CHRISTENTUM - KIRCHEN |
Die "Ostkirchen"
Die Orthodoxie: Landkarte einer komplizierten KirchenlandschaftSammelbegriffe wie "Orthodoxie" oder "Ostkirchen" vermitteln den irreführenden Eindruck von Einheitlichkeit. In Wahrheit ist die Lage ziemlich kompliziert – doch alles in allem lebet die Orthodoxie vor, was die viel beschworene "Einheit in der Vielfalt" in der Praxis bedeuten könnte.Im Westen ist sogar oft einer orthodoxen Kirche – im Singular! – die Rede. Das ist einerseits nicht ganz richtig, aber auch nicht falsch. Denn was den Inhalt des Glaubens betrifft betrachten sich die orthodoxen Christen als eine Kirche, die sich aber in mehreren "autokephalen" (selbständigen) Landeskirchen verwirklicht. "Primus inter pares"Unter ihrem traditionellen Ehrenoberhaupt, dem Patriarchen von Konstantinopel, bilden sie aber wiederum eine Einheit – ohne dass der Patriarch auch nur annähernd die Vollmachten des römischen Papstes hätte. Er leitet die Orthodoxie als "primus inter pares" – als "Erster unter gleichen". Spaltung 1054Im ersten Jahrtausend erfüllte er Papst in Rom diese Funktion – als "primus inter pares" innerhalb der sogenannten "Pentarchie" bestehend aus den fünf Patriarchen von Rom, Konstantinopel, Antiochien, Alexandrien und Jerusalem. Nach der formellen Trennung im Jahre 1054 übernahm sozusagen die bisherige Nummer 2 die Führungsrolle. Plünderung KonstantinopelsDie Trennung in Ost- und Westkirche war eigentlich schon in der Reichsteilung in Ost- und Westrom grundgelegt. Vertieft wurde sie noch durch die ständige Rivalität zwischen Rom und Konstantinopel um die Vorrangstellung. An einzelnen historischen Ereignissen kann der Bruch zwischen Ost und West eigentlich nicht festgemacht werden. Plünderung KonstantinopelsDurch die politische Entwicklung dazu gedrängt haben sich Ost- und Westkirche eher "auseinandergelebt". Das heute immer genannte Jahr 1054, als sich Papst und Patriarch gegenseitig exkommunizierten, bedeutete eine formal-rechtliche Trennung. Zeitgenossen haben das nicht unbedingt als große Zäsur wahrgenommen. Die kam im Bewusstsein der orthodoxen Christen erst durch den vierten Kreuzzug (1202 – 1204) – als fränkische Kreuzfahrer Konstantinopel plünderten und verwüsteten. 16 "kanonische" KirchenUnter dem Ehrenvorsitz des Patriarchen von Konstantinopel sind 16 Kirchen in voller kirchlicher und sakramentaler Gemeinschaft miteinander verbunden: die Patriarchate von Alexandrien, Antiochien und Jerusalem sowie die Orthodoxen Kirchen in Russland, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Georgien, Zypern, Polen, Albanien, Tschechien und Slowakei, Finnland und Estland. Streben nach AutokephalieNeben diesen kanonischen Kirchen gibt es aber auch sogenannte "unkanonische" Kirchen – etwa Exilkirchen, die während der kommunistischen Herrschaft die Beziehungen zu ihren Mutterkirchen abgebrochen haben. Aber auch andere politischen Entwicklungen führen zu ähnlichen Entwicklungen. So streben auch die Kirchen in Montenegro und Mazedonien nach dem Zerfall Jugoslawien nach der "Autokephalie", also nach der kirchlichen Selbständigkeit. Kein geografischer BegriffDer Begriff "Ostkirchen" ist nicht unbedingt als geografischer Begriff zu verstehen. Sie sind wohl alle im "Osten" – das heißt: östlich von Rom – entstanden. Tatsächlich sind fast alle orthodoxen Kirchen mittlerweile zu "Weltkirchen" geworden – mit Gemeinden und Diözesen in allen Erdteilen. Ostkirchen wurden WeltkirchenIm Westen Europa erfuhren die schon seit Jahrhunderten vorhandenen Gemeinden vor allem durch die sogenannten "Gastarbeiter" einen regelrechten Wachstumsschub. Nach Nordamerika kam die Orthodoxie erstmals, als Alaska russische Kolonie wurde. Dank russischer Missionierungsversuche gibt es sogar eine japanisch-orthodoxe Kirche.
Zwei "östliche Familien": Die orthodoxen und die "altorientalischen" KirchenVon vielen Experten werden auch die sogenannten "altorientalischen" Kirchen zur Orthodoxie gezählt. Dem würden aber weder alle orthodoxen noch alle altorientalischen Christen zustimmen – denn diese Spaltung geht bereits auf das Jahr 451 zurück – auf das Konzil von Chalzedon.Die armenische Kirche, die Kopten in Ägypten und Äthiopien, Teile der syrischen Kirche und teilweise auch die Christen in Indien gehören zu dieser Gruppe von Kirchen, für die es eine ganze Reihe von Bezeichnungen gibt: altorientalisch, orientalisch orthodox oder auch prä-chalzedonsisch. Am bekanntesten ist aber wohl abwertende Bezeichnung "monophysitisch". "Zwei-Naturen-Lehre"Die Spaltung geht auf das Konzil von Chalzedon im Jahr 451 zurück. Damals wurde die sogenannte "Zwei-Naturen-Lehre" definiert. Demnach ist Jesus Christus "wahrer Gott" und "wahrer Mensch" zugleich – eine Lehre, die aber nicht von allen Christen in dieser Form akzeptiert wurde. Schimpfwort "Monophysiten"Sie wollten die Einheit von göttlichem und menschlichem Wesen betonen – ohne eine der beiden leugnen. Das trug ihnen die Bezeichnung "Monophysiten" ein – als würde sie nur eine (mono) Natur anerkennen – und die andere verleugnen. Politische BeweggründeWie immer hatte auch dieses "Schisma" auch politische Hintergründe. Die Armenier etwa konnten am Konzil gar nicht erst teilnehmen, da sie wieder einmal eine Invasion abzuwehren hatten. Unter den neuen Machthabern im Lande – den Sassaniden – war dann die religiöse Unterscheidung gegenüber den alten Machthabern – Byzanz – politisch durchaus opportun. Äußerlich wenige UnterschiedeIn ihrer äußeren Erscheinungsform sind orthodoxe und "altorientalische" Kirchen für den westlichen Besucher nur schwer zu unterscheiden. Eine Besonderheit weist die armenische Kirche auf: Sie kennt als einzige Kirche des Ostens die Orgelmusik.
Die Unierten: Stolperstein oder Brücke ?Neben den orthodoxen und altorientalen gibt es noch eine dritte Gruppe innerhalb der Ostkirchen: die Unierten. Sie sind in Lehre und Erscheinungsform zwar eindeutig orthodox – sie erkennen aber den Papst als Oberhaupt an.Die Wiedererlangung der Einheit aller christlichen Kirchen ist nicht erst ein Anliegen des 20. Jahrhunderts – schon in früheren Zeiten gab es Bestrebungen in diese Richtung. Doch während man heute im ökumenischen Dialog Gemeinsamkeiten sucht, wurden früher ganz andere Mittel angewendet. "Gesamtunion" zwischen Ost und West zwei Mal gescheitertIm späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit war eines dieser Mittel die "Union". Nachdem der Versuch einer "Gesamtunion" zwischen Ost- und Westkirche zwei Mal gescheitert war (bei den Konzilen von Lyon 1254 und Florenz 1439), versuchte Rom mit einzelnen orthodoxen Landeskirchen Unionen zu schließen. Das Ergebnis war in der Praxis eine weitere Spaltung: Neben den orthodoxen Kirchen entstanden neue, mit Rom unierte Kirchen. Union und LatinisierungDen "unionswilligen" Gläubigen wurde dabei immer versichert, sie könnten in Lehre, Liturgie und Erscheinungsform orthodox bleiben. Sie müssten nur den Papst als Oberhaupt anerkennen. In Wahrheit wurden die "Unierten" einer massiven "Latinisierung" unterworfen. Heute werden die Unionen nicht mehr als brauchbarer Weg zur Erlangung der Einheit betrachtet. Union von Brest-Litowsk sorgt bis heute für ProblemeEine der bis heute folgenschwerste Union war jene von Brest-Litowsk von 1595 aus der die "ukrainisch-katholische" Kirche entstand. Unter Stalin wurde sie zwangsweise der orthodoxen Kirche. Seit dem Zerfall der Sowjetunion ist sie wieder selbständig. Seither tobt ein wilder Streit um das Kircheneigentum – der auch immer wieder international zum Störfaktor im ökumenischen Dialog wird. Unüberschaubare VielfaltWeitere katholische Ostkirchen sind beispielsweise die Melkiten im Nahen Osten, die chaldäische Kirche in Syrien oder die syro-malabarische Kirche in Indien. Für sie ist in Rom eine eigene Kongregation zuständig. Und für sie gibt es auch ein eigenes Kirchenrecht. Kein Pflicht-ZölibatDas hat druchaus unerwartete Konsequenzen. So gibt es beispeilsweise in der griechisch-katholischen Kirchen keine Zölibatsverpflichtung: Griechisch-katholische Priester dürfen – wie ihre orthodoxen Amtsbrüder – heiraten.
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