"Religion und Erotik nicht länger trennen"
Priester und Psychotherapeut Mettnitzer bei "Brixner Symposium": Erst
niedergehender Hellenismus brachte asketische Tendenzen ins Christentum.
Aktionskünstler Nitsch: "Ich liebe die katholische Tradition, die leider
durch die Schuld der Kirche museal geworden ist."
Religion und Liturgie brauchen mehr Erotik und
Sinnlichkeit: Das hat der Wiener Priester und Psychotherapeut Arnold
Mettnitzer beim "Internationalen Brixner Symposium 2010" unterstrichen, das
am Sonntag zu Ende ging. "Erotisch" wäre laut Mettnitzer "eine Religion, die
erzählen kann, die zu berühren vermag, die Feste zu feiern versteht, deren
eigene Ausdrucksformen sinnlich, also mit allen Sinnen wahrzunehmen sind,
die anrührt und besänftigt, die zu streicheln vermag und Tränen abwischt und
etwas widerspiegelt vom Lachen der 'Kinder Gottes'". In diesem Sinn könnte
auch die Messe wieder zum Ausdruck für Dasein und "Ganzwegsein" werden;
Liturgie, Sakrament und Ekstase könnten somit kombiniert werden.
Leibfeindlichkeit
Wie der aus Kärnten stammende katholische Therapeut in
seinem Referat ausführte, brachte erst der "heruntergekommene und
niedergehende Hellenismus" asketische Tendenzen in das Christentum ein. Der
hebräischen Bibel als "wesentlichste Wurzel" des Christentums sei
Leibfeindlichkeit fremd gewesen. In der Person des Jesus aus Nazareth
besitzt das Christentum einen "Anwalt der zärtlichen Zuwendung", so
Mettnitzer. Jesus sei eine "Inkarnation der Erotik Gottes" und damit
letztlich der "Archetyp des Liebhabers", auch wenn die hellenistische
Auslegungstradition dies lange unterschlagen habe.
Spaltung von „Eros“ und „Agape“
Eros und Agape seien in der Kirche
"auseinanderdividiert" worden, bedauerte Mettnitzer. Dabei bedeute der Eros
keineswegs nur sinnliche Liebe mit sexueller Energie, noch stehe die im
Neuen Testament propagierte Agape nur für die dienende, sich aufopfernde
Liebe. Die Aufspaltung des Begriffs "Liebe" in Eros und Agape, Libido und
Caritas führte laut Mettnitzer zu einer "unerträglichen Reduktion der
Bedeutungsvielfalt". Streng getrennt seien in der Folge auch oben und unten,
sakral und profan, heilig-religiös und sündig-weltlich worden. "Eine so
fixierte Sichtweise ist ebenso gefährlich wie der Versuch, Religion und
Erotik strikt voneinander zu trennen", betonte der als Psychotherapeut
tätige Priester: "In Wahrheit bilden sie keinen grundsätzlichen Unterschied,
sondern sind das natürliche Spannungsgefüge des Lebendigen, das anders als
in seiner ganzen Fülle nicht bestehen kann."
"Byzantinische" Liturgie als Vorbild
An fehlender Sinnlichkeit liegt es auch nach der
Überzeugung des Geraser Abtes Michael Prohazka, dass sich die katholische
Liturgie gegenwärtig "in einer handfesten Krise" befinde. Die Unterschiede,
auf "römische" oder "byzantinische" Weise Gottesdienst zu feiern, könnten
größer nicht sein, bedauerte der Prämonstratenserabt. Die "immens starke
Faszination" der byzantinischen Feierkultur auf alle spirituell Suchenden
liege am Elementen wie Kerzenlichtern, die den Kirchenraum in eine mystische
Atmosphäre tauchen, an Weihrauch, prachtvollen Gewändern, goldglänzenden
Ikonen und an Hymnen und Gesängen, die das Herz berühren. Dies mache die
fünf Sinne zu weit geöffneten Toren, durch die Christus als "Himmelskönig"
in Herz und Gemüt einziehen könne. Alle Gläubigen machten die "hautnahe
Erfahrung, in der Heiligen Liturgie, soeben vom Himmel berührt worden zu
sein", so Prohazka.
Nitsch: Messe als „orgiastische Seinsfindung“
Der wegen allzu expliziter Fleischlichkeit in
kirchlichen Kreisen umstrittene Aktionskünstler Hermann Nitsch umschrieb
beim Brixener Symposion die Messe als "orgiastische Seinsfindung". Man habe
ihm immer wieder unterstellt, sich an Blasphemien "berauschen" und das
Christentum anprangern zu wollen. "In Wahrheit war das Christentum für mich
die letzte noch lebendige Religion, die mich schon als Kind zutiefst
berührte und mir damit den Einstieg in den Bereich des Mythischen
ermöglichte", erinnerte sich Nitsch. Das Christentum verfüge über eine
Symbolsprache, die weit über seine "dogmatische Enge" hinausgehe. Die
Kultgeräte des christlichen Rituals - Kelch, Monstranz, Wein- und
Wasserkännchen, Hostie, zusammengelegte weiße Tücher, Gold- und
Silberschalen und vor allem Ritualgewänder - hätten eine starke Wirkung auf
ihn ausgeübt, bekannte der international renommierte Weinviertler Künstler.
Katholische Tradition leider „museal“ geworden
Die vermeintliche Berührung mit dem Heiligen, mit der
Transzendenz stille die "Sehnsucht, sich in einem möglichen Ganzen geborgen
zu fühlen". Die Eucharistie erkenne er heute als "eines der tiefsinnigsten
Mysterien, die Religionen je hervorgebracht haben", so Nitsch wörtlich:
"Mein Herz gehört der sinnlichen Wahrhaftigkeit, Üppigkeit des
Katholizismus, und ich liebe die katholische Tradition, die leider durch die
Schuld der Kirche museal geworden ist." |