Papst Pius XII. und der Holocaust


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20. Aug 99von Marcus Marschalek aktualisiert

2.März ’39 - vor der Peterskirche warten Tausende von Menschen auf den neuen Papst.
Papst Pius XII.

63 Kardinäle wählen. Zweimal schon stieg schwarzer Rauch auf aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle - keine Einigung - sie kommt im dritten Wahlgang. Stellvertreter Christi wird ein Diplomat, der Deutschland und die Deutschen kennt. Er hat das Konkordat mit Hitler formuliert. Wird er den Kampf fortführen, den sein Vorgänger begann? Ohne Waffen, aber auf dem Schlachtfeld des Gewissens - gegen eine mörderische Diktatur? Macht und Ohnmacht eines Papstes vor dem schrecklichsten Verbrechen des Jahrhunderts.
Weißer Rauch steigt auf.

Wenig später ruft der dienstälteste Kardinal nach altem Ritual: Ich verkünde euch eine große Freude, wir haben einen Papst! Der neue ist der 63-jährige Römer Eugenio Pacelli. Er nennt sich Pius, der XII. - Pius - der Fromme.

Drei Tage nach der Krönung. Hitler annektiert die sogenannte Resttschechei. Er will den Krieg - je eher, desto besser.

Der Mann im Vatikan will ihn verhindern. Den Frieden retten, mit allem was in seiner Macht steht. Schon im Ersten Weltkrieg hatte er vermittelt - ohne Erfolg. Diesmal muß es gelingen.

August 39. Der Erpresser probt den Krieg. Panzermanöver an der polnischen Grenze. Im Vatikan erwägt der Papst in seiner Verzweiflung selber nach Berlin und Warschau zu fliegen, um den Frieden zu retten. Da reißt der Hitler-Stalin-Pakt das Tor zum Krieg endgültig auf.

Briten und Franzosen rufen ihre Männer zu den Waffen. Noch kann niemand ermessen, wie furchtbar dieser Krieg für alle werden wird. Die Botschafter der Westmächte bedrängen den Papst, Hitler vorab zu verurteilen. Pius weigert sich. "Was soll", sagt er, "dann mit den 40 Millionen deutschen Katholiken geschehen?"

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Manfred Grünberg, Deutscher Jude
Wenn er etwas verurteilt - um es biblisch zu sagen - "schüttet er Gift in die Herzen der katholischen Gläubigen", die zwei Glauben haben, den Katholizismus und Nationalsozialismus. Und wenn er keine abfälligen Katholiken in Deutschland haben wollte, die doch sagen, wir sind doch mit Herz und Seele dem Nationalsozialismus verhaftet, dann bleibt er neutral.

Pius weiß, auch unter deutschen Katholiken gibt es viele Patrioten. Ihnen will er den Konflikt ersparen. Von seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo richtet der Papst eine letzte beschwörende Friedensbotschaft an die Welt, die in den Worten gipfelt: "Nichts ist verloren mit Frieden - alles mit dem Krieg!"

1. September 39. Überfall auf Polen. Stolz blickt der Diktator auf sein Teufelswerk! Polen ist verloren - von allen verlassen.

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Mieczyslaw Malinski, Freund von Johannes Paul II.
Frankreich hätte Hitler angreifen sollen. Aber man sagte, daß französische Soldaten nicht für Danzig sterben würden. Doch Franzosen sterben nicht für Danzig, sie sterben für Frankreich. Und später ist man dann für Frankreich gestorben. Wir erkannten, niemand wird uns helfen, nicht einmal der Papst.

Bald erhebt der Papst selbst seine Stimme - in seiner ersten Enzyklika erklärt er: "Das Blut unzähliger Menschen erhebt eine unendliche Klage von Trauer und Qual über eine geliebte Nation wie Polen". Kein Wort von den Tätern, nur von der Tat - warum?

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Emilio Cavaterra, Italienischer Faschist
Der Papst will eine Konferenz - noch einmal München. Seine Heiligkeit will den fünf großen Mächten - Deutschland, Frankreich, England und Polen - einen Brief schreiben, und sie an eine Verhandlungstisch setzen - und das im Mai 1940 - um den Frieden zu retten.

Der Papst als Diplomat - und mehr noch: Unterhändler für den deutschen Widerstand. Die Briten sollen Garantien geben - für die Zeit nach Hitler. Der Stellvertreter Christi in einem Boot mit potentiellen Attentätern?

Statt dessen hilft der Papst dem deutschen Widerstand. Von dem erfährt er ein Geheimnis: Das Datum der deutschen Westoffensive. Der Vatikan gibt diese Nachricht unverzüglich weiter, an den Britischen Gesandten am Vatikan.

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Peter Tompkins,Freund des Britischen Gesandten
Wir spielten Golf und am sechsten Loch hielt er an, sah sich um, ob uns auch niemand hörte. Er sagte, ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen. In drei Wochen sind wir im Krieg.

England reagiert nicht. Belgien, Holland, Luxemburg - die Neutralen sind die ersten Opfer. Pius ist bestürzt, seine Beileidstelegramme werden noch am selben Abend im Osservatore abgedruckt.

Audienz im päpstlichen Palast. Der Botschafter des Duce droht! Mussolini sei erbost über den Protest des Pontifex. Etwas Schlimmes könnte geschehen. Pius läßt sich das nicht bieten, sagt, er sei bereit sein Leben in einem KZ zu beenden. Worte, die am Schreibtisch des Papstes nie gefallen waren. Noch in der selben Nacht gröhlt faschistischer Pöbel auf den Straßen Roms: "Was macht der Papst? - Er kotzt uns an!"

Sommer ’41 - Überfall auf die Sowjetunion. Hitlers wahrer Krieg, Vernichtungskrieg im Osten. Pius gerät zwischen die Fronten. Stalin ist der alte Erzfeind. Hitler ist der neue Anti-Christ. Auf einer Audienz soll dieser Satz des Papstes gefallen sein:

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Reinhard Spitzy, Referent von Ribbentrop
"Man will mich ja nicht offiziell haben als Vermittler für Deutschland und ich hätte so gerne einen Krieg, einen Feldzug oder einen Kampf der Europäer gegen den Bolschewismus gesegnet", wörtlich, so wie das ist.

Am Ende segnet er weder Hitlers Krieg noch den Stalins. Die Amerikaner drängen: Sie wollen die Allianz mit der Sowjetunion. Pius’ Ausweg: Der Kommunismus bleibe Teufelswerk, erklärt der Papst, doch für das russische Volk hege er väterliche Gefühle.

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Giulio Andreotti, Ex-Ministerpräsident Italiens
Es ist schon schwierig, zwischen Pest und Cholera eine Auswahl zu wählen, und noch schwieriger wurde es, als Amerika den Papst bedrängte, die Nazis zu exkommunizieren.

Die Nazis und der Massenmord - an Polen, Russen, Juden. Welche Dimensionen er haben wird, das ahnen 1941 nicht einmal die willigen Vollstrecker. Ein italienischer Feldgeistlicher schmuggelt aus dem besetzten Polen die Horrormeldung in den Westen, auf Latein, zur Tarnung: "Wir sind aller Menschlichkeit beraubt. Der Grausamkeit von Leuten ausgeliefert, denen jedes menschliche Gefühl fehlt. Wir leben ständig unter entsetzlichem Terror, ständig in Gefahr, im KZ zu enden."

Pius weint, als er davon erfährt. Muß der Papst die Täter nicht verdammen?

Aus ganz Europa werden Juden deportiert - in Viehwaggons - so im Lager Westerbork in Holland. Die Kirchen protestierten bei Hitlers Statthalter Seyss-Inquart. Der lockt mit einem Handel. Die Deportation soll getauften Juden erspart bleiben, wenn die Kanzeln schweigen.

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Jan Keulen, Holländischer Priester
Die Bischöfe sagten, daß dies zum Kern des christlichen Denkens gehört, und wenn man dies preisgibt und gutheißt, daß die Juden abtransportiert würden für eigene Menschen, also getaufte Juden, dann würde man andere um des eigenen Vorteils willen verkaufen.

Den Nazis zum Trotz: Der Protest wird von den katholischen Bischöfen verlesen. Das Resultat: Auch die katholisch getauften Juden werden deportiert. Nach Auschwitz ...

Was tut der Vatikan? Im September fragt ein Gesandter aus den USA den Papst, ob man vom Unfaßbaren Kenntnis habe. Pius geht darauf nicht ein. Das Schicksal der getauften Juden in den Niederlanden hat ihn erschreckt. Der Papst will nicht noch größeres Übel provozieren durch deutlichere Worte. Ist das der richtige Weg?

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Arthur Herzberg, Jewish Agency
Alles spiegelt einen sehr, sehr vorsichtigen Menschen wider, der - und ich höre nicht auf, das zu sagen - es als seine Aufgabe betrachtete, die Kirche sicher zu bewahren, und nicht ihren moralischen Anspruch auf das Gebot auszuweiten: Du sollst nicht sechs Millionen Menschen morden, nur weil sie "zufällig" als Juden geboren sind.

Am 17. Dezember 1942 protestieren die Alliierten gegen Hitlers Massenmord. Zum ersten Mal - und ohne Wirkung.

Weihnachten im Vatikan. Das erste Mal, daß auch der Papst das Grauen öffentlich erwähnt. In seiner Weihnachtsbotschaft über Radio Vatikan spricht Pius von Millionen Toten, von Gefallenen, von Bombenopfern, Massenmorden. Die Welt brauche endlich Frieden. Die Täter und die Opfer nennt er nicht beim Namen, und doch versteht ihn jeder.

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Raimondo Spiazzi, Redenschreiber von Pius XII.
Heute ist es leicht zu sagen, man hätte rufen, verkünden, schreien müssen. Wer an der Spitze einer Kirche oder auch nur einer Organisation steht, oder damals stand, für den zumindest war es nicht so einfach.

Der Heilige Stuhl hilft, wo er helfen kann. Durch Diplomatie, und in aller Stille - auch Juden. Während Millionen sterben, überleben dadurch Hunderttausend.

Zum ersten Mal fallen Bomben auf Rom. Noch während des Angriffs verläßt der Papst den Vatikan. Gegen allen Brauch. Im Zentrum der Zerstörung steht der Stellvertreter Christi bei den Opfern.

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Fiorenzo Angelini, Kardinal der Kurie
Dann begann der Papst zu beten, wir beteten gemeinsam mit all den Menschen, und kaum hatte der Papst das Gebet beendet und seinen Segen erteilt, erhob sich der markerschütternde Schrei, der fast nichts mehr Menschliches an sich hatte: Frieden, Frieden, Frieden!

In Rom zerbricht die Diktatur. Juli ’43 - Mussolini wird verhaftet. Pius gilt als Sündenbock.

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Peter Tompkins, US-Geheimdienst
Hitler wollte ihn verhaften und wegschaffen. Hitler war außer sich.

Er hetzt seine Truppen nach Rom. Zwei Tage wird gekämpft - denn ist die ewige Stadt in deutscher Hand. Der Vatikan bleibt unbesetzt. Wie lange noch? Heimlich setzt der Papst sein Hilfswerk fort. Schafft in Klöstern und Kirchen, sogar in seiner Sommer-Residenz, Inseln für Verfolgte. Im deutschen Botschafter am Vatikan, Ernst von Weizsäcker, findet Pius Unterstützung. Es gilt ...

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Richard v. Weizsäcker
... vor allem Juden zu warnen, daß Zugriffe geplant würden, und daß sie sich in solche exterritorialen Gebäude oder Gebäudekomplexe zurückziehen sollen. Darauf haben viele, aber leider viel zu wenige gehört.

In den frühen Morgenstunden des 16. Oktober 43 schlagen Hitlers Schergen zu. Juden-Razzia in der ewigen Stadt. In ihrer Not, glauben sie, kann nur einer sie retten - Pius. Eine Vertraute des Papstes wird alarmiert. Sie eilt zum päpstlichen Palast. Der Pontifex läßt den deutschen Stadtkommandanten warnen, er werde öffentlich protestieren. Dem herbeizitierten Botschafter des Dritten Reichs wird das gleich angedroht. Der will prüfen, was zu retten ist.

Die Razzia wird abgebrochen, doch über 1000 Juden werden deportiert in den sicheren Tod.
Achttausend Juden überlebten in Rom - versteckt vom Vatikan und vielen Italienern.

7.500 Juden leben noch in Ungarn. März 44. Deutsche Truppen auf dem Weg nach Budapest. Auftakt zum letzten Akt des Massenmords. Die Nuntiatur erhebt sofort Protest. Es würden nur Zwangsarbeiter rekrutiert, versucht man ihr weiszumachen.

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Gennaro Verolino, Nuntiatur in Ungarn
Wie ist es möglich, fragten wir, daß ihr 80-jährige und kleine Kinder zum Arbeiten zwingt oder kranke, arbeitsunfähige Menschen? Die Deutschen antworteten, daß sie Alte und Kinder mitnähmen, weil die Juden besser arbeiten, wenn sie im Kreise der Familie seien. Darauf erwiderten wir: Warum nehmt ihr dann auch Alte, Kinder und Kranke, die allein sind und niemanden zu begleiten haben?

In Italien bricht die Front zusammen. Der erste amerikanische Panzer. Im Vakuum der Macht gewinnt der Pontifex höchste Autorität. Auch die Befreier kommen zur Audienz. Beim Papst ist auch ein deutscher Jude - Offizier der englischen Armee.

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Pinchas Lapide, Britischer Soldat
Aus den zehn Minuten entwickelte sich eine ganze Stunde, in der er mir erzählt hatte, seine frühen Bindungen mit dem Zionismus, seine Sympathien mit Israel, und seine Angst, daß er nicht genug getan habe, um Juden unter Lebensgefahr zu retten. Was immer er getan habe, so sagte er mit Nachdruck, habe er aus Liebe und aus Nächstenliebe getan, aber ob es genug war, das weiß nur der Himmel.

Jan Keulen, Holländischer Priester
Ich denke, daß dieser Papst, wenn nötig, sein eigenes Leben, ohne zu zögern, geopfert hätte, um Menschen zu retten. Aber für eine ganze Welt bereit zu stehen, für eine Welt, die in einem derartigen Chaos steckte und so unterschiedlich dachte, das war natürlich eine wahnsinnig schwierige Aufgabe.

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Gerhart Riegner, Jüdischer Weltkongress, Genf
Das ist im Grunde etwas Positives, daß man daran nicht glauben wollte. So grauenhaft die Folgen davon sind, gibt es mir irgendwie - und das ist das Paradoxe an der ganzen Situation - wieder den Glauben an den Menschen zurück, daß man sich weigerte solche Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, daß man nicht leben konnte mit dem absolut Bösen.

Doch die Zweifel werden bleiben. Dreizehn Jahre noch wird dieser Papst regieren.

Oktober 58. Am 9. Oktober, um halb vier morgens, schließt Pius XII. für immer die Augen. Das Testament Pius XII. Umfaßt nur wenige Zeilen: "Sei mir gnädig, o Herr, gemäß deiner großen Gnade. Die Vergegenwärtigung der Mängel und Fehler, die während eines so langen Pontifikates und in solch schwerer Zeit begangen wurden, hat mir meine Unzulänglichkeit klar vor Augen geführt."

Infos zur Sendung finden Sie hier!

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