Ein
"Anwalt der Armen"
– der Befreiungstheologe
Boff wird 65
Kurz vor seinem 65.
Geburtstag an diesem Sonntag (14. Dezember) ist Leonardo Boff so kämpferisch
und kritisch wie eh und je. Der Brasilianer gilt als wichtigster Vertreter
der in den 60er Jahren in Lateinamerika geborenen
"Befreiungstheologie". Ein Bericht von Emilio Rappold/dpa.
Noch heute
arbeitet Boff "mindestens 15 Stunden pro Tag", schreibt
Zeitungsartikel und Bücher (inzwischen rund 70), hält Reden, ist
Gastprofessor in Heidelberg, Basel und Harvard, leitet so genannte
"Basisgemeinden" in Armenvierteln und betreut Hunderte Straßenkinder.
Unterstützt wird er von Partnerin Marcia (60), die er 1993 heiratete und
die sechs heute erwachsene Kinder mit in die Ehe brachte.
Nobelpreisträger
Am 14.
Dezember 1938 in Concordia im südbrasilianischen Bundesstaat Santa Catarina
als Sohn eines aus Südtirol eingewanderten Ehepaars geboren, kam Boff schon
als Zehnjähriger in ein Franziskaner-Seminar. "Mein Vater war mein
spiritueller Lehrmeister, er hat Alphabetisierungskurse und Kooperativen
organisiert und immer wieder zur Solidarität angeregt", erzählt Boff,
der unter anderem 2001 mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde.
Die Befreiungstheologie
lebt
Der vom
Vatikan des Amtes enthobene frühere Franziskanerpater bestreitet vehement
die vorherrschende Meinung, die Befreiungstheologie sei seit langem sowohl
in Brasilien als auch in ganz Lateinamerika auf dem Rückzug. "Ganz im
Gegenteil, sie lebt im Volk und auch in den Kirchen und ist extrem aktiv.
Sie hat zwar an Polemik verloren und deshalb auch weniger Raum in den
Medien. Aber allein in der neuen Regierung von Brasiliens Präsident Luiz
Inacio Lula da Silva kommen fünf Minister aus verschiedenen Bereichen der
Befreiungstheologie." Die Befreiungstheologie sei auch in Afrika und
Asien zum Aufschrei von Millionen Ausgeschlossenen des Systems geworden, die
"nicht einmal mehr in den Genuss der Ausbeutung durch den
Kapitalismus" kämen. In "zentralen Ländern der Welt"
animiere sie solidarische Bewegungen. "In Brasilien lebt die
Befreiungstheologie in sozialen Bewegungen wie den Landlosen, den
Obdachlosen, den Indios und so vielen anderen." Sie stehe in engem
Kontakt zu Feminismus und zur Ökologie.
"Dekadente
Kirche"
Der
Theologe, Sozialist und Poet mit dem grau melierten Vollbart und der ebenso
sanften wie überzeugenden Stimme kündigt im Gespräch mit dpa den
Durchbruch "neuer, bereits existierender Theologien" an. Die
"institutionelle Gewalt" des Vatikans habe dagegen keine Zukunft.
Die "dekadente" Kirche habe den Armen nichts mehr zu sagen. Der
Katholizismus verliere deshalb in Brasilien immer mehr Gläubige.
Bush ein "arroganten Lügner"
Boff
prangert auch den "arroganten Lügner" George W. Bush an. Der
amerikanische Präsident betreibe eine imperialistische Politik, und dies
sei Besorgnis erregend. Boff wendet sich zudem gegen die seiner Meinung nach
"perverse, nur von Wirtschaftsinteressen gelenkte" Globalisierung.
Unumwunden kritisiert er auch die "spirituelle Verwahrlosung" älterer
Menschen in Deutschland. "Sie haben eine gute Infrastruktur, Wohnung,
Essen, Medizin, werden aber von Familie und Gesellschaft verlassen".
Vatikan:
"Fehlform" der Kirche
Boffs
ebenso mutige wie polemische Haltung hatte in den 80er Jahren eine heftige
Auseinandersetzung mit dem Vatikan ausgelöst. Während der Klerus in
Lateinamerika noch Diktaturen unterstützte und viele Befreiungstheologen
Seite an Seite mit Kommunisten gegen das Elend kämpften und Jesus in die
geistige Nähe zu Karl Marx rückten, bezeichnete der Vatikan die
Befreiungstheologie als "Fehlform", als "Politisierung der
Kirche". Boff wurde unter anderem 1984 mit einem einjährigen Bußschweigen
belegt. 1992 legte der Brasilianer dann alle kirchlichen Ämter nieder,
"um endlich der Zensur zu entgehen".
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