Papst Paul VI. und die Pille


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20. Aug 99von Marcus Marschalek aktualisiert

Auf die Menschen zuzugehen fällt dem Denker schwer. Vom ersten Tage an lastet die Nachfolge Petri auf dem scheuen Intellektuellen. Ein Freund nennt ihn den einsamsten aller Päpste.
Papst Paul VI.

Giulio Andreotti
Er kam ja gleich nach Johannes XXIII., der so sehr extrovertiert war. Während einer Audienz wurde Paul VI. gebeten, ein Kind auf den Arm zu nehmen. Es sah aus, als würde er eine Tonne Blei hochheben. Für solche Sachen hatte er einfach wenig Gefühl.

Paul VI. auf dem Weg ins gelobte Land. Zum ersten Mal in der Geschichte. Der Stellvertreter Christi an den Stätten seines Herrn. Paul ist gekommen um den Dialog zu suchen, im Geiste des Konzils. Das Signal zum Aufbruch an die Quelle kam vom alten Papst.

Das zweite vatikanische Konzil. Paul führt es fort. Zum zweiten Mal kommen die Bischöfe der Kirche aus aller Welt nach Rom. Unter ihnen auch der jetzige Papst, Erzbischof Karol Wojtyla aus Krakau. Das Konzil droht zu scheitern. Der Papst behält sich die zentralen Themen selbst vor, damit es in der Aula von St. Peter nicht zum Bruch kommt.

Luigi Bettazzi
Bischof von Ivrea
Wenn jemand aufstand, um über solche Themen zu reden, dann wurde gerufen: "Darüber reden wir nicht!" Ich glaube, die Tatsache, daß man diese Dinge nicht im Konzil besprochen hat, ist die Ursache dafür, daß genau diese Themen noch heute in der Diskussion stehen, zum Leidwesen der Kirche.

Es geht um die Rolle der Frau. Nichts hat sich in den letzten Jahren so gewandelt. Nichts ist so wie es einmal war. Wie reagiert der Papst?

Rosemary Goldie
Erste Frau auf dem Konzil
"Wir" - er hat immer das "wir" benutzt - haben die Absicht Frauen einzuladen. Religiöse Frauen und Laien. Man spürte, daß das seine eigene Idee gewesen war, vielleicht auch gegen einigen Widerstand. Paul VI. sagte, Frauen würden nur zu den Sitzungen des Konzils eingeladen, die auch von Interesse für sie seien. Wir haben uns dann natürlich gefragt: was ist denn nicht von Interesse für Frauen?

Besonders die Frage der künstlichen Empfängnisverhütung erhitzt die Gemüter. Die Angst vor einem Fehlurteil wiegt schwer. Trotz Redeverbot: offene Worte in der Aula von St. Peter.
Die Debatte wird abgebrochen - das Problem bleibt.

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Thomas Burch
Geburtenkontrollkommission
Bei der Identität der Kirche heute, denken Sie doch zuerst an das Verbot von Verhütung, das Verbot von Scheidung, die Weigerung, Frauenpriester zu akzeptieren. Alle diese Dinge haben was mit Frauen und Sex zu tun. Mein Gefühl ist, daß die Kirche sich mit diesen Themen selbst in die hinterste Ecke gestellt hat.

Dezember ’64. Die zweite große Reise: Der Papst in Indien. Für Paul ein Schlüsselerlebnis. Rückhaltlos verschreibt er sich dem Kampf gegen das Elend in der Dritten Welt. Die reichen Industrienationen klagt er an.

Ein Jahr darauf. Zum ersten Mal betritt der Mann in den Schuhen des Fischers den Boden der neuen Welt. In der UNO, vor Vertretern von 114 Staaten fordert Paul VI. noch einmal eindringlich "dafür Sorge zu tragen, daß genügend Brot auf dem Tisch der Menschheit steht."
Seine Rede gipfelt in den Worten: "Nie wieder Krieg. Es ist der Friede, der die Geschichte der Menschheit leiten muß".

Am 8. Dezember 1965 geht das 2. Vatikanische Konzil nach über vier Jahren zu Ende. Es weht ein frischer Wind . Betont wird die Gemeinschaft von Papst, Bischöfen und Laien.

Im spanischen Kolleg in Rom. Es tagt: Die päpstliche Geburtenkontrollkommission. Theologen, Mediziner, Demographen - und vier Ehepaare.

Patty Crowley
Päpstliche Geburtenkontrollkommssion
Wir fragten uns, wo man uns unterbringen würde. Sie sagten zu meinem Mann:"Du bleibst hier und Deine Frau geht ins Kloster unten an der Straße und bleibt dort mit den anderen Frauen." Das war wirklich ein Schock für uns. Wir dachten, daß ist natürlich die einfachste Art von Geburtenkontrolle.

Im Juni ’66 wird abgestimmt - 52 von 56 Mitgliedern sind jetzt für die Pille. Danach votiert das Bischofsgremium und stimmt - gleichfalls - für die Pille. Das Ergebnis täuscht.

Gino Concetti
Moraltheologe
Bei der Abstimmung wurde der Antrag auf Beibehaltung der bisherigen Lehre um zwei Stimmen abgelehnt, weil, ich weiß nicht, ob es gut ist, das auszusprechen: Bei der Sitzung fehlte der heutige Papst. Und warum? Nicht daß er gegen die traditionelle Linie gewesen wäre, aber er war in Polen und konnte einfach nicht nach Italien kommen, und das andere Mitglied der Kommision war krank.

Die endgültige Entscheidung liegt jetzt bei ihm. Alle meinen, Paul VI. wird der Mehrheit folgen. In die allgemeine Aufbruchsstimmung setzt der Papst ein weiteres Zeichen. Eine neue Enzyklika. Im März ’67 erscheint Populorum Progressio - über den Fortschritt der Völker. Pauls Vision von einer gerechteren Welt. Der Papst erhebt die Stimme für die Dritte Welt und fordert von der Ersten, von den reichen Ländern, Solidarität.

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Zwei Monate später - noch eine Enzyklika - Sacerdotalis Coelibatus. Ein klares Ja zum priesterlichen Zölibat.

Mieczyslaw Malinsky
Polnischer Priester
Es kam zu einer Tragödie. Tausende von Priestern verließen den Priesterstand. Tausende von Ordensschwestern verließen ihre Orden. Die Erklärung, daß sie gingen, weil sie Familien gründen wollten, wäre eine Vereinfachung des Problems. Das stimmt nicht.

Die Wurzeln liegen tiefer. Die Aufbruchsstimmung ist verflogen. Das Konzil ein Fehlschlag? Manche Priester sind enttäuscht und ziehen ihre Konsequenzen. Mehr als 30.000 Priester hat Paul VI. laiisiert. "Sein schwerstes Kreuz", wie er selbst bekennt. Im Gegensatz zum gegenwärtigen Papst - der hat nicht einmal ein Dutzend laufen lassen. Die Priester gehen trotzdem - nur ohne päpstlichen Dispens.

Was ist mit der Pille? Paul sucht Rat. Auch bei einem, der noch von sich reden machen wird. Zum Kardinal hat er ihn schon ernannt. Karol Wojtyla - hat nicht mit abgestimmt. Er hat den direkten Draht. In den Hochsommer dieses heißen Jahres platzt die Enzyklika Humanae Vitae - vom Wert des menschlichen Lebens. Zum ersten Mal betont ein Papst das Liebe in der Ehe Freude machen soll - solange die Zeugung möglich bleibt. Paul VI. erlaubt die Pille nicht.

Patty Crowley
Als uns die Presse mitten in der Nacht anrief und uns von Humanae Vitae erzählte - waren wir total platt. Wir konnten es einfach nicht glauben. Wir waren absolut geschockt.

Weltweit Proteste gegen die Enzyklika - der Papst fördere mit seinem Pillenveto den Krieg und mache Armut unausweichlich, werfen ihm in einem offenen Brief mehr als 1000 Wissenschaftler vor. Immerhin stößt sein Verdikt in vielen Ländern auch auf Gegenliebe. Wie in Südamerika. Applaus der kinderreichen Massen.

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Luigi Bettazzi
Ich erinnere mich, daß mir ein ziemlich progressiver Bischof aus Brasilien sagte: "Ich freue mich sehr über Humanae Vitae. Die Pharmakonzerne aus den USA lagen doch schon in den Startlöchern, um in Lateinamerika zu intervenieren. Nach dem Motto: "Auch der Papst will es!" Es wäre zu einer neuen Form der Kolonisation gekommen!

März 1978, ein Staat in den Klauen des Terrorismus. Entführung des Christdemokraten Aldo Moro. Moro ist ein Freund des Papstes, von Jugend auf. In einem offenen Brief wendet sich Paul an die Entführer. Bis tief in die Nacht brennen die Lichter in seine Gemächern.

Pasquale Macchi
Privatsekretär des Papstes
Ich war in jener Nacht dabei, als er den Brief schrieb. Er hat ihn ein, zwei, dreimal geschrieben, weil er immer noch einen kleinen Fehler entdeckt hatte. Er wußte ja, daß der Brief auch in den Massenmedien veröffentlicht werden sollte und so wollte er ihn sogar nochmal schreiben. Das war ein Mann über 80 Jahre, und man konnte sehen, wie schwer es ihm fiel.

In dem Brief heißt es: "Ich wende mich an Euch unbekannte und unerbittliche Gegner dieses würdigen und unschuldigen Mannes und bitte Euch auf Knien: Laßt den Abgeordneten Aldo Moro frei, einfach, bedingungslos, nicht so sehr aufgrund meiner demütigen und liebevollen Bitte, sondern angesichts seiner Würde als Mensch".

Die Terroristen hören nicht auf Paul VI.

6. August 1978. Ein heißer, schwüler Sommertag. Die Römer sind am Meer. Die ewige Stadt verlassen. Auch der Papst in seiner Sommerresidenz. Da schließen sich, fast unbemerkt, die Pforten von St. Peter. Paul VI. ist tot.

Informationen zur Sendung lesen Sie hier!

 

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