News 26 05. 2006

Katholikentag für einen "neuen Entwurf von Gerechtigkeit

Neuen Schwung im ökumenischen Dialog forderte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, beim deutschen Katholikentag in Saarbrücken. In Saarbrücken treffen sich rund 26 000 Menschen zu zahlreichen Diskussionen und Veranstaltungen unter dem Motto "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht". Der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken verlangte in Saarbrücken einen "neuen Entwurf von Gerechtigkeit.

Der belgische Primas, Kardinal Godfried Danneels, beklagte in Saarbrücken die mangelnde Transparenz in politischen Entscheidungsprozessen. Immer häufiger würden Entscheidungen "in kleinen Kreisen und meist weit von der Basis entfernt" getroffen, sagte Danneels am Freitag beim deutschen Katholikentag. Dadurch würden die politischen Vorgänge immer weniger kontrollierbar. Das Vertrauen in internationale Institutionen nehme deshalb immer mehr ab.

Gegen christliche Selbstgerechtigkeit

Die Kirche müsse mit Argusaugen Ungerechtigkeiten suchen und dürfe niemals die Solidarität mit den von Ungerechtigkeit Betroffenen vergessen, so der Erzbischof von Mecheln-Brüssel. Er warnte die Christen aber zugleich vor Selbstgerechtigkeit. Die unentbehrliche Kritik an ungerechten Zuständen könne zu Hochmut führen. Damit wäre der Anspruch, Gerechtigkeit vor Gottes Antlitz zu üben, aber verloren, sagte der Kardinal unter Anspielung auf das Katholikentags-Motto. Die Christen müssten akzeptieren, dass auch sie nur schwache Menschen seien.

"Kirche muss sich für Menschenrechte einsetzen"

Danneels rief die Kirche nachdrücklich zum Einsatz für Menschenrechte, Frieden und Gerechtigkeit auf. Zwar könne die Kirche mit ihrer Kritik an Menschenrechtsverletzungen auch irren, aber das dürfe sie nicht verstummen lassen oder lähmen. Frieden, Gerechtigkeit und Hoffnung seien Schlüsselbegriffe der kirchlichen Verantwortung in der Welt. Der Kardinal erklärte, die Glaubwürdigkeit der Kirche beim Einsatz für die Menschenrechte wachse "von Tag zu Tag". Als Grundlage aller anderen Menschenrechte bezeichnete Danneels die Religionsfreiheit. Die Kirche müsse aber nicht nur für Religionsfreiheit eintreten, sondern auch gegen eine ungerechte Verteilung der Güter in der Welt, wirtschaftlichen Imperialismus und politischen Machtmissbrauch. Wenn die Kirche Menschenrechtsverletzungen kritisiere, müsse dies einhergehen mit einer Förderung positiver Werte.

Familienbund gegen das Diktat der Finanzen

Der Familienbund der Katholiken übte in Saarbrücken scharfe Kritik an der Politik der deutschen Bundesregierung. Im Bundestagswahlkampf seien große Versprechen abgegeben worden, nach wie vor herrsche aber "strukturelle Rücksichtslosigkeit" gegenüber Familien, sagte Elisabeth Bußmann, Präsidentin des Familienbundes der Katholiken, am Donnerstag bei einer Diskussion. "Familien sind nach wie vor die vergessenen Leistungsträger in unserem Land." Bußmann kritisierte insbesondere das von der großen Koalition geplante Elterngeld. "Es gibt ein Leitbild von Familie, das ausschließlich beide Eltern als erwerbstätig sieht." Der Staat könne in die Familien aber "nicht einfach von oben hineinregieren und Modelle diktieren". Die Wahlfreiheit von Eltern sei deutlich eingeschränkt. Im Übrigen gebe es nicht mehr eine klassische Familienpolitik, sie sei zunehmend der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik untergeordnet. "Auf der einen Seite haben wir die hehren Forderungen und Zielvorgaben und auf der anderen Seite das Diktat der Finanzen."

Merkel weiter für Gottesbezug in EU-Verfassung

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte am Donnerstag am Katholikentag, sie wolle den bislang nicht durchsetzbaren Gottesbezug in der angestrebten EU- Verfassung noch einmal ins Gespräch bringen. "Ich persönlich glaube, dass wir am Thema dran bleiben sollten", so Merkel. Es sei wichtig, sich "zur eigenen Kultur und zu den eigenen Wurzeln" zu bekennen, betonte die deutsche Kanzlerin. Deutschland übernimmt 2007 die EU-Ratspräsidentschaft.  Beim Katholikentag diskutierte Merkel mit Jugendlichen aus mehreren Ländern über die Europäische Union. Dabei bekräftigte sie die Absicht der Bundesregierung, im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit nicht nachzulassen. Das Schlimmste wäre Gleichgültigkeit.

Papst: Schreiendes Unrecht der Armut

Der Katholikentag war am Mittwochabend mit der Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit und Kritik an einem ungezügelten Kapitalismus eröffnet worden. In einem verlesenen Grußwort rief Papst Benedikt XVI. die katholischen Laien auf, die Welt nach christlichen Maßstäben mitzugestalten. Die "Zivilisation der Liebe" müsse sich heute vor allem gegen eine "Kultur des Todes" behaupten. Als Beispiele für die "Kultur des Todes" nannte der Papst eine biomedizinische Instrumentalisierung vom Zeitpunkt der Entstehung des Lebens an, eine zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber Abtreibungen und die Verletzung der Würde der Frau und der Kinder. Zudem herrsche "Kaltherzigkeit gegenüber dem schreienden Unrecht der Armut im eigenen Land und in vielen Regionen der Welt". In diesen Bereichen seien vor allem die Laien aufgefordert, die christliche Botschaft wirksam zu machen.

Katholiken für einen "neuen Entwurf von Gerechtigkeit"

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) als Veranstalter des Katholikentages übte deutliche Kritik an Auswüchsen des Kapitalismus. "Deutschland und ganz Europa erleben eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs", sagte der Präsident des ZdK, Hans Joachim Meyer, bei der Eröffnung. "Was gestern noch Solidarität und soziale Gerechtigkeit zu garantieren schien, zerrinnt uns heute unter den Händen." Mit Blick auf die Globalisierung und ihre Folgen betonte Meyer die Notwendigkeit eines "neuen Entwurfs von Gerechtigkeit". Die Gestaltung der Gesellschaft könne "nicht dem blinden Wirken des Wettbewerbs" überlassen werden.

Marx kritisiert den Kapitalismus

Auch der gastgebende Bischof des Bistums Trier, Reinhard Marx, kritisierte einen ungezügelten Markt, in dem nur noch die Kapitalrendite zähle. Die soziale Gerechtigkeit dürfe dem Streben nach wirtschaftlichem Profit nicht geopfert werden.

Lehmann für mehr Schwung in der Ökumene

Nach Ansicht Kardinal Lehmanns ist zurzeit der für den ökumenischen Dialog notwendige Schwung lahmer geworden. "Schwerwiegende Differenzen, über die noch zu reden sein wird, werden eher zurückgestellt. Man geht ihnen aus dem Weg", betonte Lehmann. Zugleich warnte der Kardinal davor, zu hohe Erwartungen an schnelle Fortschritte in der Ökumene zu haben. "Ökumene braucht den langen Atem", sagte Lehmann. Der Evangelische Bischof Friedrich Weber (Braunschweig) wandte sich in Saarbrücken gegen das "Gerede von der Eiszeit der Ökumene". Weber betonte, dass die Kirche mehr verbinde als trenne.

Christlich-jüdischer Dialog

Bei einer christlich-jüdischen Gemeinschaftsfeier betete Kardinal Lehmann am Donnerstag gemeinsam mit dem früheren Landesrabbiner von Westfalen, Henry Brandt. Beide würdigten im Anschluss daran den langjährigen christlich-jüdischen Dialog beider Religionen bei den deutschen Katholikentagen. Brandt rief Juden und Christen in seiner Predigt zum Einsatz für die größere Gerechtigkeit Gottes auf. Der 79-Jährige erinnerte an das erste Treffen von Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz und der Rabbinerkonferenz in Deutschland am 9. März. Eine solche Begegnung hätte man sich lange Zeit nie vorstellen können, auch nicht vor der Zeit des Nationalsozialismus. Beide Seiten seien sich einig, dass das Treffen keine Eintagsfliege bleiben solle.

"Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht"

Rund 40 000 Besucher werden bis zum Sonntag in Saarbrücken erwartet, darunter sind 26 000 Dauerteilnehmer. Das Katholiken-Treffen mit Gästen aus mehr als 50 Ländern steht unter dem Leitwort "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht" und soll nach dem Willen der Veranstalter eine neue Debatte über soziale Gerechtigkeit anstoßen.

 

 

 

Weitere News zum Thema:

- 24. 05. 2006: Papst-Botschaft an Deutschen Katholikentag

- 22. 05. 2006: Deutscher Katholikentag beschäftigt sich mit Sozialabbau

 

Link:

- 96. Deutscher Katholikentag

 

 

 

 
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