"Sonnentempler":
Massenselbstmorde haben erstmals Nachspiel vor Gericht
Die Massenselbstmorde und Massaker der "Sonnentempler"-Sekte
sorgten in den neunziger Jahre für internationales Aufsehen. Jetzt muss
sich erstmals einer der mutmaßlichen "Theoretiker" der Sekte
vor Gericht verantworten. Insgesamt kamen bei den Massakern und Massenselbstmorden in der
Schweiz, Kanada und Frankreich in den neunziger Jahren 74 Menschen ums
Leben. Der Prozess im französischen Grenoble gegen den Dirigenten Michel
Tabachnik, der als einer der "Theoretiker" der Sekte gilt, ist
das erste Gerichtsverfahren, bei dem eine der Bluttaten aufgeklärt werden
soll. Anführer gingen mit in den Tod In den meisten Fällen konnten die Ermittler keine Anklage erheben,
weil die Drahtzieher selbst zu den Opfern gehörten. Auch der Anführer
der Sekte, Joseph Di Mambro, und sein Prediger Luc Jouret begingen 1994 in
der Schweiz Selbstmord. Ein Dirigent als "Theoretiker" der Sonnentempler Der 58-jährige Tabachnik muss sich hingegen "nur" wegen
Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Erzeugung einer
"selbstmörderischen Dynamik" vor Gericht verantworten. Ihm
drohen bis zu zehn Jahre Haft. Der Prozess ist auf zwei Wochen anberaumt.
Dabei geht es um ein Blutbad im Dezember 1995 im Vercors-Bergmassiv nahe
Grenoble, bei dem 16 Menschen – darunter drei Kinder – den Tod fanden. Tabachnik sieht sich als "Sündenbock" Die Anklage sieht in Tabachnik die "Nummer Drei" der
Sonnentempler – nach Mambro und Jouret. Tabachnik selbst sieht sich als
Opfer eines Missverständnisses. Er sei der Sündenbock und von Mambro in
einen Hinterhalt gelockt worden. Er bestreitet aber nicht, über Jahre
hinweg an Versammlungen der Sonnentempler teilgenommen zu haben. Wurzeln des Sonnentempler-Ordens liegen im Mittelalter Ein bisschen Astrologie, ein bisschen Yoga, ein bisschen Alchemie und
jüdische Mystik - der "Orden des Sonnentempels" wird von
Fachleuten zwischen christlicher Esoterik und New Age angesiedelt. Er soll
direkt aus dem "Erneuerten Templerorden" hervorgegangen sein,
der in den achtziger Jahren seine große Zeit in Frankreich erlebte. "Areligiös, apolitisch und egalitär" Der "Erneuerte Templerorden" wiederum bezeichnet sich selbst
als "areligiös, apolitisch und egalitär" und setzt sich dafür
ein, die Praktiken des im Jahr 1119 gegründeten Templerordens auf die
heutige Welt zu übertragen. Orden der Tempelritter wurde 1312 aufgelöst Im Jahr 1312 wurde der damalige Großmeisters des geistlichen
Ritterordens, Jacques de Molay, wegen ketzerischer Geheimlehre und
unsittlicher Bräuche auf den Scheiterhaufen verbrannt. Die wahren
Hintergründe dafür sind aber bis heute Anlass für wilde Spekulationen.
Jedenfalls wurden damals alle Templer verhaftet oder getötet. Ein Homöopath "erneuerte" den Orden Julien Origas rief die Bewegung in Frankreich in diesem Jahrhundert neu
ins Leben. Er starb 1981. Nachfolger wurde der Homöopath Luc Jouret, der
den schweizerisch-kanadischen "Orden des Sonnentempels"
gründete. Er nahm sich 1994 ebenso das Leben wie der zum "Kopf der
Sekte" aufgestiegene Franko-Kanadier Jo Di Mambro. Gehirnwäsche und Geldbeschaffung Im Grunde entsprachen die "Sonnentempler" dem klassischen
Bild einer moderne Sekte, meinen Experten: eine allmächtige Führung, die
keinen Widerspruch duldet, psychologischer Druck bis zu Gehirnwäsche und
Geldbeschaffung nach dem Motto "Leeret eure Bankkonten und folget
mir". Wie viele Mitglieder die Sekte auf ihrem Höhepunkt hatte und
ob sie heute noch besteht, ist unklar. Jouret: Besessen von der Apokalypse Jouret wird als charismatischer Führer beschrieben, der von dem
Glauben an eine bevorstehende Apokalypse gefangen war. "Das
derzeitige Chaos ist kein Zufall", sagte Jouret einmal im Schweizer
Radio. "Nur im Laufe der Apokalypse hat der Mensch die Möglichkeit,
das Bewusstsein zu erlangen, mit der Schöpfung eins zu sein." Vor
diesem Hintergrund sind wohl auch die Massaker und Massenselbstmorde unter
den Sektenmitgliedern zu sehen. Link: |
Letztes Update dieser Seite am 11.07.2006 um 09:51 |