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News 11. 02. 2008

Heftige Debatte nach Scharia-Äußerungen von Erzbischof Williams

Das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, Erzbischof Rowan Williams, hat seinen heftig umstrittenen Vorschlag verteidigt, die islamische Scharia teilweise als Rechtspraxis in Großbritannien anzuwenden. Unterdessen forderten prominente Mitglieder der Kirche von England am Samstag den Rücktritt von Rowan Williams, der als Erzbischof von Canterbury das geistliche Oberhaupt von weltweit rund 80 Millionen anglikanischen Gläubigen ist.

Rowan Williams erklärte, die negativen Reaktionen auf seine Überlegungen zur Anwendung von Teilen der Scharia für in Großbritannien lebende Muslime hätten ihn geschockt. Er habe "gewiss nicht dazu aufgerufen, sie als eine parallele Rechtsprechung neben dem geltenden Zivilrecht einzuführen". Es sei ihm nur darum gegangen, "gewisse Elemente der Scharia" zu berücksichtigen, die in der Praxis der britischen Gesellschaft längst anerkannt seien. Williams hatte am Donnerstag gesagt, es scheine ihm "unausweichlich", dass gewisse Anteile des islamischen Rechts in das britische Rechtssystem integriert würden.

Boulevardzeitung erklärte Williams zum "Erzfeind"

Die Äußerungen des Erzbischofs hatten am Freitag einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Die Regierung und die Opposition lehnten die Idee des liberalen Kirchenführers rundweg ab. Die auflagenstarke Boulevardzeitung "Sun" rief am Samstag zu einer Kampagne für den Rücktritt des Erzbischofs auf, den sie zum "Erzfeind" Großbritanniens erklärte.

Synodenmitglied: "Nicht der richtige Mann für diesen Job"

Williams sei zu weit gegangen und habe sich isoliert, erklärte Synodenmitglied Alison Ruoff. "Was wir jetzt brauchen, ist eine starke christliche biblische Führung", sagte sie. Edward Armistad, ebenfalls Mitglied der Synode, sagte, Williams sei "nicht der richtige Mann für diesen Job".

Bischof: Reaktionen sind "eine Schande"

Andere hochrangige Vertreter der anglikanischen Kirche verteidigten Williams. Er sei "einer der klügsten Köpfe der Nation", erklärte der Bischof von Hulme, Stephen Lowe. Die Gehässigkeit in einigen der Reaktionen auf die Anregung durch "einen der klügsten Erzbischöfe von Canterbury seit langem" sei "eine Schande". Auch Williams Vorgänger an der Spitze der anglikanischen Kirche, George Carey, verteidigte Williams. "Williams ist ein großartiger Repräsentant der anglikanischen Tradition", so Carey. "Es ist wichtig, dass er seine bedeutende Rolle in unserer Kirche weiter ausübt."

Carey: Kann seine Auffassung nicht teilen

Zugleich betonte Lord Carey jedoch, er könne Williams' Überlegungen zur Anwendung von Elementen der Scharia bei zivilrechtlichen Entscheidungen nicht teilen. "In unserem Land, das so schmerzhaft für Demokratie und Menschenrechte gekämpft hat, darf es keine Ausnahmen vom Gesetz geben."

Katholischer Kardinal kritisiert Williams

Am Sonntag verstärkte Kardinal Cormac Murphy O'Connor, das Oberhaupt der katholischen Kirche von England und Wales, den Chor der Williams-Kritiker. "Wenn Leute in dieses Land kommen, haben sie sich an die Gesetze zu halten", sagte er der "Sunday Times". Gewisse Aspekte der Scharia dürften niemals in Großbritannien geduldet werden. Dazu gehörten erzwungene Ehen und die Polygamie. Die Regierung habe das Recht, derartige Praktiken zu unterbinden.

 

 

Hintergrund:

- Die Scharia

 

Korrespondentenbericht:

- Stich ins Wespennest: Ein Erzbischof mit Verständnis für die Scharia

 

Audio-on-demand-

- Ö1-Mittagsjournal: Erzbischof will islamisches Recht einführen

 

Video-on-demand:

- Rowan Williams spricht über die Notwendigkeit einer teilweisen Anerkennung der Scharia in Großbritannien (BBC)
 

 

 

 
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