News 11. 10. 2010

"Religion und Erotik nicht länger trennen"

Priester und Psychotherapeut Mettnitzer bei "Brixner Symposium": Erst niedergehender Hellenismus brachte asketische Tendenzen ins Christentum. Aktionskünstler Nitsch: "Ich liebe die katholische Tradition, die leider durch die Schuld der Kirche museal geworden ist."

Religion und Liturgie brauchen mehr Erotik und Sinnlichkeit: Das hat der Wiener Priester und Psychotherapeut Arnold Mettnitzer beim "Internationalen Brixner Symposium 2010" unterstrichen, das am Sonntag zu Ende ging. "Erotisch" wäre laut Mettnitzer "eine Religion, die erzählen kann, die zu berühren vermag, die Feste zu feiern versteht, deren eigene Ausdrucksformen sinnlich, also mit allen Sinnen wahrzunehmen sind, die anrührt und besänftigt, die zu streicheln vermag und Tränen abwischt und etwas widerspiegelt vom Lachen der 'Kinder Gottes'". In diesem Sinn könnte auch die Messe wieder zum Ausdruck für Dasein und "Ganzwegsein" werden; Liturgie, Sakrament und Ekstase könnten somit kombiniert werden.

Leibfeindlichkeit

Wie der aus Kärnten stammende katholische Therapeut in seinem Referat ausführte, brachte erst der "heruntergekommene und niedergehende Hellenismus" asketische Tendenzen in das Christentum ein. Der hebräischen Bibel als "wesentlichste Wurzel" des Christentums sei Leibfeindlichkeit fremd gewesen. In der Person des Jesus aus Nazareth besitzt das Christentum einen "Anwalt der zärtlichen Zuwendung", so Mettnitzer. Jesus sei eine "Inkarnation der Erotik Gottes" und damit letztlich der "Archetyp des Liebhabers", auch wenn die hellenistische Auslegungstradition dies lange unterschlagen habe.

Spaltung von „Eros“ und „Agape“

Eros und Agape seien in der Kirche "auseinanderdividiert" worden, bedauerte Mettnitzer. Dabei bedeute der Eros keineswegs nur sinnliche Liebe mit sexueller Energie, noch stehe die im Neuen Testament propagierte Agape nur für die dienende, sich aufopfernde Liebe. Die Aufspaltung des Begriffs "Liebe" in Eros und Agape, Libido und Caritas führte laut Mettnitzer zu einer "unerträglichen Reduktion der Bedeutungsvielfalt". Streng getrennt seien in der Folge auch oben und unten, sakral und profan, heilig-religiös und sündig-weltlich worden. "Eine so fixierte Sichtweise ist ebenso gefährlich wie der Versuch, Religion und Erotik strikt voneinander zu trennen", betonte der als Psychotherapeut tätige Priester: "In Wahrheit bilden sie keinen grundsätzlichen Unterschied, sondern sind das natürliche Spannungsgefüge des Lebendigen, das anders als in seiner ganzen Fülle nicht bestehen kann."

"Byzantinische" Liturgie als Vorbild

An fehlender Sinnlichkeit liegt es auch nach der Überzeugung des Geraser Abtes Michael Prohazka, dass sich die katholische Liturgie gegenwärtig "in einer handfesten Krise" befinde. Die Unterschiede, auf "römische" oder "byzantinische" Weise Gottesdienst zu feiern, könnten größer nicht sein, bedauerte der Prämonstratenserabt. Die "immens starke Faszination" der byzantinischen Feierkultur auf alle spirituell Suchenden liege am Elementen wie Kerzenlichtern, die den Kirchenraum in eine mystische Atmosphäre tauchen, an Weihrauch, prachtvollen Gewändern, goldglänzenden Ikonen und an Hymnen und Gesängen, die das Herz berühren. Dies mache die fünf Sinne zu weit geöffneten Toren, durch die Christus als "Himmelskönig" in Herz und Gemüt einziehen könne. Alle Gläubigen machten die "hautnahe Erfahrung, in der Heiligen Liturgie, soeben vom Himmel berührt worden zu sein", so Prohazka.

Nitsch: Messe als „orgiastische Seinsfindung“

Der wegen allzu expliziter Fleischlichkeit in kirchlichen Kreisen umstrittene Aktionskünstler Hermann Nitsch umschrieb beim Brixener Symposion die Messe als "orgiastische Seinsfindung". Man habe ihm immer wieder unterstellt, sich an Blasphemien "berauschen" und das Christentum anprangern zu wollen. "In Wahrheit war das Christentum für mich die letzte noch lebendige Religion, die mich schon als Kind zutiefst berührte und mir damit den Einstieg in den Bereich des Mythischen ermöglichte", erinnerte sich Nitsch. Das Christentum verfüge über eine Symbolsprache, die weit über seine "dogmatische Enge" hinausgehe. Die Kultgeräte des christlichen Rituals - Kelch, Monstranz, Wein- und Wasserkännchen, Hostie, zusammengelegte weiße Tücher, Gold- und Silberschalen und vor allem Ritualgewänder - hätten eine starke Wirkung auf ihn ausgeübt, bekannte der international renommierte Weinviertler Künstler.

Katholische Tradition leider „museal“ geworden

Die vermeintliche Berührung mit dem Heiligen, mit der Transzendenz stille die "Sehnsucht, sich in einem möglichen Ganzen geborgen zu fühlen". Die Eucharistie erkenne er heute als "eines der tiefsinnigsten Mysterien, die Religionen je hervorgebracht haben", so Nitsch wörtlich: "Mein Herz gehört der sinnlichen Wahrhaftigkeit, Üppigkeit des Katholizismus, und ich liebe die katholische Tradition, die leider durch die Schuld der Kirche museal geworden ist."

 

 
zum Seitenanfang Seitenanfang