USA: Sexskandal erschüttert katholische Kirche in den Grundfesten
Die Sexskandale der vergangenen Wochen haben die römisch- katholische
Kirche schwer getroffen – auch finanziell. Die Gläubigen sind
verunsichert, die Spendenfreudigkeit lässt nach und die drohenden Schadensersatzzahlungen
könnten sogar den Verkauf von Kirchen notwendig machen.
Die Kirchenzeitung "The Pilot" in Boston erscheint
normalerweise in einer Auflage von 5.000 Exemplaren. Doch mussten in diesen
Tagen über 100.000 Exemplare gedruckt werden, um den Bedarf zu decken. Der
Grund für das gewaltige Interesse war ein Kommentar, der an den Grundfesten
der katholischen Kirche rüttelt: Er stellte den Zölibat in Frage und
brachte die priesterliche Verpflichtung zur Ehelosigkeit sogar mit den
ausufernden Sexskandalen in den USA in Verbindung.
Mehrjährige Haftstrafe
Seit die Zeitung "Boston Globe" Anfang Jänner die ersten
Anschuldigungen gegen den Priester John Geoghan erhob, scheint sich der
Skandal mit jedem Tag neu auszuweiten. Inzwischen wurde Geoghan, dem
sexuelle Belästigung von 130 Buben vorgeworfen wurde, zu einer
mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Mindestens 55 Priester in Skandale verstrickt
Seit Jänner mussten mindestens 55 Priester in 17 Diözesen ihre Kanzel
räumen. Auch ein Bischof musste gehen, und Bostons Kardinal Bernard Law
kämpft ebenfalls ums Überleben. Ihm und vielen anderen Kirchenoberen wird
vorgeworfen, von den sexuellen Belästigungen und Missbrauchs- handlungen
gewusst, aber nicht entschlossen genug gegen die Täter vorgegangen zu sein.
Horrende Entschädigungszahlungen
Inzwischen bringen die Entschädigungs- zahlungen die katholische Kirche
in massive finanzielle Bedrängnis. Die Diözese Boston willigte bereits
ein, an 90 Kläger, die nach eigenen Angaben von Priester Geoghan
missbraucht wurden, bis 30 Millionen Dollar Dollar (33,9 Mill. Euro) zu
zahlen. Experten schätzen, dass sich die endgültigen Zahlungen auf über
100 Millionen Dollar (113,0 Mill. Euro) belaufen könnten.
Müssen Kirchen verkauft werden?
Um die Millionenbeträge zu zahlen, wird in Boston bereits der Verkauf
von mehreren Kirchen erwogen. Erschwerend für die katholische Kirche kommt
hinzu, dass viele ihrer großzügigen Spender angesichts der Skandale nun
nicht mehr bereit sind, den Geldbeutel zu öffnen.
Vertrauensverlust
Härter aber noch trifft die katholische Kirche in den USA der
Vertrauensverlust. Zum einen büßt sie die moralische Autorität ein, sich
zu politischen oder sozialen Konflikten zu äußern. Zum anderen lassen die
Skandale immer gläubige Katholiken an ihrer Kirche zweifeln und bringen sie
auch noch in einen Gewissenskonflikt: Sollen sie ihre Kinder weiter in die
Kirche schicken?
Gläubige und Seelsorger verunsichert
So meinte etwa Peggy Morales in der "New York Times", sie
überlege, ob sie ihre Kinder weiter in die Sonntagsschule schicken solle.
"Ich habe immer gesagt, dass der Kirchenbesuch meine Kinder auf den
richtigen Weg bringt. Nun bin ich nur froh, dass mein Sohn nie Ministrant
war." Aber nicht nur die Gläubigen, sondern auch ihre Seelsorger sind
verunsichert. Priester Bartholomew Leon aus New Hampshire wird in der
"Washington Post" mit den Worten zitiert: "Ich liebe Kinder,
sie kommen immer und umarmen mich, aber jetzt achte ich darauf, dass ich nie
mit einem Kind allein im Zimmer bin."
Nachwuchssorgen
Viele Priester fürchten auch, dass die Skandale dazu beitragen werden,
dass sich immer weniger junge Menschen weihen lassen. Bereits jetzt kämpft
die katholische Kirche gegen einen dramatischen Nachwuchsschwund. Hatte es
in den sechziger Jahren noch knapp 59.000 Priester gegeben, sind es jetzt
nur noch 45.000.
Führt Skandal zur Öffnung der Kirche?
Reformer innerhalb der Kirche hoffen nun, dass der Skandal zu einer
Öffnung der Kirche führen und das Priesteramt damit wieder attraktiver
werden könnte. Mit besonderem Interesse verfolgten sie, dass der
"Pilot" in seinem Kommentar auch die alte Streitfrage ansprach, ob
das Priesteramt für immer nur Männern vorbehalten bleiben soll.