News 20.  03. 2002

USA: Sexskandal erschüttert katholische Kirche in den Grundfesten

Die Sexskandale der vergangenen Wochen haben die römisch- katholische Kirche schwer getroffen – auch finanziell. Die Gläubigen sind verunsichert, die Spendenfreudigkeit lässt nach und die drohenden Schadensersatzzahlungen könnten sogar den Verkauf von Kirchen notwendig machen.

Die Kirchenzeitung "The Pilot" in Boston erscheint normalerweise in einer Auflage von 5.000 Exemplaren. Doch mussten in diesen Tagen über 100.000 Exemplare gedruckt werden, um den Bedarf zu decken. Der Grund für das gewaltige Interesse war ein Kommentar, der an den Grundfesten der katholischen Kirche rüttelt: Er stellte den Zölibat in Frage und brachte die priesterliche Verpflichtung zur Ehelosigkeit sogar mit den ausufernden Sexskandalen in den USA in Verbindung.

Mehrjährige Haftstrafe

Seit die Zeitung "Boston Globe" Anfang Jänner die ersten Anschuldigungen gegen den Priester John Geoghan erhob, scheint sich der Skandal mit jedem Tag neu auszuweiten. Inzwischen wurde Geoghan, dem sexuelle Belästigung von 130 Buben vorgeworfen wurde, zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.

Mindestens 55 Priester in Skandale verstrickt

Seit Jänner mussten mindestens 55 Priester in 17 Diözesen ihre Kanzel räumen. Auch ein Bischof musste gehen, und Bostons Kardinal Bernard Law kämpft ebenfalls ums Überleben. Ihm und vielen anderen Kirchenoberen wird vorgeworfen, von den sexuellen Belästigungen und Missbrauchs- handlungen gewusst, aber nicht entschlossen genug gegen die Täter vorgegangen zu sein.

Horrende Entschädigungszahlungen

Inzwischen bringen die Entschädigungs- zahlungen die katholische Kirche in massive finanzielle Bedrängnis. Die Diözese Boston willigte bereits ein, an 90 Kläger, die nach eigenen Angaben von Priester Geoghan missbraucht wurden, bis 30 Millionen Dollar Dollar (33,9 Mill. Euro) zu zahlen. Experten schätzen, dass sich die endgültigen Zahlungen auf über 100 Millionen Dollar (113,0 Mill. Euro) belaufen könnten.

Müssen Kirchen verkauft werden?

Um die Millionenbeträge zu zahlen, wird in Boston bereits der Verkauf von mehreren Kirchen erwogen. Erschwerend für die katholische Kirche kommt hinzu, dass viele ihrer großzügigen Spender angesichts der Skandale nun nicht mehr bereit sind, den Geldbeutel zu öffnen.

Vertrauensverlust

Härter aber noch trifft die katholische Kirche in den USA der Vertrauensverlust. Zum einen büßt sie die moralische Autorität ein, sich zu politischen oder sozialen Konflikten zu äußern. Zum anderen lassen die Skandale immer gläubige Katholiken an ihrer Kirche zweifeln und bringen sie auch noch in einen Gewissenskonflikt: Sollen sie ihre Kinder weiter in die Kirche schicken?

Gläubige und Seelsorger verunsichert

So meinte etwa Peggy Morales in der "New York Times", sie überlege, ob sie ihre Kinder weiter in die Sonntagsschule schicken solle. "Ich habe immer gesagt, dass der Kirchenbesuch meine Kinder auf den richtigen Weg bringt. Nun bin ich nur froh, dass mein Sohn nie Ministrant war." Aber nicht nur die Gläubigen, sondern auch ihre Seelsorger sind verunsichert. Priester Bartholomew Leon aus New Hampshire wird in der "Washington Post" mit den Worten zitiert: "Ich liebe Kinder, sie kommen immer und umarmen mich, aber jetzt achte ich darauf, dass ich nie mit einem Kind allein im Zimmer bin."

Nachwuchssorgen

Viele Priester fürchten auch, dass die Skandale dazu beitragen werden, dass sich immer weniger junge Menschen weihen lassen. Bereits jetzt kämpft die katholische Kirche gegen einen dramatischen Nachwuchsschwund. Hatte es in den sechziger Jahren noch knapp 59.000 Priester gegeben, sind es jetzt nur noch 45.000.

Führt Skandal zur Öffnung der Kirche?

Reformer innerhalb der Kirche hoffen nun, dass der Skandal zu einer Öffnung der Kirche führen und das Priesteramt damit wieder attraktiver werden könnte. Mit besonderem Interesse verfolgten sie, dass der "Pilot" in seinem Kommentar auch die alte Streitfrage ansprach, ob das Priesteramt für immer nur Männern vorbehalten bleiben soll.

 

 

 
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