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News 17. 03. 2008

Dalai Lama beklagt "kulturellen Genozid" in Tibet

Angesichts der blutigen Unruhen in Tibet hat der Dalai Lama der chinesischen Regierung "kulturellen Völkermord" vorgeworfen. Peking übe eine "Herrschaft des Terrors" in der Himalaya-Region aus, sagte er am Sonntag im indischen Dharamshala. Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao bezeichnete die Vorwürfe des Dalai Lama als "Lügen".

Die Proteste der Tibeter gegen die chinesische Fremdherrschaft haben sich am Sonntag ausgeweitet. Nach exiltibetischen Angaben kamen allein bei den Unruhen am Freitag in der tibetischen Hauptstadt Lhasa mindestens 80 Menschen ums Leben. Am Wochenende griffen die Proteste auf andere Orte in Tibet und in den Nachbarprovinzen Sichuan und Gansu über. In Lhasa standen nach Angaben von Augenzeugen weiterhin Panzer an Kreuzungen, in den Straßen patrouillierten Soldaten. Rund um den Globus demonstrierten Exil-Tibeter in zahlreichen Orten gegen die chinesischen Machthaber.

Dalai Lama: "Kultureller Völkermord"

Der Dalai Lama beklagte einen "kulturellen Völkermord" in seiner von China besetzten Heimat. Die Unterdrückung der jahrhundertealten tibetischen Kultur und die Diskriminierung der tibetischen Bevölkerung seien Ursachen für den jüngsten Gewaltausbruch, sagte das religiöse Oberhaupt der Tibeter am Sonntag in seinem Exil im nordindischen Dharamsala. Angesichts dessen fühlten sich viele seiner Landsleute als Bürger zweiter Klasse.

Aufruf zum Gewaltverzicht

Mit Gewalt könne das Problem jedoch nicht gelöst werden. In einem Interview des britischen Senders BBC äußerte sich der Dalai Lama besorgt, dass das Blutvergießen weitergeht. Der Dalai Lama erklärte jedoch gleichzeitig seine Unterstützung für die Olympischen Spiele in Peking. Als bevölkerungsreichstes Land der Erde und Kulturnation verdiene es China, die Spiele abhalten zu dürfen. Allerdings habe die internationale Gemeinschaft die "moralische Pflicht", die Regierung in Peking immer wieder daran zu erinnern, ein guter Gastgeber zu sein. Dazu gehöre auch die gründliche Aufarbeitung der Ursachen des Gewaltausbruchs in Tibet, sagte der Dalai Lama in Dharamsala.

China: Dalai Lama für Unruhen verantwortlich

Chinas Ministerpräsiden Wen Jiabao hat die Niederschlagung der Proteste in Tibet verteidigt. Zugleich machte Wen am Dienstag bei einer Pressekonferenz den Dalai Lama für die Unruhen verantwortlich, bei denen Dutzende Menschen getötet worden sein sollen. "Es gibt genug Tatsachen und reichlich Belege, dass dieser Vorfall von der Clique des Dalai Lama organisiert, vorsätzlich geplant, gesteuert und angestachelt wurde", sagte der chinesische Regierungschef. Dies entlarve auch die Beteuerungen des Dalai Lama als Lüge, er strebe einen friedlichen Dialog an und keine Unabhängigkeit. Den Vorwurf, China begehe in Tibet möglicherweise einen "kulturellen Völkermord", wies Wen als "nichts als Lügen" zurück.

Von China eingesetzter Pantschen Lama verurteilt Proteste

Der von China eingesetzte Pantschen Lama als zweithöchste religiöse Autorität Tibets hat die Unruhen unterdessen laut der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua als Verstoß gegen buddhistische Lehren verurteilt. Nach dem Tod des 10. Pantschen Lama 1989 hatte Peking 1995 den damals sechsjährigen Gedhun Choekyi Nyima nicht als Reinkarnation anerkannt und einen Gegen-Pantschen-Lama eingesetzt. Dem Abt des Großklosters Tashi Lhunpo, Chadrel Rinpoche, der die für die rituelle Suche der Wiedergeburt zuständige Mönchsgruppe geleitet hatte, wurde von den kommunistischen Behörden beschuldigt, mit dem exilierten Dalai Lama zu kollaborieren. Er wurde zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt und mit mehr als 40 Mönchen in die Provinz Sichuan deportiert.

Menschrechtsgruppen fordern UNO-Untersuchung

Amnesty International und Human Rights Watch forderten eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse in Tibet  durch die Vereinten Nationen. Die Menschenrechtsorganisationen appellierten an Chinas Behörden, Demonstranten gegenüber Zurückhaltung zu üben. Wer nur von seinem Recht auf Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit Gebrauch gemacht habe, müsse freigelassen werden. "Die chinesischen Behörden müssen sich auch mit der unterschwelligen Verbitterung der Tibeter und der Politik, die dazu geführt hat, beschäftigen", sagte die Leiterin der Asien-Pazifik-Abteilung von Amnesty, Catherine Baber. Der zutage getretene Groll sei auf den Ausschluss der Tibeter vom wirtschaftlichen Erfolg, Einschränkungen bei der Ausübung ihrer Religion und die Unterdrückung der tibetischen Kultur und Identität durch die Regierungspolitik zurückzuführen, sagte Baber.

 

 

 

TV-Hinweis:

- kreuz und quer, 18.03.2008: Der Kampf um Tibet - Ende der Politik des Lächelns?

 

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Hintergrund:

- Der Dalai Lama - Symbol des tibetischen Freiheitsstrebens

 

 
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