, in der Schule
hat er keine Aufgaben gemacht und daheim hat er sich 
eingeschlossen.

Da hat er Gelegenheit bekommen, sich alles von der Seele
zu reden. Zuerst wütend: "Sie haben mich allein gelassen." 
Dann hat er gesagt, wie lieb seine Eltern sind. Er hat 
eingesehen, dass er nun ohne sie weiter leben muss. Aber
das Wichtigste ist, dass er weinen darf. Es hilft, es "macht 
den steinernen Berg von meiner Brust weich wie Pudding",
sagt er und malt eine Zeichnung mit schönen Farben: den 
Berg und den Pudding.

Er hat auch Abschied nehmen dürfen. Er hat den Eltern 
geschrieben: "Jetzt weiß ich, dass ihr nicht mehr da seid
für mich. Ich habe euch sehr geliebt. Ihr werdet mir fehlen.
Jetzt aber muss ich euch loslassen..". Er hat eine Kerze 
angezündet, den Brief in der Flamme verbrannt und die
Asche am nächsten Tag zum Grab der Eltern gebracht. 
Dort hat er noch gesagt: "Jetzt habt ihr endlich Zeit für euch.
Ihr könnt ganz beruhigt sein, meine neuen Eltern sind sehr 
gut zu mir. Ich werde es schaffen, ganz bestimmt."


10.0ktober 2001

Die Frau erwartet ein Kind. Ihr Mann ist nicht erfreut über 
die Nachricht. Er schließt sie nicht liebevoll in die Arme, 
er fürchtet, dass ihm ein Kind im Wege sein wird...

Sie fällt in Schwermut und fühlt sich sehr allein. Ihr Mann 
ist höflich und zuvorkommend. Aber er freut sich nicht auf 
das Kind.

Die Tage vergehen, der Termin der Geburt kommt näher. 
Die zukünftige Mutter bereitet sich auf die Geburt vor, liest 
alles, was es gibt, richtet ein Kinderbett her und schmückt 
es mit den Farben des Regenbogens. Da fällt ihr auf, dass
es in ihrem Körper so furchtbar still ist. Sie versucht, ihre 
Ängste zu verbannen. Aber ihr Baby hat sich nie wieder 
bewegt. Es ist gestorben.

Im Krankenhaus bekommt sie Beruhigungsmittel. Den
andern Müttern werden kleine Menschenbündel in die Hand
gedrückt und sie bereiten sich zum Stillen vor. Sie fällt in
den Brunnen tiefer Traurigkeit. Ihr Mann tröstet sie und sagt,
es hätte noch schlimmer kommen können.

Sie hat ihr Kind noch sehen dürfen und berühren. Sie muss
es nicht verdrängen, ein Kind gehabt zu haben. Sie weiß, 
was sie verloren hat. Und die Trauer kann aus ihrer Seele
fließen. Jetzt geht sie gern zum kleinen Grabhügel und fragt:
"Was soll ich machen?" "Überlass das dem lieben Gott", 
sagt dann das Kind, "der wird sich schon um dich kümmern."


11.Oktober 2001

Kann man trauern, noch bevor das eingetreten ist, wovor 
man Angst hat?

Da ist eine junge Frau, die hat erfahren, dass ihr Mann unheilbar
krank ist. Die Ärzte haben ihr vorsichtig beigebracht, dass sie 
mit dem Schlimmsten rechnen muss. Das Drama verstärkt 
sich, weil sie diese Nachricht vor den andern geheim halten
möchte.

Dann hat sie begonnen, alle ihre Sorgen und Ängste über den
zu erwartenden Tod zusammenzutragen, ihre Gefühle und 
was ihr der Partner bedeutet. Und sie hat gemerkt, wie viel
noch aufzuarbeiten ist in der Beziehung. Allmählich hat sie 
das Unabwendbare zugelassen. Sie hat es nicht mehr 
weggeschoben mit falschen Hoffnungen auf Wunder. Ihr 
ist klar geworden, dass sie ohne ihn wird auskommen müssen.

Ihre vorweggenommene Trauerarbeit hat ihr Leben verändert
und das ihrer ganzen Familie. So haben sie noch eine Zeit
der Liebe und Zärtlichkeit miteinander verbringen können. 
Sie haben zusammen geweint und gelacht und haben sich 
alles gesagt, was ihnen auf dem Herzen gelegen ist.

Der Mann ist daheim gestorben. Und der Schmerz über den
Verlust ist groß gewesen. Aber sie haben einen Vorsprung 
gehabt und sind nicht ins tiefe Loch gefallen. Sein Tod hat 
dazu beigetragen, dass sie das Leben nun ganz anders
sehen. Nach drei Jahren hat sie eine Ausbildung zur 
Dolmetscherin abgeschlossen und die Angst vor einer 
neuen Beziehung ist gewichen. "Ich bin glücklich", sagt sie, 
"ich habe neue Hoffnung".


12.Oktober 2001

"Ich sehe meinen Mann, mit dem ich über zwanzig Jahre 
zusammengelebt habe, jeden Tag bei der Nachbarin 
gegenüber ein- und ausgehen. Ich bin verzweifelt und
würde am liebsten vom Balkon springen", sagt die Frau. 
Sie ist seit kurzem geschieden. Was jetzt folgt, ist ein
langsames Sterben, wenn sie nicht innerlich loslassen kann.

Zuerst muss Wut raus und Zorn. Die vielen Dinge, die
hinuntergeschluckt worden sind aus Angst, den Partner
zu verlieren, diese allmähliche Versteinerung der Gefühle!

Die Frau hat durch das Malen eines Bildes Abschied 
nehmen können von dem Mann, von dem sie geträumt
hat und den es eigentlich nie gegeben hat. Und sie hat 
auch Abschied genommen von dem Mann, den sie 
erlebt hat und den es jetzt auch nicht mehr gibt. Sie hat
Abschied genommen vom "Alleinsein in der Ehe" und 
vom "Alleingelassenwerden" danach.

Es tut ihr nicht mehr weh, wenn sie ihn auf der Strasse 
sieht. In einem halben Jahr zieht sie in eine andere Stadt,
dort hat sie einen Job bekommen. Ihr Zeichentalent 
möchte sie ausbauen. Sie hat sich vorgenommen, in 
einer neuen Beziehung ihre Gefühle nicht zu unterdrücken
und ihre Bedürfnisse einzubringen.

Jetzt lächelt sie und sagt: "Ich habe gelernt, Abschied zu 
nehmen, auch von dem ersehnten Prinzen. Am schwersten
ist, das ungelebte Leben loszulassen. Denn leben kann 
man nur im Hier und Jetzt."


13.0ktober 2001

Der blaue Brief. Sie haben ihm gekündigt. Er hat nicht 
damit gerechnet. Alles ist zusammengebrochen. Er hat
den Glauben verloren an die Welt, an die Menschen, 
an die Gewerkschaft - und auch an Gott.

Seitdem ist er arbeitslos. Er wirkt äußerlich gelassen. 
Aber in seinem Inneren ballt er die Fäuste und möchte am 
liebsten die ganze Welt anklagen. Und Gott beschimpfen. 
Aber er tut es nicht! Er darf es nicht tun!

Er denkt an seine Kindheit. Der Vater gestorben. Für die
traurige Mutter hat er der "Mann im Haus" sein müssen. 
Nicht weinen, nichts zeigen von Schmerzen, keine Wut 
haben und auch keinen Zorn auf Gott!

In einer Therapie hat er alles rausschreien dürfen. Das 
von damals und das von heute. Ein ungeheuerer Kampf 
ist das gewesen, ein Anklagen und dann wieder betteln
wie ein kleines Kind. Ganz erschöpft hat er die Rolle 
getauscht.

Jetzt darf er Gott sein. "Was willst du eigentlich, plötzlich
spielst du groß, sonst hast du dich ins Schneckenhaus
zurückgezogen. Jetzt hast du Kraft, mir Vorwürfe zu 
machen?"

Vor ein paar Jahren hat er mit zwei alten Freunden 
eine kleine Firma aufgemacht. Er will es noch einmal 
versuchen.

Und Gott? Er versteht ihn jetzt besser. Gott hat ihn auf 
seine Fähigkeiten aufmerksam gemacht. Er kann jetzt
für sich selbst Verantwortung übernehmen. Ich glaube,
jetzt liebt er ihn auch wieder...

 

 

 

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Letztes Update dieser Seite am  12.10.2001 um 15:20