Olga Sedakova: Die Macht des Glücks Olga Sedakova: Russland in Bregenz Olga Sedakova: Eine Europäerin

Olga Sedakova: 
"Die Macht des Glücks"

Die Moskauer Dichterin Olga Sedakova, eine der interessantesten Gegenwartsautorinnen Russlands, hielt zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele einen programmatischen Vortrag mit dem Titel "Die Macht des Glücks". Sedakova ist bekennende orthodoxe Christin und hat unter vielen anderen einen sehr prominenten Leser: Papst Johannes Paul II.

Die Festrede zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele hielt ein Gast aus Russland: Olga Sedakova, 1948 in Moskau geboren, ist eine angesehene Lyrikerin, Essayistin und Wissenschafterin. Das Thema ihrer Rede, "Die Macht des Glücks", bezog sich auf das Verhältnis von Macht und Kunst anhand der Person Alexandr Puschkins und anhand seines Märchens vom Goldenen Hahn. Dieses Märchen in Versen ist die Grundlage für die Oper von Rimskij-Korsakov, die heuer im Festspielhaus gezeigt wird.

Eine Europäerin

Olga Sedakova weiß aus eigener Erfahrung, was eine Macht ist, die sich gegen die Kunst stellt. In der Sowjetzeit, die sie als "70 Jahre der Isolation" charakterisiert, wurden ihre Gedichte nicht gedruckt. Nur im Samisdat gingen sie als Privatkopien von Hand zu Hand. Zum Teil ohne ihr Wissen erschienen allerdings damals schon einzelne Lyrikbände im Westen. Sedakova, die schon in frühen Jahren begann, Gedichte zu schreiben, hat trotz der sowjetischen Anti-Kultur-Politik versucht, ihr Werk im Dialog mit der gesamten europäischen Kultur zu entwickeln. Sie lernte Deutsch, um Rainer Maria Rilke im Original lesen zu können, und Italienisch, um Dante zu verstehen. Beide übersetzte sie ins Russische, dazu Paul Celan, Paul Claudel, T. S. Eliot, Dylan Thomas und andere.

Eine Poetin auf Reisen

Um Gedichte zu schreiben, zieht sich Olga Sedakova aus der Stadt zurück in die Stille eines Dorfes. In Azarowka, etwa zwei Stunden südlich von Moskau, hat ihre vor zwei Jahren verstorbene Tante ein Holzhaus besessen. Dort ist der größte Teil des lyrischen Werkes entstanden. Sucht Sedakova einerseits die Stille, so ist sie andererseits immer wieder auf Reisen. Seit sich 1991 die Grenzen geöffnet haben, ist sie zu Gastprofessuren, Vorträgen und Lesungen in den USA, England, Schweden, Italien, Deutschland und Südafrika unterwegs. Zuletzt war sie auch in Österreich zu Lesungen und Vorträgen eingeladen.

Orthodoxe Christin

Der Vater Olga Sedakovas war Militärberater und lebte mit seiner Frau häufig im Ausland. Sie hat daher in ihrer Kindheit, gemeinsam mit ihrer Schwester, viel Zeit bei der Großmutter verbracht. Ihr verdankt sie nach eigener Aussage einen unkomplizierten Zugang zum christlichen Glauben. Sie habe die heilenden Kräfte der Kirche erlebt und könne sich ein Leben ohne Kirche nicht vorstellen, sagt sie. Nach alter orthodoxer Tradition hat sie sich auch einen "Geistlichen Vater" gewählt: einen Priester, mit dem sie wöchentlich ein seelsorgliches Gespräch führt. Allerdings gehört Olga Sedakova zu jenem Teil der orthodoxen Kirche, der eine Annäherung von russisch-orthodoxer und katholischer Kirche bzw. protestantischen Kirchen befürwortet. Byzanz und Rom, also der orthodoxe Osten und der lateinische Westen, bedeuten für sie zwei gleichrangige historische Wege des europäischen Christentums. Sie kritisiert Verengungen, wie sie sie gegenwärtig in Teilen der orthodoxen Kirche wahrnimmt.

Begegnungen mit dem Papst

Als Olga Sedakova im Sommer 1996 über Vermittlung russischer Gelehrter dem Papst vorgestellt und zum Mittagessen geladen wurde, überreichte sie ihm einen Band ihrer Gedichte. Sie selbst hielt das nach eigener Schilderung für eine Formsache und rechnete nicht damit, dass Johannes Paul II. das Buch auch nur aufschlagen würde. Zu ihrer Überraschung erfuhr sie später von ihm selbst, dass er die Gedichte im russischen Original sehr wohl gelesen habe und sehr schätze. Die Dichterin erklärt sich dieses Interesse vor allem damit, dass der Papst, der auch selbst Gedichte geschrieben hat, der Poesie eine hohe Bedeutung zumesse. Sie bedeute für ihn einen wichtigen Indikator für den Zustand der Gesellschaft. Insgesamt vier Mal ist Olga Sedakova bisher mit Papst Johannes Paul II. zusammengetroffen. 1998 wurde ihr in Rom der nach dem russischen Religionsphilosophen Vladimir Solovjev benannte Literaturpreis verliehen.

Moskauer Freundeskreis

Auch ein Freund Olga Sedakovas, der Mosaikkünstler Aleksandr Kornouchov, hat bereits Vatikan-Erfahrung. Er wurde vor zwei Jahren eingeladen, einen Teil einer Kapelle des Apostolischen Palastes mit einem Steinmosaik zu gestalten. Neben zahlreichen weiteren Künstlern und Intellektuellen zählt der Komponist Aleksandr Wuchin zu Sedakovas Freundeskreis. Wuchtin hat zuletzt ein Gedicht Sedakovas vertont. Das Werk für Chor und Orchester mit dem Titel "Lob der Erde" soll demnächst uraufgeführt werden.

Russland in Bregenz

Mit der Aufführung der Oper "Der goldene Hahn" von Nikolaj Rimskij-Korsakov verbreitet das Festspielhaus heuer russisches Flair. Das Libretto geht auf ein Märchen Alexandr Puschkins zurück. Es handelt von dem grausamen Zaren Dadon, dem ein Astrologe einen goldenen Hahn schenkt, den der sich auf das Dach setzt. Der Hahn soll den Zaren vor Feinden warnen. Inszeniert hat diese Parabel über Macht, Angst und Liebe der britische Regisseur David Pountney. Die Oper wird zum Teil auf Deutsch, zum Teil in russischer Sprache gesungen. Die Wiener Symphoniker spielen unter der Leitung von Vladimir Fedoseyev. Olga Sedakova ist als Kennerin Puschkins und der russischen wie der gesamten europäischen Geistesgeschichte prädestiniert dafür, das Verhältnis von Macht und Kunst am Beispiel der Oper wie an der Person Puschkins selbst zu erläutern.

Sedakova auf Deutsch

Olga Sedakova ist in Russland vor allem als Lyrikerin bekannt. Sie ist aber auch eine begnadete Erzählerin. Zwei ihrer Prosatexte liegen in einer Ausgabe in deutscher Übersetzung vor. ("Reise nach Brjansk", übersetzt von Valeria Jäger und Erich Klein, folio-Verlag) Die erste Geschichte des Buches schildert eine Reise der Autorin zu einer Dichterlesung nach Brjansk während der Sowjetzeit. In der zweiten ("Die Reise nach Tartu und zurück) erzählt sie von der Reise einer Gruppe junger Wissenschafter zum Begräbnis ihres verehrten Lehrers Jurij Lotman. Dabei nimmt sie die Zustände im "neuen", postsowjetischen Russland aufs Korn. In beiden Erzählungen zeigt sich Sedakova als Meisterin der Satire und der Ironie. Eine Gedichtauswahl in deutscher Übersetzung soll im Frühjahr im Amman-Verlag erscheinen.

Sedakova im TV:

Die nächste Ausgabe der Religionsmagazins "Orientierung" bringt ein Porträt Olga Sedakovas: Sonntag, 23. Juli, 12:30 Uhr, Wiederholung am Montag, 24. Juli, 12:05 Uhr.

Link:
Sedakova bei den 55. Bregenzer Festspielen

 

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Letztes Update dieser Seite am  11.07.2006 um 10:36