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20. Aug 99von Marcus Marschalek aktualisiert

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16. Oktober 78. Es wird dunkel um die Vatikanstadt, als das
Kardinalskollegium endlich seinen neuen Oberhirten kürt. Mit knapper Mehrheit und zum
ersten Mal seit viereinhalb Jahrhunderten nicht wieder einen Italiener, sondern einen
Polen: Karol Wojtyla aus Krakau.
Niemand ahnt in diesem Augenblick, daß er die Festungen des Kommunismus so erschüttern
wird, wie Josua die Mauern Jerichos, und niemand ahnt, mit welchem Eifer er fortan
bekämpft, was er die "Kultur des Todes" nennt: den Willen vieler Menschen,
über das Entstehen und Vergehen unseres Lebens selber zu bestimmen. Dieser Papst aus
Polen ist in Glaubensfragen kompromißlos. Das weckt Zweifel, auch bei Gläubigen. Am
Anfang aber wollen selbst die Zweifler an ihn glauben. Weißer Rauch steigt auf.
Franz König
Das ist eine Provokation für die kommunistische Welt. Und ich habe damals mit großem
Interesse beobachtet, was sagen die Russen, also, was sagt der kommunistische Vatikan
dazu.
Dort, im Kreml: Krisensitzung. Der Erzfeind aus Amerika soll die Wahl des neuen Papstes
beeinflußt haben. In einem geheimen Dokument des Politbüros wird Gefahr aus dem Vatikan
befürchtet: Wojtyla werde zur ideologischen Offensive antreten.
Victor Sheymov
KGB-Überläufer
Es war die totale Katastrophe. Polen wurde damals von der Führung der Sowjetunion und
auch vom KGB als das am wenigsten zuverlässige Land im kommunistischen Bereich
eingeschätzt. Und die Wahl ausgerechnet eines Polen zum Papst hat die Situation aus ihrer
Sicht natürlich nicht gerade verbessert.
7 Monate nach seiner Wahl: Besuch in der Heimat. Moskau wollte die Reise verhindern. Doch
bei den polnischen Kommunisten siegt Nationalstolz über Linientreue. Der erste
Petrus-Nachfolger hinter dem eisernen Vorhang. Einer, der sich seiner Macht bewußt ist.
Eine Macht, die ganz Polen erschüttert. Millionen wollen ihren Landsmann sehen, schöpfen
neue Hoffnung. Der Papst enttäuscht sie nicht. Trotz der Berufung nach Rom bleibt er ein
Pole. Bis heute ist er im Krakauer Wahlregister eingetragen.
In Tschenstochau, dem Herzen des katholischen Polen, kommt er zur Sache - abweichend vom
Manuskript: "Auch in meinem Vaterland muß Frieden herrschen und sollen die
Menschenrechte geachtet werden, wie das allen Nationen in Europa zusteht." Eine
Kampfansage an den Kommunismus. Mit wenigen Worten verabschiedet der Papst die defensive
Ostpolitik der Vorgänger.
General Vernon Walters
US-Sonderbeauftragter im Vatikan
Das gab es noch nie in der ganzen Geschichte des Kommunismus, daß sich Millionen
Menschen versammelten, die nicht der Partei angehörten. Und eine Million kann man nicht
mehr unter Kontrolle halten, nicht mal mit Maschinengewehren. Wir wußten von diesem
Moment an, daß Polen nicht länger kommunistisch war.
Der Nachfolger des Petrus, er bringt frischen Wind in die Heiligen Hallen - mit
Nebenwirkungen: Bei den Andenkenhändlern der Heiligen Stadt steigt der Umsatz. Und der
Vatikan verdient mit. Darf man den Heiligen Vater zu Markte tragen.?
Benny Lai
Vatikan-Experte
Der Papst ist ja heute ein Produkt, er wird verkauft wie Coca-Cola. Ich will damit
natürlich nicht sagen, daß er wie Cola ist. Aber er wird so vermarktet.
Ein offizielles Video von Vatikan-TV. Auch so wirbt der Heilige Stuhl für den obersten
Hirten der Kirche. Ein Papst zum Anfassen. Wojtyla Superstar.
Um seine Botschaft zu verkünden, reist der Papst bis an die Enden der Erde. Ein Apostel
Paulus der Moderne, der "eilige Vater", sagen manche. Bei denen, die ihn hören
wollen, löst er Jubelstürme aus. Die Botschaft ist modern verpackt und predigt doch die
Tradition, das weckt Widerspruch.
Hans Küng
Dieser Papst kam aus einem totalitären Land, das sowohl unter den Nazis, wie auch
unter den Kommunisten keine Demokratie gekannt hat. Dieser Papst hat bis heute kein
Verständnis für Demokratie. Er gebraucht das Wort immer mit sehr vielen Untertönen, es
ist für ihn die falsche Freiheit. Und er hat immer nur Leute geduldet, die Ja sagen.
Freiheit ist für den Papst nicht gleich Demokratie. Freiheit ohne Werte, ohne Gott, sei
Willkür, verkündet er. Johannes Paul sucht das Gespräch - auch mit den anderen. Schon
im ersten Papstjahr fährt er zum Patriarchen von Konstantinopel, dem Oberhaupt der
orthodoxen Christen. Ein erster Bruderkuß nach 1000 Jahren Spaltung.
Rom, 13. Mai 81. Am Morgen verläßt ein Mann das Hotel Isa in einer Seitenstraße
der Stadt. Er hat sich unter falschem Namen einquartiert. Sein richtiger Name ist Ali
Agca. Nach monatelanger Irrfahrt durch Bulgarien, Deutschland und die Schweiz will er
seinen alten Plan ausführen: Mord am Papst. Der Killer ist zu allem entschlossen.
Ali Agca
Ich habe nur noch an Tod gedacht. Ich dachte, hinterher werden sie mich lynchen oder
ich begehe Selbstmord.
Tausende strömen an diesem Tag zur Generalaudienz des Papstes auf dem Petersplatz.
Sicherheitsmaßnahmen gibt es kaum. Der Papst, der das Bad in der Menge sucht, ist nicht
zu schützen. Geheimdienste haben vorher gewarnt, doch nur vage.
Rosario Priore
Untersuchungsrichter
Es hat in der Tat mehrere Warnungen gegeben, aber es ist leider eine Tatsache, daß
sie nicht ernst genommen wurden.
Agca kommt im Gedränge nicht in die erste Reihe. Es ist 17.17 Uhr als er abdrückt -
sieben Meter vom Papst entfernt. Zwei Kugel treffen. Unfaßbares ist geschehen: Anschlag
auf das Oberhaupt der Christenheit. Während die Ärzte um das Leben des Papstes kämpfen,
harren Tausende auf dem Petersplatz aus, bangen, beten für den Mann in den Schuhen des
Fischers. Auch zwei Frauen werden schwer verwundet, beide überleben.
Das Weltbild des Papstes, es scheidet die Geister. Der uralte Kampf zwischen Gott und
Teufel - Kampf gegen Sünde wider die Schöpfung: Wie die Tötung ungeborenen Lebens.
"Kultur des Todes" nennt das der Papst. Seine Botschaft: nur die Umkehr zum
Glauben kann die Macht des Bösen in der Welt aufhalten.
Mehr als zwanzig Mal treffen in den folgenden acht Jahren Abgesandte des CIA im Vatikan
ein, geheim und offiziell. Zusammenarbeit zwischen einer weltlichen und einer geistlichen
Supermacht, die beide ein gemeinsames Ziel haben, den Sturz des Kommunismus. Ein Ziel,
für das die eine Macht viel zahlt.
General Vernon Walters
Acht Jahre lang haben die USA 350 Milliarden Dollar für die Rüstung ausgegeben, so
viel wie damals der gesamte Bundeshaushalt. Und Reagan wollte sichergehen, daß der Papst
das nicht kritisiert. Deshalb zeigten wir, was die Bedrohung war.
Die Bedrohung, das war die sowjetische Militärmaschinerie, an Panzern und Raketen
überlegen.
Carl Bernstein
Papst-Biograph
Man sollte annehmen, daß der Papst seine Bischöfe in den USA und in Westeuropa
unterstützt hätte, die gegen die Nachrüstung protestierten. Aber der Papst tat das eben
nicht.
Johannes Paul II. in Amerika. Der Präsident umwirbt den Papst als Alliierten für den
Kampf gegen das "Reich des Bösen", wie Reagan die Sowjetunion bezeichnet. Zwei
Männer, die ein gemeinsames Schicksal verbindet.
Advent in Warschau. 13. Dezember 81: Kriegsrecht. Über Nacht hat das Militär die
Macht im ganzen Land übernommen. Kriegserklärung an das eigene Volk. Auf den Straßen
Gewalt und Tote.
Genertal Wojviech Jaruzelski
Ex-Staatspräsident Polen
Ich bereue heute manches, was ich damals befohlen habe, ich schäme mich für viele
meiner Worte. Aber so habe ich eben damals die Wirklichkeit gesehen.
Die Wiklichkeit in Polen: Angst geht um, daß Moskau den Freiheitsdrang der Menschen mit
Panzern niederwalzen wird. Die freie Gewerkschaft Soldarnosc wird verboten, ihre Führung
verhaftet.
Der Papst zeigt Solidarität mit Solidarnosc. Außer Worten gehen Bargeld, Funkgeräte,
Druckerpressen aus Amerika nach Polen. Doch der Papst will selbst in seine Heimat reisen.
Erst im Somer 83 darf er kommen. Noch immer herrscht Kriegsrecht. Wieder kommen
Millionen, um ihn zu sehen, die meisten zu Fuß. Das Regime stellt weder Busse noch Züge
bereit.
Der Hunger nach Freiheit treibt die Menschen an. Sie hoffen, daß der Papst auch diesmal
ihre Sehnsucht stillen wird. Doch er ruft nicht zum Kampf auf. Zuviele Opfer sind schon zu
beklagen. Er setzt auf Mäßigung und Dialog.
Bogdan Borusewicz
Solidarnosc-Gründer
Ich war sehr überrascht, daß der Papst die Gemüter der Menschen zu beruhigen
versuchte. Aber ich habe versucht, das zu verstehen. Nach seiner Meinung drohte Polen
damals eine Katastrophe, und er wollte diese Katastrophe verhindern.
Der Diktator und der Papst. Gegenspieler, die sich einig sind, das Schlimmste zu
verhindern.
Auch für die verbotene Gewerkschaft setzt der Schutzpatron am Ende seiner Reise ein
Signal. Die Messe in Nova Huta bei Krakau wird zur Demonstration für Solidarnosc. Hier
hatte er schon als junger Bischof gegen den Kommunismus gekämpft.
"Gebt nicht auf, steht zusammen, Solidarität", ruft der Papst die Menschen auf.
Lech Walesa fehlt bei dieser Sympathiekundgebung, darf sie nur im Fernsehen miterleben.
Der Arbeiterführer steht noch immer unter Hausarrest. Johannes Paul hält demonstrativ zu
ihm. Als im "Osservatore Romano", der Vatikanzeitung, zu lesen ist, daß Walesas
Rolle beendet sei, läßt der Papst den Autor feuern. Der Rauswurf, ein politische Signal.
Dieser Papst verlangt Disziplin - nicht nur politisch. Das gilt vor allem für sein
Personal - auch aufmüpfige Theologen.
Hans Küng
Die römische Kurie ist nach wie vor das Organ eines absolutistschen Fürsten. Wenn
man es jetzt einmal verfassungsrechtlich ansieht, ist der Papst mindestens so mächtig wie
Ludwig der XIV. einmal war, und er kann, wenn er will, eigentlich in der Kurie alles
durchsetzen.
Im Kirchenvolk dagegen regt sich Widerspruch. Bischofsernennungen des Papstes stoßen auf
Ablehnung und Widerstand. In Wien muß die Staatsmacht dem neuen Weihbischof Krenn, einem
Konservativen, den Weg in die Kirche bahnen. Johannes Paul zeigt sich unbeeindruckt von
Protesten. Er will Männer, die denken wie er. Der Bischof wird vom Papst ernannt und
nicht vom Volk gewählt.
Die Theologie der Befreiung in Lateinamerika. Dreizehnmal hat der Papst den Kontinent
besucht, sich für die Menschenwürde eingesetzt. Einer Reihe von Befreiungstheologen aber
wirft er vor, den falschen Weg zu gehen. Streng ruft er die Vordenker zur Ordnung.
Leonardo Boff
Befreiungstheologe
Mich hat der Papst zum Schweigen verurteilt, er hat mir verboten, weiter Theologie zu
lehren, zu reisen und mich aktiv an der Kirche zu beteiligen und das alles mit der
Begründung, unsere Theologie der Befreiung würde den Inhalt des Evangeliums gefährden.
Weil Befreiungstheologen sich auch auf Marx und Lenin stützen, sind sie ein Problem.
Johannes Paul II. hat das Opus Dei aufgewertet und gestärkt. Den Gründer sprach er
selig, im Schnellverfahren. Wenn Bischofsstühle neu zu besetzen sind, dann haben
Kandidaten aus dem Opus gute Chancen.
Leonardo Boff
In Lateinamerika, vor allem in Peru und Mexiko, ist das Opus Dei stark eingesetzt
worden, um die Befreiungstheologie zurückzudrängen und zu entmutigen.
Karol Wojtyla will die Erfahrungen aus seiner Zeit in Polen auf die ganze Kirche
übertragen.
Michail Gorbatschow beim Papst. Sein Gastgeschenk: die Aussicht auf Religionsfreiheit für
Katholiken im Sowjetreich. Später wird er sagen, ohne diesen Papst sei die Wende in
Osteuropa nicht denkbar gewesen. Doch Gorbatschow will langsame Reformen, keine Revolution
- und sucht den Rückhalt des Heiligen Vaters.
Am Ende aber wird er selber überrollt. Wieder ist Polen der Vorreiter. Die große Stunde
des Lech Walesa und der wiederzugelassenen Solidarnosc. Der erste Runde Tisch in Osteuropa
steht in Warschau. Mit dabei: Vertreter der Kirche, Zeugen des Papstes.
Kirchenvolksbegehren. Millionen Katholiken unterschreiben für mehr Mitbestimmung, innere
Freiheit. Auch Frauen in der Kirche? Viele können nicht verstehen, warum Maria auch vom
Papst so sehr verehrt wird, Frauen aber keine Priester werden dürfen. Rom erkärt das mit
der Bibel.
Stanislaw Grygel
Berater des Papstes
Für uns ist es nunmal eine wichtige Tatsache, daß ein Mann ans Kreuz geschlagen war
und unter dem Kreuz eine Frau stand und nicht umgekehrt. Das Kreuz ist das Zentrum und
dicht an diesem Zentrum, fast am Zentrum ist Maria. Aber sie ist eben nicht das Zentrum.
Das Frauenbild des Papstes wurzelt in der Tradition, außerhalb und innerhalb der Kirche.
Kritiker sehen andere Interessen.
Hans Küng
Im Grunde geht es um die Macht. Man will den Frauen nicht die Macht geben, den
Einfluß geben, der ihnen zukommt. Und läßt lieber die Gemeinden verhungern, indem man
ihnen keine verheirateten Pfarrer gibt oder dann eben auch ganz konsequent keine Frauen,
die diese Stellen einnehmen können.
18 Jahre im höchsten Amt der Christenheit, sie haben Spuren hinterlassen. Gerüchte gehen
um, von Krebs und Parkinson. Kann ein Papst zurücktreten? Nach Kirchenrecht ja, der
einzige Fall aber liegt 500 Jahre zurück. Manche fürchten, Karol Wojtyla habe keine
Kraft mehr für sein hohes Amt. Ein Pressesprecher versucht, die Zweifel zu entkräften.
Joaquin Navarro-Valls
Sprecher des Papstes
Der Papst steht noch immer jeden Morgen um halb sechs auf. Er arbeitet dann 16, 17
Stunden jeden Tag und gönnt sich nur 20 Minuten Pause nach dem Mittagessen, mehr nicht.
Und noch immer Reisen. Im Frühjahr 97 wird ein alter Traum des Papstes wahr. In
zerstörten Sarajevo betet er für Frieden und Versöhnung. Und noch einmal reist er nach
Hause, die siebte Polenreise. Es klingt wie ein Abschied, als er seinen Landsleuten nach
der Predigt zuruft: "Meine Zeit ist um".
Johannes Paul II. Ein Papst, der unter der Freiheit mehr versteht, als viele Menschen
seiner Zeit. Er half mit, sie für Millionen zu erringen, und doch ist der Ruf nach einer
anderen Freiheit auch in seiner Kirche immer lauter geworden.
Es wird einsam um den Papst aus Polen.
Informationen zur Sendung lesen Sie hier!
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