Sozialpolitik: 
Von der Wohlfahrt zur Fürsorge?

"Sozialpolitik darf nicht auf Budgetpolitik reduziert werden." Darin sind sich Caritas und Diakonie einig. Derzeit vermissen beide Organisationen klare Ziel in der Sozialpolitik. Für RELIGION ON formulieren sie in je fünf Punkten ihre Forderungen an eine künftige Sozialpolitik.

"Es muss gespart werden!" Die österreichische Bundesregierung scheint um jeden Groschen zu kämpfen. Das formulierte Ziel: Ein Milliarden-Defizit muss in den Griff gebracht werden. Noch stehen Expertengutachten aus. Doch Caritas und Diakonie befürchten bereits jetzt, dass ein "Sparpaket neu" auch die sozial Schwachen nicht verschonen wird.

Sparen fördert soziale Not

Hilfsorganisationen wie die Caritas und die Diakonie wissen, wovon sie sprechen: Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass bisher jedes "Sparpaket" zu einem "Run" auf die Beratungsstellen und Einrichtungen der Caritas geführt hat. Kürzungen der staatlichen Sozialleistungen wurden oft von den kirchlichen Hilfswerken aufgefangen.

Doch Michael Chalupka, Direktor der Diakonie warnt. Für ihn ist es nicht Aufgabe von Caritas, Diakonie und anderen Hilfswerken, Aufgaben des Staates zu übernehmen Er befürchtet, dass sich auch in Österreich nach und nach das "angelsächsische Modell" etablieren könnte: "Poor services for poor people" - armselige Leistungen für arme Menschen."

Vom Wohlfahrtsstaat zum Fürsorgestaat?

Für Chalupka steht die Gefahr im Raum, dass sich Österreich langsam vom Wohlfahrtsstaat zum Fürsorgestaat entwickeln könnte. Das Ziel der neuen Bundesregierung sollte daher nicht sparen um jeden Preis, sondern eine ausgewogene Sozialpolitik sein.

Im Gespräch mit Religion On führt Michael Chalupka fünf Punkte an, die von Seiten der Diakonie für eine ausgewogenen Sozialpolitik maßgeblich sind:

  1. Ein bedarfsorientiertes, existenzsicherndes Grundgehalt
  2. Eine einheitliche Regelung der Sozialhilfen und eine Mindestabsicherung von Arbeitslosen, die sich an der Ausgleichszulagenregelung orientiert.
  3. Eine Angleichung des Pflegegeldes.
  4. Eine Änderung der Asylpolitik. Nach derzeitiger Praxis wird ein immer geringerer Teil der Asylwerber in Bundesbetreuung aufgenommen. Das heißt, dass die Menschen mittellos auf der Straße stehen und auf die Hilfe von karitativen Organisationen angewiesen sind.
  5. Der Ausbau von Angeboten von Übergangswohnungen für Menschen mit Behinderungen oder betreute Wohnformen für alte Menschen. Die Nachfrage danach ist enorm groß. Es darf nicht dahin führen, dass sich nur ein kaufkräftiges Publikum diese Angebote leisten kann.

Existenzsicherung vor Statussicherung

Für Caritas-Präsident Franz Küberl darf die Regierung kein Sparverein sein. "Sie ist dazu da, um öffentliche Aufgaben zum Wohl der Bevölkerung zielorientiert und effizient zu gestalten. Sparsamkeit mit öffentlichen Mitteln sollte eine Selbstverständlichkeit sein." Für Küberl steht Existenzsicherung vor Statussicherung, egal, wie das jeweilige Finanzierungssystem aussieht. "Österreich braucht ein sozialpolitisches Leitbild, das über den tagespolitischen Schnellschuss-Vorschlägen steht. Ziel dieses Leitbildes sollte sein, das Sozialsystem armutsfest zu machen – nach anerkannten Kriterien der Armutsforschung." Fünf Forderungen richtet daher die Caritas an die Bundesregierung:

  1. Harmonisierung der Sozialhilfegesetze der Länder oder Schaffung einer bundeseinheitlichen Regelung.
  2. Einführung eines Mindestarbeitslosengeldes und einer Mindestnotstandshilfe.
  3. Korrektur der Familienbeihilfe für in Österreich lebende ausländische Kinder.
  4. Bessere Betreuung von Personen mit schweren Vermittlungshindernissen.
  5. Das Karenzgeld ist nicht existenzsichernd und gehört daher deutlich angehoben.

Sozialpolitik: "Inhaltlichen Ziele fehlen!"

Für die Experten der Caritas wird die Sozialpolitik leider all zu oft auf Budgetpolitik reduziert. "In der Debatte fehlen die inhaltlichen Ziele." Für Küberl werden derzeit nur Sofortmaßnahmen diskutiert, die kurzfristig auch Geld bringen. "Ich vermisse eine langfristige Planung, um das Sozialsystem angesichts zunehmender Lücken durch gesellschaftliche Veränderungen – von der Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse bis zur Vielfalt an Lebensformen – substanziell zu reformieren."

Für die Direktoren von Caritas und Diakonie sind ihre Beratungsstellen und Einrichtungen Seismographen der Sozialpolitik. Sie spüren – so die Einschätzung – Lücken im Sozialsystem auf, die sich durch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und die geänderten familiären Situationen auftun. Nicht zuletzt, weil sie sehr unmittelbar mit den Problemen der Menschen konfrontiert werden

Links:
Caritas
Diakonie

Pfeil zum Seitenanfang Seitenanfang  Pfeil zum Seitenanfang weitere News

 

Letztes Update dieser Seite am  11.07.2006 um 10:38