Fünf
Jahre Kirchenvolks-Begehren
Fünf Jahre nach dem Kirchenvolks-Begehren in Österreich will die Plattform "Wir sind Kirche" Zwischenbilanz ziehen und mit einem "Mahl der einladenden Kirche" am 24. Juni 2000 den Dialog weiterführen. Damit hatte wohl kaum jemand gerechnet. Stolze 505.154 Unterschriften für "eine grundlegene Erneuerung der Kirche Jesu" konnten die Initiatoren des Kirchenvolks-Begehrens in Österreich am 25. Juni 1995 zählen. Ein großer Erfolg für die Plattform "Wir sind Kirche". Fünf Jahre später will die Plattform nun Zwischenbilanz ziehen und die Erinnerung an das Kirchenvolks-Begehren mit einem "Mahl der einladenden Kirche" am 24. Juni 2000 um 18 Uhr wachrufen. Vor dem Wiener Stephansdom werden Vertreter jener Gruppen, die vom Kirchenvolks-Begehren unmittelbar angesprochen worden sind, an einen 14 Meter langen Tisch gebeten: Österreichs Bischöfe, Wiederverheiratete-Geschiedene, Sich-berufen-fühlende Frauen, Homosexuelle, Theologen oder konfessionsverschiedene Ehepaare - um nur einige von ihnen zu nennen - werden ihre besondere Situation, ihre Verbundenheit mit der Kirche, aber auch ihre Kränkungen durch Geringschätzung oder Ausgrenzung zum Ausdruck bringen. Mit einer kurzen Vesper und einer anschließenden Agape soll die festliche Stunde beschlossen werden.
Fünf Forderungen für eine offenere Kirche Für eine offene Kirche, die in Österreichs Gesellschaft wieder mehr akzeptiert wird – dafür sollten die Forderungen des Kirchenvolks-Begehrens stehen. Nur wenige Wochen nach Aufkommen der Affäre Groer im März 1995 kündigte die Tiroler Plattform "Wir sind Kirche" für Pfingsten den Start eines österreichweiten Kirchenvolks-Begehrens an. Der katholischen Kirche wieder zu mehr Ansehen und Akzeptanz zu verhelfen - das sollte mit Hilfe des Volksbegehrens erreicht werden. Die Bischofskonferenz, der Vatikan und die Laienorganisationen der Katholischen Kirche – das waren die Adressaten des Kirchenvolks-Begehrens. Die Zeiten des Schweigens und stillen Duldens gläubiger Katholiken über – wie kritisiert wurde – "unverständliche Maßnahmen, Äußerungen und Entscheidungen der Kirchenhierarchie" schienen vorbei zu sein. Fünf Forderungen wurden zwischen dem 3. und 25. Juni 1995 von mehr als einer halben Million Menschen unterschreiben. Gefordert wurde:
Differenzierte Äußerungen von Seiten der Amtskirche Das Kirchenvolks-Begehren löste innerhalb der katholischen Kirche unterschiedliches Echo aus. Konträre Ansichten gab es v.a. auch innerhalb der österreichischen Bischofskonferenz. Des einen Freud, des anderen Leid – nicht von allen Seiten wurde das basiskirchliche Engagement freudig aufgenommen. Während Bischof Weber beispielsweise zwar das Werben für Unterschriften in Kirchen nicht für richtig hielt, wertete er das Begehren von Anfang an als Anstoß für die Kirche. Wie durch einen "Nachhilfeunterricht Gottes" werde die Kirche gezwungen, "nicht sitzenzubleiben", sondern sich aktuellen Fragen zu stellen. Es täte ihm leid und er schäme sich dafür, wenn Frauen in der Kirche "gönnerhaft" von oben herab behandelt würden – das wäre nicht richtig – meinte Weber im Mai 1995. Anders jedoch äußerte sich zum selben Zeitpunkt der Salzburger Weihbischof Andreas Laun. Er wollte zwar "niemandem das Wort verbieten", solange in Ruhe und Sachlichkeit über andere Vorstellungen gesprochen werde. Allerdings wären Fragen bezüglich des Pflichtzölibats und die Frage der Priesterweihe für Frauen für ein Volksbegehren "besonders ungeeignet". Dabei würde es sich - so Laun - um rein theologische Fragen handeln, die nicht durch das "Plebiszität", sondern nur durch die Theologie zu klären wären. Demgegenüber präsentierte sich der burgenländische Bischof Paul Iby im Jänner 96 durchaus offen: Er könne sich neben dem zölibatären Priester auch verheiratete Priester vorstellen. Überdies vertrat er die Ansicht, dass die Stufe "Diakonat der Frau" – ein möglicher Weg zur Frauen-Priesterweihe - weiterhin geprüft und ermöglicht werden müßte. Vorwürfe kamen vom St. Pöltner Bischof Kurt Krenn. Die Initiatoren sollten "nicht etwas von der Kirche begehren", sondern fragen, "was sie für die Kirche tun können" – so die Kritik des Diözesanbischofs. Jeder einzelne in solch einer Bewegung möge sich zu Gott bekehren – empfahl Krenn den Betreibern und Unterzeichnern des Begehrens. Kritik kam im Jänner 1998 auch aus Rom. Nachdem man lange Zeit offiziell keine Notiz vom Kirchenvolksbegehren nahm, hatte der Präfekt der römischen Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, in Briefen an den damaligen Vorsitzenden der österreichischen Bischofskonferenz, Johann Weber, schwere Anschuldigungen gegen das Kirchenvolksbegehren erhoben. Diese Gruppen würden zur Spaltung zwischen dem Volk Gottes und der kirchlichen Leitung beitragen und ein unannehmbares demokratisches Kirchenmodell propagieren. Zwei Monate später vernahm man andere Worte. Ratzinger erkannte in einem weiteren Schreiben an Bischof Weber die Plattform "Wir sind Kirche" als Dialogpartner an. Es sei ein Gebot der Stunde, den Dialog mutig und zielstrebig weiterzuführen. Alles, was dem Heil der Menschen und der Ausbreitung des Reiches Gottes dienen will, sei der Kirche willkommen, schrieb Ratzinger dem steirischen Diözesanbischof.
Vom Kirchenvolksbegehren zum Dialog für Österreich Als konkrete Folge des Kirchenvolks-Begehrens kann der "Dialog für Österreich" gewertet werden. Höhepunkt des "Dialogs" war die "Delegiertenversammlung" in Salzburg im Oktober 1998. Die Erwartungen der Unterzeichner und Initiatoren an die Bischöfe waren groß. Die Hirten sollten - nach Wunsch der Plattform "Wir sind Kirche" - die basiskirchlichen Reform-Anliegen "verbindlich behandeln" und als Sprachrohr des Kirchenvolkes in Rom für die Erneuerung der Kirche im Sinne des Begehrens eintreten. Die "Wallfahrt der Vielfalt" unter dem Motto "Streiten und Beten" im September 1996 in Mariazell war die - wenn auch nicht adäquate - Antwort der Bischofskonferenz auf das Volksbegehren. Als konkrete Folge der basiskirchlichen Initiative kann der vom damaligen Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz, dem Grazer Diözesanbischof Johann Weber als "nächster Schritt zur Erneuerung der Kirche" angekündigte "Dialog für Österreich" gewertet werden. Der 1996 gestartete "Dialog für Österreich" fand seinen Höhepunkt im Oktober 1998 bei der Delegiertenversammlung in Salzburg. Knapp 300 Teilnehmer - angefangen von Mitgliedern des Opus Dei bis hin zu den Initiatoren des Kirchenvolks-Begehrens - stimmten über "Meinungsbilder" ab und veröffentlichten eine "Botschaft für Österreich".
Das Kirchenvolks-Begehren in Österreich löste eine Flut von ähnlichen Aktionen in verschiedensten Ländern aus. 1996 gelang eine Vernetzung von kirchlichen Basisbewegungen. Auch außerhalb Österreichs hat das Kirchenvolks-Begehren großes Echo hervorgerufen. Laut Initiatoren kamen aus 31 Staaten aller fünf Kontinente Unterschriften. Nach österreichischem Vorbild kam es in verschiedensten Ländern zu ähnlichen Unterschriftenaktionen. Im Rahmen einer internationalen Begegnung in Rom im November 1996 trafen einander Delegierte aus Österreich, Brasilien, Frankreich, Deutschland, Italien, Südtirol, Portugal, Spanien, den Niederlanden, Großbritannien und den USA und gründeten "The International Movement We Are Church". Am 12. Oktober 1997, 35 Jahre nach der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils durch Papst Johannes XXIII., hat die Bewegung in Rom Papst Johannes Paul II. zum Dialog mit reformorientierten Katholiken aufgerufen. Die entsprechende Petition wurde im Vatikan einem Mitarbeiter von Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano übergeben. Die Plattform "Wir sind Kirche" ist via Internet derzeit mit 20 Ländern vernetzt.
Der Bewußtseinsbildungsprozess, der seit Beginn des Kirchenvolks-Begehrens in Gang gekommen ist, will geduldig weitergeführt werden. Der Schein trügt – davon ist der jetzige Sprecher der Plattform "Wir sind Kirche", Hubert Feichtlbauer überzeugt. Auch wenn es schiene, als wäre konkret wenig herausgekommen, so habe es seit Beginn des Kirchenvolks-Begehrens mehr Bewusstseinsbildung als jemals zuvor in der Kirchengeschichte gegeben. Zumindest die beiden Forderungen nach "mehr Gewissen statt konkreter Gebote und Verbote aus Rom" und nach Dezentralisierung seien bisher in allen Kontinentalsynoden thematisiert worden. Hinter diese Entwicklungen, die in Gang gekommen sind, wird ein künftiger Papst wohl nicht mehr zurück können - zeigt sich Feichtlbauer optimistisch. Dass sich Österreichs Bischöfe wieder völlig aus dem Dialog für Österreich zurückgezogen haben, weil man derzeit nicht auf die gesamte Bischofskonferenz zählen könne, bedauert der Sprecher. Die Anliegen wachhalten, die Geduld nicht verlieren – dafür plädiert Hubert Feichtlbauer. Erster Schritt dazu soll das "Mahl der einladenden Kirche" am 24. Juni am Stephansplatz in Wien sein. Weiters wird für die Herbstkonferenz der Bischöfe eine "Erinnerungsschrift" vorbereitet, die gleichzeitig auch für die Plattform selbst ein "Corporate Identity" sein will. Für das nächste Jahr ist zum Thema Zölibat ein weiterer "Herdenbrief" geplant. Die drei bisher erschienenen "Herdenbriefe" der Plattform widmeten sich den Themen: Liebe-Eros-Sexualität, Geschwisterlichkeit und Frauen in der Kirche. Link:
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Letztes Update dieser Seite am 11.07.2006 um 10:35 |