News 18. 02. 2008

Serbisch-orthodoxe Kirche: Kosovo-Unabhängigkeit ist ein "Gewaltakt"

Als einen "Gewaltakt gegen Recht und Gerechtigkeit" hat die serbisch-orthodoxe Kirche die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo verurteilt. Der höchste serbisch-orthodoxe Würdenträger im Kosovo, Bischof Artemije, rief am Sonntag zu einer militärischen Rückeroberung der Provinz auf. Die mehrheitlich von Albanern bewohnte südserbische Provinz Kosovo hat am Sonntag ihre Unabhängigkeit von Serbien erklärt.

In einer am Montag in Belgrad veröffentlichten Stellungnahme zu der am Vortag erfolgten einseitigen Unabhängigkeitsproklamation des Kosovo appellierte der Heilige Synod der orthodoxen Kirche Serbiens an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, den Schritt für null und nichtig zu erklären, Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte und der religiösen Rechte zu ergreifen und die territoriale Unversehrtheit des serbischen Staates in Einklang mit den Bestimmungen der Resolution 1244 von 1999 zu verteidigen. "Hunderttausende orthodoxer Serben wurden aus ihren Häusern vertrieben mit dem Ziel, dass sie nie wieder zurückkommen", heißt es in der Erklärung der Bischöfe.

Nachträgliche Legitimierung der faschistischen Kosovo-Politik

Die Zerstückelung Serbiens stelle einen Gewaltakt dar, der für "Perioden der Besatzung und Tyrannei charakteristisch" sei. "Man hätte gehofft, dass solche Zeiten in Europa vorüber wären", schrieben die serbischen Bischöfe. Die Abtrennung des Kosovo von Serbien bedeute die nachträgliche Legitimierung der "jahrhundertelangen osmanischen Gewaltherrschaft" in der Region sowie die neuerliche Anwendung der faschistischen Lösung der Kosovo-Frage im Zweiten Weltkrieg, als Kosovo-Metohija an das sogenannte "Großalbanien" angegliedert war, heißt es in der Erklärung des Heiligen Synods. Mit Unterstützung von Nazideutschland seien damals Hunderttausende orthodoxer Serben aus ihren Häusern vertrieben worden - eine Vorwegnahme der Vorgänge im Jahr 1999 nach dem Einmarsch der NATO-Truppen.

Appell an orthodoxe Geistliche im Kosovo

Der Diözesanbischof Artemije (Radosavljevic) von Raska und Prizren, der Klerus, die Mönche und die ganze serbische orthodoxe Bevölkerung in Kosovo-Metohija wurden vom Heiligen Synod ersucht, "in ihren Häusern und bei ihren heiligen Stätten zu bleiben, in der Hoffnung auf Gottes Gerechtigkeit."

Bischof ruft zu Rückeroberung des Kosovo auf

Der höchste serbisch-orthodoxe Würdenträger im Kosovo, Bischof Artemije, hat bereits am Sonntag zu einer militärischen Rückeroberung der Provinz aufgerufen. Bischof Artemije verlangte eine Mobilmachung der serbischen Truppen. Diese sollten die abtrünnige Provinz dann als besetztes Territorium erachten. "Der Kosovo war und wird immer serbisch sein", sagte der 73-Jährige der Zeitung "Glas Javnosti". Russland solle Militär in Serbien stationieren, das Land mit neuen Waffen aufrüsten und zusätzlich Freiwillige schicken, verlangte der Bischof.

Russisch-orthodoxer Bischof warnt vor Vernichtung der christlichen Kultur

Der Wiener russisch-orthodoxe Bischof Hilarion (Alfejew) hat die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo scharf verurteilt. In einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur "Interfax" sagte Bischof Hilarion laut "Kathpress" wörtlich: "Im Kosovo geht vor unseren Augen die Vernichtung einer mehr als tausendjährigen christlichen Kultur unter Beihilfe der Vereinigten Staaten und ihrer Alliierten vor sich". Antike Kirchen, "unschätzbare Monumente christlicher Kultur", verschwänden im Kosovo von der Erdoberfläche, erinnerte der Wiener russische Bischof, der zugleich auch das Moskauer Patriarchat bei den EU-Institutionen in Brüssel vertritt. Zehntausende Serben hätten ihr angestammtes Heimatland verlassen müssen, das nun anscheinend "endgültig in der Hand neuer Herren" sei. Für diese "neuen Herren" seien die Denkmäler der christlichen Kultur nichts anderes als "Störfaktoren, die an die Vergangenheit erinnern".

Vatikan ruft zur Mäßigung auf

Der Vatikan hat am Sonntag nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo zur Mäßigung in der Region aufgerufen. Serbien und der Kosovo sollten jetzt "Augenmaß" beweisen und "keine extremistischen Reaktionen oder Gewalt" zulassen, zitierte "Radio Vatikan" den Sprecher des Heiligen Stuhls, Federico Lombardi. Zwischen den Einwohnern des Kosovo dürfe kein Unterschied aus Gründen der Volks-, Religions-, Sprach- oder Nationen-Zugehörigkeit gemacht werden. Die internationale Gemeinschaft solle auch künftig ihren Beitrag zur Stabilität in der Region leisten. Papst Benedikt XVI. bete "für die Menschen in Serbien und im Kosovo in diesem entscheidenden Moment ihrer Geschichte", sagte Lombardi weiter.

Umstrittene Unabhängigkeitserklärung

Die mehrheitlich von Albanern bewohnte südserbische Provinz Kosovo hat am Sonntag ihre Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Das Parlament in Pristina nahm am Sonntagnachmittag einstimmig eine von Regierungschef Hashim Thaci verlesene Unabhängigkeitserklärung per Akklamation an. "Wir erklären das Kosovo zu einem freien und unabhängigen Staat", heißt es darin. Scharfe Kritik an der Unabhängigkeitserklärung üben Serbien und Rußland, das die Unabhängigkeit noch am Sonntag durch den UN-Sicherheitsrat für ungültig erklären lassen wollte, sich mit diesem Anliegen aber nicht durchsetzen konnte. Positiver stehen unter anderem die USA, Frankreich und Deutschland der Unabhängigkeit des Kosovo gegenüber.

Für die orthodoxe Kirche ist der Kosovo "heiliges serbisches Land"

Von den geschätzten 2,1 Millionen Einwohnern des Kosovo sind 95 Prozent Albaner. Die serbische Minderheit zählt nur noch 100.000 Menschen. Bestimmende Religion ist der Islam. Die orthodoxen Serben wanderten seit dem 15. Jahrhundert nach Norden aus. Doch liegen im Kosovo berühmte mittelalterliche serbische Klöster wie das alte Patriarchat in Pec, Gracanica bei Pristina und Decani, das seit 2004 in die UNESCO-Liste des Welterbes eingetragen ist. Die Serben leiten von diesen Kulturgütern ihre nationale Identität ab. Der serbisch-orthodoxe Metropolit von Montenegro, Amfilohije Radovic, bezeichnete den Kosovo im vergangenen Juni als "heiliges serbisches Land".

 

 

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Mehr dazu:

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